Schritte im Grasland

Birgit Stolzenburg-​de Biasio: Hackbrett als Beruf und Berufung

16. September 2025

Lesezeit: 7 Minute(n)

Mit Ende des Sommersemesters 2025 ist mit Birgit Stolzenburg-de Biasio die erste und einzige Professorin für Hackbrett in den Ruhestand getreten. Ihr Engagement für das Instrument ging weit über die Ausbildung neuer Lehrkräfte hinaus. Über Eine, die es als Teil ihrer ­Berufung versteht, neue Wege zu gehen.
Text: Komalé Akakpo Fotos: Christoph A. Hellhake, privat

Ich rechne nicht mehr in Jahren, sondern in Jahrzehnten«, stellt Birgit Stolzenburg-de Biasio lachend fest. Seit 1990 hat sie als Dozentin an der Hochschule für Musik und Theater und vorher am Richard-Strauss-Konservatorium in München Lehrkräfte ausgebildet. Wie prägend ihre Arbeit war, wird schon deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass das chromatische Salzburger Hackbrett in diesem Jahr gerade einmal seinen 90. Geburtstag gefeiert hat. Nach seiner Erfindung durch Tobi Reiser etablierte es Karl-Heinz Schickhaus rund 35 Jahre später als Studienfach innerhalb des Volksmusikseminars am Münchner Konservatorium.

In der Stubnmusi fing alles an

Gerade in Südbayern stieß dieses Angebot auf Resonanz, da in der Nachkriegszeit ein regelrechter Stubenmusik-Boom eingesetzt hatte. In einer dieser Gruppen, der Miesbacher Stubenmusi, begann Birgit Stolzenburg-de Biasio ihre musikalische Laufbahn. Begonnen hatte sie mit Klavier, im Alter von 10 Jahren wechselte sie zum Hackbrett – unter der Bedingung, das ungeliebte Tasteninstrument aufgeben zu dürfen. Immerhin hatte sie Noten lesen gelernt und war damit in der Lage, Stücke nicht nur, wie damals üblich, nach Gehör, sondern auch vom Blatt zu spielen. Ein Schlüssel für ihre Vielseitigkeit, wie sie heute resümiert.

Im Saitenmusik-Trio zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Schwester konzertierte Birgit Stolzenburg-de Biasio über 10 Jahre lang, auch erste Aufnahmen für den Bayerischen Rundfunk entstanden in dieser Zeit. Die musikalische Mutter organisierte in Ermangelung einer Lehrkraft eigenständig die Förderung ihrer Tochter, besorgte die neuesten Volksmusik-Hefte und mietete sich mit ihren Kindern sogar am Königssee ein, damit Birgit einen ganzen Abend lang Heidi Schuster von den Schönauer Musikanten auf die Schlägel schauen konnte.

Beständige Weiterentwicklung

Noch als Jugendliche begann Birgit Stolzenburg-de Biasio, an der Wastl-Fanderl-Schule selbst Hackbrett zu unterrichten. Wenig später wurde sie – aufgrund eines Schreibfehlers des Sekretariats – die erste Hauptfächlerin mit Hackbrett am Konservatorium. In der Münchner Musikszene machte sie sich schnell einen Namen als unerschrockene Spielerin, die sich umso lieber ins Üben stürzte, je komplizierter die Noten auf den ersten Blick aussahen. In den 1990er-Jahren waren es Komponisten wie Rudi Spring oder Peter Kiesewetter, die das zeitgenössische Repertoire für Hackbrett deutlich erweiterten und den Ball zurückspielten: Es war dann an Birgit Stolzenburg-de Biasio, auch die Spieltechnik entsprechend weiterzuentwickeln, was sie immer noch mit Freude tut, wie sie sagt. Bis heute gehören diese Werke zu den anspruchsvollsten des Literaturkanons für Hackbrett. Parallel dazu begann sie ihre Lehrtätigkeit am Richard-Strauss-Konservatorium neben ihrem einstigen Lehrer Karl-Heinz Schickhaus, was ihr erlaubte, in die Aufgabe hineinzuwachsen, wie sie rückblickend feststellt.

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Hackbrettklasse an der »Hochschule für Musik und Theater München« im letzten Unterrichtsjahr 2024/2025

Ab den 2000er-Jahren wurde die Zusammenarbeit mit Dorothea Hofmann zu einem wichtigen Teil von Birgit Stolzenburg-de Biasios Engagement für zeitgenössische Musik. Stücke wie Schritte im Grasland entstanden dabei extra für Besetzungen ihrer Hackbrettklasse.

