Text: Dr. Lorenz Beyer Fotos: Stickford, Janik Schöbel, Christoph Gabler, Leon Zarbock, Bern Kirner
Der Roider Jackl hat sich etwas getraut. Durch ihn wurde das Gstanzl als politisches Spott- und Protestlied erst richtig populär. Kaum war der Schrecken des Zweiten Weltkriegs vorbei, machte er sich über Hitler lustig. Dabei war die Entnazifizierung Deutschlands noch in vollem Gange. 1950 sang er über Hitlers ehemalige Ferienresidenz bei Berchtesgaden:
»An Obersalzberg hams aufg’forst
mit ganz große Bam
damit si da frühere Besitzer nimmer auskennt,
wenn er wirkli no kam.«
Die Gstanzl-Tradition ist in Bayern bis heute lebendig – als spottendes Kräftemessen oder als politischer Protest. Es haben sich daneben aber auch andere Ausdrucksformen etabliert, die ähnliche Ziele verfolgen. Mittlerweile gibt es eine kleine Mundart-Rap-Szene in Bayern, deren Speerspitzen bis in den Mainstream reichen. Dabei gibt es Rap in bayerischer Mundart fast schon so lange wie Rap selbst. Fangen wir also am Anfang an.
Rapmusik bleibt nicht amerikanisch – jetzt wird’s bayerisch!
1979 gelang der Sugarhill Gang ein Welthit mit Rapper’s Delight. Die Hip-Hop-Subkultur wurde so wenige Jahre nach ihrer Entstehung in der New Yorker Bronx der Weltöffentlichkeit bekannt. Die Vocals waren grundlegend neu, denn es wurde nicht gesungen, sondern groovend zum Beat gesprochen.
Dieser Bruch mit bestehenden Hörgewohnheiten rief schnell Nachahmer auf den Plan. Für viele Rock- und Pop-Musiker der 1980er-Jahre war es schlicht lustig, den aktuellen Trend zu parodieren. 1981 lieferte die Münchner Mundart-Popband Relax mit ihrer Debüt-Single Radio hör’n den vermutlich ersten Rap im bayerischen Dialekt. Im Text beklagt der Sänger den allzu neumodischen Musikgeschmack seiner Freundin. Einige Jahre später kam dann Hans-Jürgen Buchner alias Haindling auf die Idee, einen traditionellen Volksmusik-Text und Rap-Musik zu verquicken: »Da Oasiedl vo Bogn hod Hoidzscheidl globn / und hod si an Schiefing in’n Osch einezogn […]« So tönt es niederbayerisch-derb auf Hoidzscheidl-Rap vom 1984er Album Stilles Potpourri.
Neben den vielen Parodien gab es in den 1980er-Jahren auch einen Künstler, der mit Rap in einem bairischen Dialekt einen Welterfolg landete. Mit Der Kommissar entwickelte Falco 1982 einen eigenen Rap-Stil in wienerisch gefärbtem Hochdeutsch und fernab der Parodie. Wie nah er dabei der US-amerikanischen Szene kam, zeigt ein Interview für die ORF-Sendung Okay von 1984: Falco sprach darin mit DJ und Hiphop-Pionier Afrika Bambaataa über eine mögliche Zusammenarbeit für sein zweites Album. Mit seinem ernsthaften Zugang zur Rap-Musik blieb Falco jedoch lange ein Unikat.
»… man höre den Dialekt heraus.«
Die Rap-Szene in Bayern etabliert sich
Erst in den 2000er-Jahren begann sich eine Mundart-Rap-Szene um bairische Dialekte zu etablieren. Das Neue: Es waren nun nicht mehr Mundart-Rock-Künstler, die Ausflüge in den Rap machten, sondern regionale Hip-Hop-Szenen, die sich an ihre heimischen Dialekte herantrauten. Wie seltsam sich das anfangs anfühlte, zeigt der Track Sprachbarrieren der Linzer Crew Texta von 2001. Darin wehrt sie sich gegen das Unverständnis, das ihr aus der deutschen Szene wegen ihres österreichischen Akzents entgegenschlug. In Sprachbarrieren erklären sie Dialektbegriffe unter dem Motto: »Wir vier brechen Sprachbarrieren vom Hamburger Hafen bis zum Wiener Praterstern.«
Ähnliches geschah ein paar Jahre später in Bayern: Franz Liebl alias Monaco Fränzn zog zum Studieren von Regen nach München. Als Dialektsprecher bemühte er sich anfangs, in akzentfreiem Hochdeutsch zu rappen. Ein Radiosender lehnte jedoch einen Track seines Projekts Erster Klasse ab – mit der Begründung, man höre den Dialekt heraus. Entnervt nahm Monaco Fränzn daraufhin mit seiner neuen Crew Doppel D mit In meim Jargon seinen ersten Mundart-Rap auf. Die Resonanz war gering.
