editorial

zwiefach #06-2025

27. Oktober 2025

Lesezeit: 2 Minute(n)

»Abschied ist die Geburt der Erinnerung.«

Salvador Dali (1904–1989)

Liebe Sänger & Musikanten,
liebe Leserinnen & Leser!

Haben Sie schon mal auf einer Beerdigung gesungen oder musiziert? Wahrlich keine leichte Aufgabe. Und schon erst recht nicht, wenn man zu den Hinterblieben oder gar zur verstorbenen Person in einer persönlichen Beziehung stand. Ich wurde erst vor wenigen Wochen diesbezüglich sehr berührt und gefesselt: Vier junge Geschwister haben mit ihrem wunderbaren A-Cappella-Gesang das Requiem für ihren zu früh verstorbenen Vater begleitet. Dieser letzte Dienst war ihnen spür- und hörbar ein Anliegen. Und sie haben diese ungemeine Herausforderung mustergültig bewältigt.

Wer singt, gibt sehr viel von sich preis. Man wird verletzlich, denn ein schräger Ton kann nicht zurückgeholt werden. Bei der Beerdigung eines Angehörigen die Kontenance zu bewahren, ist so schon schwierig genug, wo doch Weinen eine natürliche und gesunde Reaktion auf einen Verlust ist und helfen kann den Trennungsschmerz zu bewältigen. Singen und weinen gehen schon gar nicht zusammen. Aber singen kann weinen ersetzen, denn es spendet Trost, ermöglicht dem Sänger sich emotional auszudrücken und kann für eine Art Psychohygiene sorgen. Nicht selten stellt sich ein besonderes Gefühl der Kraft und Verbundenheit mit dem Verstorbenen ein.

Die vier Geschwister haben für die Gottesdienstgestaltung keine bekannten Abschiedslieder ausgewählt. Nicht Moll mit Tiefe, Nachhall und Schmerz dominierte, sondern hoffnungsvolle Dur-Tonarten, nicht als Verharmlosung des Verlusts, sondern als Hinweis darauf, dass das Leben weitergeht, dass liebevolle Erinnerungen Lebensfunken in sich tragen. Ein sehr intimer und extrem anrührender Moment war es, als die vier Sänger vor einem Lied mitteilten, dass sie eben jene Melodie in den vergangenen Wochen oft am Krankenbett des Vaters für ihn gesungen hatten. Puh … enger hätte das Quartett mich und die Trauergemeinde in diesem Augenblick wohl nicht mit dem Verstorbenen verbinden können. Stille und Klang trafen aufeinander und berührten sich sachte. Unaussprechliches wurde in Klänge gekleidet. Hoffnungslosigkeit wurde von herrlichen Melodien überwunden. – Da war sie wieder einmal, die unbändige Kraft der Musik!

Letztlich bleibt Musik bei Beerdigungen und Abschieden ein Akt des Übersetzens: Von der spröden Logik der Gefühle zu einer verständlichen, spürbaren Form. Sie ist kein Ersatz für den Abschied, sondern ein Begleiter, der den Weg durch die unmittelbare Trauer hindurch beleuchtet. Und sie erinnert daran, dass der Abschied zwar schmerzt, aber auch das Potenzial hat, Liebe, Dankbarkeit und Verbundenheit neu zu ordnen – in Liedern und Weisen, die nachhallen, lange nachdem der letzte Akkord unseres Lebens verklungen ist.

Ich wünsche ihnen einen entspannten Jahresausklang.

Ihr Roland Pongratz

[Sie finden die Ausgabe #6-2025 der  »zwiefach« hier im Archiv]

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