Hörbare Blicke in die Vergangenheit

Zeitgleich mit neuen Kompositionen nahm Birgit Stolzenburg-de Biasio in ihren ersten zehn Jahren als Dozentin weitere Projekte in Angriff: Die Veröffentlichung nicht nur der zeitgenössischen Stücke, sondern auch von originaler Literatur aus dem 18. Jahrhundert für das Salterio, den italienischen Verwandten des Hackbretts. Mit jenem wiederum frönte sie einer weiteren ihrer stilistischen Leidenschaften, der Alten Musik. Zusammen mit Instrumentenbauer Reinhard Hoppe hatte sie Ende der 1980er-Jahre den ersten Nachbau eines Salterios realisiert und machte sich in der Folge als Solistin einen Namen. Auch hier war sie Pionierin, behielt ihr Wissen aber natürlich nicht für sich, sondern ließ es als Studieninhalt in die Ausbildung am Konservatorium einfließen.

»Trio Gioco di Salterio«, v. l. Birgit Stolzenburg- de Biasio, Marion Treupel- Franck und Sepp Hornsteiner, 2014

»Die Qualität der Musik steht für mich außer Frage.«

Brigit Stolzenburg-de Biasios dritte musikalische Leidenschaft war und ist die Volksmusik geblieben, wobei sich ihre Definition nicht auf den Alpenraum beschränkt. Neben ihrer Begeisterung für alle neuen, ungewohnten Klänge hält sie Folklore im Kontext einer Musikhochschule auch aus anderen Gründen für unverzichtbar: »Die Qualität der Musik steht für mich außer Frage. Damit hängt auch zusammen, dass ich es für ein großes Missverständnis halte, dass Volksmusik nicht professionell sei. Die Protagonisten der Volksmusik waren keine Gelegenheitsspieler, sondern häufig engagierte Musiklehrkräfte, die ihre Instrumente absolut beherrscht und auf Perfektion im Vortrag geachtet haben. Und auch heute stellt die Volksmusik einen Fundus an hochwertiger Literatur für den Unterricht dar, die außerdem das Zusammenspiel im Fokus hat.«

Treibende Kraft im ­Hinter- und Vordergrund

Aussagen wie diese lassen erkennen, dass Birgit Stolzenburg-de Biasio mit einer elitären Hochschulprofessorin nichts gemeinsam hat. Für das Hackbrett muss mehr denn je geworben werden, am besten schon im Elementarbereich der Musikschulen, das war ihr von Anfang an klar. Es entstand Pizz und Batt, ein mehrbändiges Lehrwerk für Kinder, mittlerweile seit 25 Jahren Standard im Anfängerunterricht. Ab Ende der 1990er-Jahre organisierte sie einen jährlichen Musiziertag, den Hackbrett-Tag, für Laien jeden Alters und jeden Spielniveaus. Egal ob das Hackbrettforum, ein Verein für die Vernetzung von Hackbrettlehrkräften, die Einführung von Jugend musiziert-Wettbewerben für Hackbrett bis auf Bundesebene oder die Gründung eines bayerischen Hackbrett-Jugendorchesters: Immer war Birgit Stolzenburg-de Biasio Initiatorin und treibende Kraft. »Es war ein immenses Engagement, aber das war nötig, um die Dinge zum Laufen zu bringen. Und jetzt läuft vieles.«, stellt sie zufrieden fest. »Es braucht aber auch Leute, die das dann weitertragen, und die hatte ich zum Glück unter meinen Studierenden.«

»… Ehre und Anspruch zugleich.«

Hackbrett-Musik sichtbar machen

Statt Probespieltraining wie bei den Orchesterinstrumenten war bei der Hackbrettklasse der Musikhochschule in den letzten Jahren Festivalorganisation Teil des praktischen Lehrplans. Das Hackbrettfest, das dieses Jahr zum vierten Mal stattfand, knüpft Verbindungen zwischen akademischer Ausbildung und Laienszene, mit Konzerten, offenen Workshops, Vorträgen und Marktbereich. Es ist Symposium und Szenetreff zugleich, wie so vieles von Birgit Stolzenburg-de Biasios Arbeit in dieser Form einzigartig, und zieht Teilnehmende aus dem gesamten deutschsprachigen Raum an. Ein Format, das auch durch die neuen Strukturen nach der Fusion des Konservatoriums mit der Musikhochschule begünstigt wurde. Unter ihrer Leitung wandelte sich der einstige staatlich anerkannte Musiklehrer-Abschluss bis hin zum pädagogischen und künstlerischen Master für Hackbrett. Die Verleihung der Honorarprofessur vor zehn Jahren empfindet sie als Ehre und Anspruch zugleich.