Ende der 2000er-Jahre entwickelte sich dann langsam eine Dialektpop-Welle, auf die auch die Medien aufmerksam wurden. Die Mischung aus regionaler Identität und progressiver Gesinnung war damals neu und anders. Hip-Hop in Mundart stellte nur einen Aspekt dieses Heimat-Hypes dar: 2007 landete die Singer-Songwriterin Claudia Koreck einen Radiohit mit ihrem Wohlfühl-Song Fliang. Die Blasmusik-Pop-Band LaBrassBanda brachte mitreißende Live-Shows, hielt das Publikum stundenlang am Überkochpunkt und erspielte sich eine treue Fan-Schar. Nach zwei Independent-Alben aus den Jahren 2008 und 2009 erschien 2013 das dritte Album Europa bei einem Major Label. Es erreichte Platz 3 der deutschen Albumcharts.
Viele Musiker versuchen sich im neuen Genre Bayern-Rap
Der Heimat-Hype hielt etwa bis 2016 an. In dieser Zeit wuchs aus der Keimzelle Doppel D eine kleine Bayern-Rap-Szene um BBou, Liquid, Maniac und Dicht & Ergreifend. Sie alle waren vor ihrem Durchbruch auf die eine oder andere Weise mit dieser Crew verbandelt und luden sich gegenseitig zu Features ein. Das gipfelte im Track Bavarian Squad von 2016, der nahezu alle Szenegrößen vereinte. Wie Maniac es auf den Punkt brachte: »Jetz kummt de Gang mit dem Mundart-Slang / Mir san sowas wie da boarische Wu-Tang Clan.« Schauen wir uns an, wer da alles dabei war.
Doppel D bestehen neben dem selbsternannten »Bayern-Rap Papa« Monaco Fränzn aus dem Hengersberger MC Grämsn und DJ Spliff. Den ersten Bayern-Rap-Meilenstein lieferte die Crew 2007 mit ihrem Paid Zaid Mixtape. Es sprühte vor Ideen, sprachlich wie musikalisch: Gerappt wurde auf Hochdeutsch und Bayerisch, durchzogen von englischen Lehnwörtern. So rappte Grämsn in Mia samma (unplugged): »Rap is coming home ins Lande der Gstanzl / mei Opa war der gleiche, grad in am andern Gwandl«. Die Beats reichten von international inspirierten Samples und Synthesizern bis zu traditioneller Volksmusik. Roh und ungeschliffen nimmt das Mixtape vieles vorweg, was später in der Szene passierte. Mit Watschnbaam vom zweiten Album B-AYA-N landete die Crew einen kleinen Hit im Münchner Underground und positionierte sich auf CSU-Rapper klar gegen Konservatismus. 2012 folgte noch die nostalgische 99 EP, dann machte die Crew auf unbestimmte Zeit Pause. Monaco Fränzn startete als Monaco F eine Solokarriere, sampelte in Bierallergie von der 1 EP (2014) großartig einen Fredl-Fesl-Jodler und releast bis heute regelmäßig neues Material – zuletzt im Juli 2025 die Single cringe Päbbn. Auch Grämsn veröffentlichte mehrere Solo-Alben, die aber leider weniger Aufmerksamkeit bekamen. DJ Spliff schloss sich 2014 den Senkrechtstartern Dicht & Ergreifend an. Hin und wieder treten Doppel D bis heute in Originalbesetzung auf.
Nach dem Rückzug von Doppel D übernahmen andere Rapper aus ihrem Umfeld das Ruder: BBou aus Amberg war bereits 2007 auf I war am Voixfest von Doppel D zu hören – damals noch auf Hochdeutsch. 2011 veröffentlichte er sein erstes Studioalbum Guad & Fesch mit Dialektrap. Die Texte übertreffen alles bisher in Mundart Dagewesene an Derbheit und Obszönität. Sein Paradestück Bazis wissen wer da BBou is stammt von 2013 – ein Remix von Haftbefehls Chabos wissen wer der Babo ist . Statt Kriminalität zu verherrlichen, ergeht sich BBou in diafstem Dampfplaudern, das sich selbst nicht ernst nimmt. Das brachte für Bayern-Rap sensationelle 1,6 Millionen Aufrufe auf YouTube. Mit der Zeit wurde ihm sein Ruf aber offenbar selbst zu prollig. Seit dem Album Idylle inszeniert er sich als Hippie und bemüht sich teils um mehr Tiefgang in seinen Texten.
Der Nächste im Bunde, Liquid aus Regenstauf, wurde wiederum von BBou überredet, es doch einmal mit Mundartrap zu probieren. 2012 hatten die beiden ihren ersten Hit mit Mach doch dein Polt-Remix, gespickt mit gesampeltem Gefluche des bayerischen Kabarettisten Gerhard Polt. Zwei Monate später setzte Liquid dann auf Bavarian Barbarian erneut Maßstäbe mit Doubletime-Parts, die beinahe schneller als der Schall sind. Dieser technische Rap über Boombap Beats, inspiriert von der Ästhetik der 1990er-Jahre, war anfangs sein Markenzeichen. Ungestüm überschritt er deutlich die Grenzen der political correctness – und das, obwohl er als dunkelhäutiger Bayer vermutlich selbst Opfer von Diskriminierung ist. Das wandelte sich aber auf seinen späteren Alben. Grandios ist beispielsweise sein Track Depp Du vom Album The Gaudi is Real (2019). Zusammen mit Maniac positionierte er sich hier klar gegen Rechtsextremismus und stellte sich an die Seite der Flüchtlinge. Dafür sampelte er Du Depp von Haindling – ja, genau, dem Haindling, der in den 1980ern schon in Mundart gerappt hatte.
