»Is denn des net a Lebn …«

Die legendären Fanderl-​Singwochen und ihre Fortsetzung

28. Juni 2024

Lesezeit: 8 Minute(n)

Text: Sissy Mayrhofer Fotos: Johannes und Sissy Mayrhofer, privat

Warst du amoi auf oaner von dene berühmten Fanderl-Singwochen?« – »Naa.« – »Na konnst aa net mitreden. De warn unbeschreiblich!« Solche Dialoge habe ich oft gehört, vor allem in der Zeit, als sie nicht mehr stattfanden, die legendären Fanderl-Singwochen.

Wastl Fanderl, 1915 geboren als Sohn einer Wirtstochter und eines Baders in Bergen/Chiemgau, wurde schon 1936 in der Presse als »Volksmusikpfleger« bezeichnet. Der Bezirk Oberbayern hat ihn dann viel später zum ersten Bezirksvolksmusikpfleger (1973–1981) berufen. Er wurde bekannt durch seine Rundfunksendungen und Volksmusikwunschkonzerte, sowie im Bayerischen Fernsehen durch sein Bairisches Bilder- und Notenbüchl. Er gründete 1958 die Sänger- und Musikantenzeitung, deren Nachfolgerin »zwiefach« hier vor den geschätzten Lesern liegt.

Welch großartige Lebensleistung sich hinter diesen knappen biographischen Stichpunkten entfaltet, kann im Rahmen dieses Artikels nur angedeutet werden, ausführlich nachzulesen ist sein Leben und Werk in zwei interessanten Veröffentlichungen.1

»Is denn des net a Lebn …« – Wie die ­Singwochen entstanden sind

Als Zwölfjähriger, also 1927, begegnete Wastl dem Kiem Pauli, der auf seiner Volkslieder Sammeltour in Bergen vorbeikam. Durch diese Begegnung wurde Wastls Leidenschaft für das überlieferte Lied des Alpenraums geweckt und sollte sein gesamtes Leben prägen. Ermutigt durch das Traunsteiner Preissingen 1931, wo er auch Prof. Kurt Huber (Weiße Rose) begegnete, wurde Wastl Fanderl immer aktiver als Sänger und wagte 1935 ein erstes größeres Sänger- und Musikantentreffen in Bergen. Der Zuspruch und die Begeisterung der Teilnehmer, zu denen auch als Ehrengast der Kiem Pauli gehörte, war so groß, dass spontan ein größerer Saal gesucht werden musste. Damit war in Folge die Idee einer Singwoche geboren und wurde zügig umgesetzt.

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Singwoche 1985: die Fanderls zum ersten Mal zu Gast auf der Singwoche der Münchner Schule.

»Konn’s denn was Schöner’s gebn?« – ­Fanderls einzigartiges Singwochen Programm

Der junge Wastl Fanderl wurde schnell bekannt durch seine Aktivitäten. »Die Singwochen haben sich als das beste Hilfsmittel bei der Verbreitungsarbeit erwiesen. Sieben Tage mit interessierten Menschen zusammenleben, miteinander reden, singen, tanzen, lustig sein, Freundschaften gründen, die nicht die Spur eines ›Lehrganggefühls‹ aufkommen lassen, für jedes einzelne Lied Begeisterung wecken, auf Herkunft und Textinhalt eingehen, die Schönheit der Sprache und der Melodie bewußt werden lassen – mit diesem höchst einfachen und natürlichen ›Lehrplan‹ habe ich, so glaube ich, mehr erreicht als mit Veröffentlichungen, Volksmusikabenden und Rundfunksendungen zusammen.«2

So hat der Wastl sein Konzept bei einem Vortrag 1979 selber beschrieben. Besser kann man es nicht zusammenfassen, was den Charme, die Faszination und den Erfolg seiner Singwochen ausmachte.