Daneben ist die Konzertreihe Hackbrett and more das Projekt, in das Birgit Stolzenburg-de Biasio am meisten Zeit und Energie investiert hat, um das Hackbrett im Hochschulkontext sichtbar zu machen. Auf 75 Konzerte mit 54 Uraufführungen blickt sie stolz zurück. Regelmäßig habe sie sich gefragt, ob sie sich diesmal nicht endgültig mit dem Programm, der Besetzung oder dem künstlerischen Anspruch übernommen habe, gibt sie zu. Und doch habe sie sich jedes Mal wieder darauf eingelassen, »weil ich mich sehr schnell langweile, wenn ich immer das Gleiche mache. Und zum Glück haben meine Studierenden da auch immer bereitwillig mitgemacht und Überstunden geschoben.«

Eröffnungskonzert des »Hackbrettfestes 2023« in der »Reaktorhalle, Hochschule für Musik und Theater München«
Konzert mit Streichorchester in Ludwigsburg, 2009

Die wiederum schätzen an ihrer Professorin, dass eine künstlerisch-pädagogische Berufsausbildung auch Persönlichkeitsbildung erfordert und in so mancher Stunde ein Gespräch wichtiger ist als das Vorspielen. »Hochschul-Mama« wird sie deshalb auch bisweilen genannt. Keine Selbstverständlichkeit an einer Kunsthochschule. Aber auch handfeste Erfolge hat Birgit Stolzenburg-de Biasio im Rahmen ihrer Arbeit zu vermelden: Aus ihrer Klasse kommen unter anderen die frischgebackene Bayerische Kunstförderpreisträgerin Lisa Schöttl, Creole World Music Award-Gewinner Thomas Gruber oder Elisabeth Seitz, der nachgesagt wird, das Hackbrett in der europäischen Klassikwelt etabliert zu haben. Auch Lehrkräfte wie Sabine Kadner und Günter Ebel, die mit ihrem Ensemble im Frühjahr einen ersten Preis beim Bundeswettbewerb Jugend musiziert feiern konnten, führen die Arbeit ihrer Dozentin fort.

Auch in Zukunft viel vor

Birgit Stolzenburg-de Biasio freut sich nach ihrer Pensionierung darauf, selbst wieder mehr konzertieren zu können. Im heimischen Feldkirchen-Westerham warten 14 Instrumente darauf, wieder bespielt zu werden. Darunter Raritäten wie ein originales Bandzauner-Hackbrett von 1975, zwei Nachbauten von Mittelalter-Hackbrettern und ein Kontrabass-Hackbrett. Doch auch das Unterrichten hat ihr bis zum letzten Tag Freude bereitet: »Auch das ist eine Herausforderung für mich: Die musikalische Begabung bei einem jungen Menschen zu erkennen und ihn dann entsprechend zu fördern. Das sehe ich als meine Lehrverpflichtung an und da lernen wir gegenseitig voneinander.« Und schließlich gibt es auch einen Stapel an unveröffentlichten Schriften aus der jungen Geschichte des Salzburger Hackbretts, den sich Birgit Stolzenburg-de Biasio vornehmen möchte: »Ich sollte nämlich zum 90. Geburtstag des Hackbretts einen Vortrag über das Hackbrett in Bayern halten und da ist mir aufgefallen, wie nah ich eigentlich an der ganzen Entwicklung dran war und wie viel davon ich persönlich erlebt habe. Das möchte ich schon noch sammeln und auch irgendwo hinterlegen.«

www.birgit-stolzenburg.de

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Freyunger Hackbrett-Tage 2025

Zusammen mit Belisa Mang und Magdalena Geiger lädt Prof. Birgit Stolzenburg-de Biasio (Leitung) Hackbrettspieler aller Altersgruppen, vom Anfänger bis zum Fortgeschrittenen zum Seminarwochenende Saitensprünge in die Volksmusikakademie in Bayern ein. Je nach Gusto des einzelnen Teilnehmers werden Stücke aus verschiedenen Stilrichtungen (Volksmusik, Alte Musik, Klassik, Filmmusik, Rock/Pop) einstudiert, dazu gibt es individuelle Tipps und Tricks, um Neues dazuzulernen oder Bekanntes aufzufrischen. Auch Hackbrett-Ensembles können teilnehmen.

Infos: www.volksmusikakademie.de/seminardetails/1648
Freitag, 31. Oktober bis Sonntag, 2. November 2025
Birgit Stolzenburg umgeben von Hackbrettvielfalt: Dulce Melos, Salterio und Kontrabasshackbrett.

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