Maniac hat wie Liquid eine US-amerikanische Migrationsgeschichte. Im Alter von sieben Jahren zog er mit seiner Familie von Regensburg nach South Carolina. Dort lernte er als Jugendlicher zu rappen und veröffentlichte 2004 sein erstes Album Demograffics – natürlich auf Englisch. 2016 unternahm er dann erste Dialekt-Rap Gehversuche. Mit BBou veröffentlichte er den relaxten Kiffer-Track Aromatherapie und brillierte auf Bavarian Squad, zu dem er den Schlusspart und Höhepunkt beisteuerte. Er wurde Liquids neuer Sparringspartner und veröffentlichte mit ihm drei Alben. 2017 wurde er außerdem Mastermind des Refugee Rap Squad. Er nahm mit vier rappenden Flüchtlingen den Track Chill kein Asyl auf und ließ sie im Video in Tracht vor Bergkulisse posieren.
»Lustig, tanzbar und partytauglich.«
Bayern-Rap erobert die Albumcharts
Und damit kommen wir zur heute erfolgreichsten Crew der Bayern-Rap-Szene: Dicht & Ergreifend. Die zwei Exil-Niederbayern Urkwell und Lef Dutti nehmen in ihrer neuen Heimat Berlin aus Gaudi einen Mundart-Rap-Track auf. Am 5. Januar 2014 veröffentlichen sie das Video zu Zipfeschwinga auf Youtube. Die Szene reibt sich den Neujahrskater aus den Augen und staunt. Über einem Balkan-Brass-Beat, der an Shantel erinnert, zerlegen Dicht & Ergreifend partytauglich den bayerischen Konservatismus. Monaco F teilt den Track auf seiner Facebook-Timeline und von da an geht es steil bergauf: Tour-Opener für LaBrassBanda, ein übererfülltes Crowdfunding für das erste Album Dampf der Giganten, acht Millionen Aufrufe auf Youtube für die Single Wanderdoog. Wie ist das zu erklären? Dicht & Ergreifend sind in viele Richtungen anschlussfähig: Derb, ohne politisch unkorrekt zu sein; Lustig, tanzbar und partytauglich, aber auch tiefgründig, sozialkritisch und politisch. Ihre Kritik am ländlichen Milieu in Bayern schöpft aus persönlichen Erfahrungen und ist genau beobachtet. Gleichzeitig merkt man ihnen die Horizonterweiterung durch den Umzug nach Berlin an. Sie entlarven die Absurditäten des vermeintlich normalen Landlebens. Die Beats sind größtenteils moderner Bauart. Wenn wie in Meier & Wimmer doch einmal Volksmusik-Versatzstücke zum Einsatz kommen, dann so grandios, dass es so wirkt, als ob Beats und Zither schon immer zusammengehört hätten. Neu ist das alles nicht, aber ausgereift wie nie zuvor. Folgerichtig sind Dicht & Ergreifend heute die erfolgreichste Bayern-Rap-Crew: Mit ihrem dritten Album Es werde Dicht von 2023 erreichten sie Platz 15 der deutschen Albumcharts – ein Novum für die Szene.
Neben Releases der bekannten Acts gab es in den 2020ern auch einige Newcomer wie das Fichtenkartell aus dem Landkreis Regen, Ria Reiser, die dem Mundart-Rap endlich auch eine weibliche Stimme verlieh, oder Sääftig, der in Dirndl Weed über Trap Beats in oberbayerisch-fränkischem Mischmasch klamaukte. Anfang 2025 landete Oimara in Mundart einen deutschen Top 1- Hit. Natürlich klingt auch sein Gesang auf Wackelkontakt ein bisschen nach Rap. Das liegt aber wohl eher daran, dass Rap mittlerweile ein fester Bestandteil von Popmusik geworden ist. Mit Hip-Hop hat das nur bedingt etwas zu tun.
Insgesamt scheint das Bayern-Rap-Terrain aufgeteilt, die Szene liefert routiniert hohe Qualität. Wie der Roider Jackl im Gstanzl kritisieren heute Dicht & Ergreifend mit Rap auf humorvolle Weise die aktuellen Zustände. Das Bedürfnis nach spottendem Kräftemessen und politischem Protest scheint jedenfalls ungebrochen. Man darf gespannt sein, welchen künstlerischen Ausdruck es künftig finden wird. Es sieht jedenfalls nicht so aus, als würden die weltpolitischen Verhältnisse bald so idyllisch, dass Kritik überflüssig wäre.
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