Und weiter sagt er: »Das Erlebnis der Singwoche macht viele Teilnehmer geschmacksicher (sic). Sie lernen, wie man zusammensingt (um allein beim Lied zu bleiben) und sie schalten sich später – das erweist sich immer wieder – mit Rat und Hilfe ein in das brauchtümliche Geschehen ihres eigenen Umkreises oder sie erwecken es neu zum Leben. Ein Ergebnis am Rande, das aber besonders erfreulich ist: Immer öfter werden bei Volkstanzabenden im Raum Oberbayern in den Pausen ›Singwochenlieder‹ angestimmt, ohne Organisation, einzig aus der Stimmung heraus.«3

Die Singwochen waren also nicht nur Urlaub mit Musik und Spaß, sondern wie von selbst auch Treffpunkt und Schulung weitreichender Multiplikatoren, die Botschafter eines neuen Sing- und Musizierstils wurden.

Sehr bald hat Wastl mit seinen Singwochen den Kontakt zu Südtirol gesucht und sich nach einigen Zwischenstationen in Klobenstein am Ritten, später in Aufkirchen bei Toblach im Pustertal einquartiert. Die zauberhafte Landschaft mit den freundlichen Menschen war von Anfang an Grund genug, dort die Singwochen zu etablieren. Die bairisch-südtirolische Verbundenheit in der Sing- und Musiziertradition hat sich in dieser Zeit begründet und bis heute nichts an Lebendigkeit eingebüßt. Für die Südtiroler, die unter den politischen Repressalien und Verboten seit ihrer Zugehörigkeit zu Italien nach 1918 sehr gelitten und viel von ihrer Volkskultur verloren hatten, waren die Singwochen ein ermutigendes Signal, ihre Lieder und Musik wieder neu zu entdecken und aufleben zu lassen.

Die Singwochen fanden großen Zuspruch bei Jung und Alt, so dass über lange Zeit zwei Singwochen pro Jahr – eine an Ostern, die andere an Pfingsten – stattfanden. Der Andrang war oft kaum zu bewältigen und es war ein großes Glück, vor allem als weibliche Bewerberin eine Zusage zu bekommen.

Singwoche 1985, die Fanderls zum ersten Mal zu Gast auf der Singwoche der Münchner Schule

»Wann ma is vogelfrei …« –
Von der Freiheit in der Ordnung

Die Freiheit bei den Singwochen war immer in einem lockeren aber doch deutlich strukturierten Rahmen und Tagesplan eingebettet. Die morgendliche Singstunde für alle als erster Tagespunkt um 9 Uhr war obligatorisch. Egal, wie spät oder ob überhaupt die lustige Schar ins Bett gekommen ist. »Wer’s Lumperl macht, muass ’s aushalten!« war Wastls Devise. Das war’s aber dann schon mit Vorschriften.

Erfahrene Musikanten wie der spätere Nachfolger Wastls im Amt Wolfi Scheck und neben vielen anderen Sepp Geiger, Sigi Ramstötter, Hans Martschin, Schorsch Kaufmann, Beni Eisenburg, Wolfgang Neumüller, Franz Mayrhofer kümmerten sich um Neulinge und Schüchterne, damit alle nach Lust und Befähigung zum Musizieren und Tanzen Gelegenheit bekamen. Vor allem Wastls Frau Lisl, die für die weniger Musik-Aktiven Strick- und Handarbeitskurse anbot, kümmerte sich mit viel Umsicht und Feingefühl um alle. Sie war eine wichtige Vertrauensperson, oft auch Kummerkasten für überforderte Teilnehmer, vor allem die weiblichen, und hatte ein Auge darauf, dass möglichst niemand am Rande allein stand, dass alle ins gemeinschaftliche Geschehen eingebunden waren. Freilich durfte man auch nicht allzu zimperlich sein und musste schon die pralle Energie und Gruppendynamik einer Singwoche aushalten.

Wer sich zur Singwoche anmelden wollte, musste volljährig und für sich selbst verantwortlich sein. Nur so konnte der offene gesellige Stil der Singwochen gehalten werden und nicht zu einer Schulung oder einem Lehrgang mit Aufsichtspflicht der Veranstalter mutieren.

Wirklich frei waren die Singwochenteilnehmer besonders im unkomplizierten Umgang mit Tracht und outfit. Zwar trugen viele gern Dirndlgwand und Lederhose, handgestrickte Janker und Strümpfe aber gegen einen Singwochen-dresscode und Trachten-Kleidervorschriften wehrten sich Wastl und Lisl gleichermaßen. So signalisierten sie auch in ihrem eigenen Erscheinungsbild Offenheit und Toleranz, was vor allem vielen Jugendlichen, die zu Recht gegen alte Zöpfe revoltierten, den Zugang zur Volksmusik öffnete.

Singwoche 2016

Foto Johannes Mayrhofer

»… und g’sund dabei!« –
Natürlich und kraftvoll singen

Wastl hatte eine ganz eigene Art der Singvermittlung. Das wichtigste Element dabei war die Freude am Singen, das gesellige aber doch qualitätvolle. Seine Singstunden waren nie strenge Chorarbeit mit Stimmbildung und Einsingen, aber auch nicht wildes Rudelsingen. In großen Gruppen legte er Wert auf eine Sitzordnung nach Stimmen. Sein didaktischer Usus orientierte sich an der traditionellen Zuordnung von Hauptstimme (oft die Mittelstimme), Über- und Drunterstimme (oft die Tenorpartie), der Bass meist nach Gehör in einfachen Stufen. Eine instrumentale Begleitung mit Akkordeon oder Saiteninstrumenten unterstützte die Sänger und garantierten auch den nötigen tänzerischen Schwung oder betonten den feinen zarten Charakter etwa bei den Liebesliedern oder geistlichen Liedern. Besonders die Jodler wurden kräftig mit vollem Stimmeinsatz und ohne Begleitung vermittelt und meist auswendig gesungen.

Für die Singwochen gab es jeweils aktuelle Liederbogen mit vier bis acht Liedern und Jodlern pro Liedblatt, die als Grundlage für die Singstunden dienten. Im Laufe der Jahre sind die Liederbogen zu der stattlichen Anzahl von 55 mit insgesamt 234 Liedern angewachsen. Sie wurden auf Initiative von Franz Mayrhofer mit dem Verein für Volkslied und Volksmusik e.V. als Herausgeber 2002 zu einem schön gebundenen und mit Inhalts- und Quellenverzeichnis versehenen Liederbüchl zusammengefasst und erfolgreich ediert.4

Ganz besonders war auch Wastls Unterhaltungstalent. Zu jedem Lied wusste er eine Geschichte, Hintergründe und Gewährsleute, witzige Anekdoten sind bis heute für viele Singwochen-Teilnehmer mit bestimmten Liedern verknüpft und dadurch lebendig in Erinnerung geblieben.

in Siffian vor der Kirch, 2016

»Kehrst amoi z’ Waldram zua,
Musikanten findst da gnua« –
Die Fortsetzung der Fanderl-Singwochen

Als Wastl Fanderl 1980 schweren Herzens seine letzte Singwoche in Toblach veranstaltete, war Franz Mayrhofer schon – auch durch Wastls Vermittlung und Empfehlung – Leiter der Münchner Schule für Bairische Musik, die nach Wastls Tod ihm zu Ehren den Beinamen Wastl-Fanderl-Schule bekam. Franz Mayrhofer hatte als Initiator der Waldramer Musikanten- und Sängerschar den Wastl einmal zu einer Kindersingstunde vor Ort eingeladen. Die hat dem Wastl sehr gefallen, deshalb wurde Waldram in einen seiner späten Liederbögen aufgenommen.5

Über viele Jahre hatte Franz Mayrhofer zuerst als Teilnehmer – 1965 ist er mit dem Radl auf den Ritten gepilgert – und später als Mitarbeiter Gelegenheit, den Stil und die Ausstrahlung der Fanderlschen Vermittlung zu erleben. »Ich habe viel vom Wastl gelernt und aufgesogen«, sagt der begeisterte Musiker, Musikant und Pädagoge immer wieder, wenn er von seinem Beruf, den er stets als Berufung empfunden hat, erzählt.

Die Münchner Schule, getragen vom Münchner Kreis für Volksmusik, Lied und Tanz e.V., hatte sich vor allem mit seinem neuen Schulleiter zur besonderen Aufgabe gemacht, bairische Musik – also Volksmusik und auch Klassik – auf traditionellen Instrumenten in der Großstadt München zu vermitteln. Da ergab es sich fast von selbst, dass Franz Mayrhofer als Ergänzung zum Unterricht im Schulbetrieb die Idee der Singwochen aufgriff und 1982 einen Probelauf in Flanitz bei Frauenau startete. Im nächsten Jahr fand dann die Wiederaufnahme in Südtirol eine gute Fortsetzung.

Die Singwoche kehrte 1983 auf den Ritten zurück und hat seither im schönen Hotel Bemelmans Post6 in Klobenstein eine dauerhafte Heimat und freundschaftliche Aufnahme gefunden. Von Anfang an schenkte die Herzlichkeit und Großzügigkeit der wunderbaren Wirtsfamilie Senn den Singwöchnerinnen und Singwöchnern eine ideale Umgebung zum Singen, Musizieren und Tanzen.

Unter der Leitung von Wolfi Scheck gab es – unabhängig davon – noch drei Nachfolge Singwochen (1988–1990) in Aufkirchen bei Toblach.

Singwoche 2016

Foto: Johannes Mayrhofer

»Buama Madl junge Leit, de san a Freid!« – Es darf sich auch was ändern

Da nun die Musikschule die Singwochen veranstaltete, war die Teilnahme von Familien mit Kindern und Jugendlichen sinnvoll und möglich, was sich als sehr belebend erwies. Das hat auch der Wastl so gesehen, der zwei Mal zu Gast auf unserer Singwoche war: 1985 und 1991, kurz vor seinem Tod. Er hat sich sehr gefreut, dass so die Generationen zusammenkommen und seine Idee weitertragen, die Atmosphäre fortführen und für Veränderungen offen sind. Bis heute sind nicht nur Schüler der Musikschule, sondern Freunde aus nah und fern gern gesehen und bei den Singwochen dabei.

Einiges hat sich gegenüber den früheren Singwochen verändert: Beim Mittagessen wurden als bewusste Neuerung die Teilnehmer über benamte Serviettentaschen durchgemischt, damit nicht immer die gleichen Gruppen zusammenkleben und sich neue Berührungen ergeben. Jedes Jahr kam ein neues Tischlied dazu. Die Abschlussabende waren stark durchwirkt von Gstanzln, kleinen szenischen und kabarettistischen Darbietungen und wesentlich mehr Tanz und Musik als zu Wastls Zeiten.

Zu den Fanderl Wochen gehörte immer ein Ausflug. Dieses die Gemeinschaft stärkende Element hat sich bewährt und ist unter Franz Mayrhofer als fester Bestandteil sogar noch intensiviert worden: Eine musikalische Einkehr in einer schönen Kirche, Spiele und kleine kreative Aufgaben unterwegs sowie eine ausgiebige und fröhliche Marende in einem der herrlichen Gasthäuser gehören unbedingt zu einer gelungenen Singwoche dazu.

Aus den sittsamen Volksmusikanten wurde beim Abschlussabend eine wilde Band oder besser Gang mit Fandal am Ritten als Parodie auf Skandal im Sperrbezirk.

»Lustig und kreuzfidel, hoam gehn ma net so schnell« – Fortsetzung bis heute

Seit Franz Mayrhofer 2009 in Rente ist, führt sein Nachfolger Moritz Demer die Tradition der Sing- und Musikwoche in Klobenstein fort. Wir hoffen und wünschen, dass es sie noch lange geben kann, denn:

»Hoam gehn ma in der Früah oder gar nia!«

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Aufmacher
Singwoche 1985, die Fanderls zum ersten Mal zu Gast auf der Singwoche der Münchner Schule

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