Borduninstrumente werden zweifellos immer etwas für Individualisten bleiben, aber ich glaube sie sind eine schöne Bereicherung für die bayerische Volksmusik«, so die Sprecherin der Abendschau 1988 in einem Bericht über die Baukurse des Bezirks Oberpfalz, in denen seit 1974 Dudelsäcke entstehen. Ob es sich bei den Dudelsäcken um Zuagroaste oder Einheimische handelt, dieser Frage geht Florian Schwemin in seinem Beitrag nach.
Text: Florian Schwemin
Eine Teilnahme an diesem Oberpfälzer Instrumentenbaukurs, der Ende 2024 zum 50. Mal stattfinden wird, macht nicht nur tierisch Spaß, sondern hat auch sonst einen ganz engen Bezug zu einem ganz besonderen Tier. Die Rede ist natürlich vom Bock, genauer gesagt vom Egerländer oder Böhmischen Bock. Zwar darf wohl davon ausgegangen werden, dass die geneigte Leserschaft weiß, um was es sich dabei handelt, und der Layouter wird wohl das ein oder andere veranschaulichende Bild wohlgefällig in Blicknähe positioniert haben, dennoch soll diese animalische Ausgabe der »zwiefach« dazu genutzt werden, etwas näher auf den Bock einzugehen.
Den Wurzeln auf der Spur
Die Wiederbelebungsbemühungen fallen in eine Zeit, in der sich europaweit das sogenannte Folk-Revival bemerkbar machte und Musiker aus ganz verschiedenen Motiven neue oder exotische Klänge auch in der regionalen Musikgeschichte suchten und fanden. Borduninstrumente wurden als vom Kommerz verdrängte Ausdrucksmittel der unteren Schichten, der Bettler, Vaganten und Hirten – für die man höchste Sympathien hatte – interpretiert und wurden nahezu flächendeckend neu entdeckt oder erfuhren einen Imageaufschwung. Eine weitere Rolle spielte ein neuer Fokus auf die historische Aufführungspraxis in den Musikwissenschaften und eine allgemeine Geschichtsbegeisterung, die ebenfalls die Borduninstrumente in den Fokus rückte. Das geschah beiderseits des eisernen Vorhangs, wobei hier unbedingt das MDF, das internationale Dudelsackfestival, das seit 1967 in der tschechischen Stadt Strakonice stattfindet, erwähnt werden muss, von dem wichtige Impulse zur Erforschung und Wiederbelebung ausgingen.
Auch der 1969 angetretene Bezirksheimatpfleger der Oberpfalz, Adolf Eichenseer (1934–2015), beschäftigte sich eingehend mit der musikalischen Kultur der Oberpfalz. Für den historischen Bereich konnte er auf die Forschungen des Volkskundlers Prof. Dr. Walter Hartinger zurückgreifen, der Eichenseer großzügig mit Material versorgte. Hartinger hatte in den 1970er Jahren Musikpatente aus dem 18. Jahrhundert näher betrachtet und ausgewertet. So war ein gründlich aufgearbeiteter Quellenbestand, der vor allem einen Einblick in die Instrumentierung erlaubte, greifbar. Auf den konnte sich der Bezirksheimatpfleger beziehen.
Neben Informationen über die Herkunft und den Hauptberuf der Musikanten gaben die Patente auch Auskunft über die gespielten Instrumente. Dabei stellten nach den Streichinstrumenten – meist Geige und Bassgeige – die Dudelsäcke mit 31 % der gelösten Patente die zweitgrößte Gruppe. Es lag also durchaus nahe, den Dudelsack wieder in der Oberpfalz ansässig zu machen. Die Quellen lassen allerdings nicht immer Schlüsse auf die Art des Dudelsacks zu. Die Nomenklatur, die bis heute recht uneinheitlich ist, war im Laufe der Geschichte einem vielfachen Wandel unterworfen und sicherlich auch regional und individuell unterschiedlich.
Zweierlei Säcke
Grundsätzlich gibt es historisch gesehen in der Region wohl zwei Arten von Dudelsäcken zu unterscheiden – europaweit sind es natürlich noch einige mehr. Zum einen die Schäfer- oder Sackpfeife, die mit einem Doppelrohrblatt und konisch gebohrten Spielpfeifen sowie zwei im Quintabstand gestimmten Bordunpfeifen einen sehr durchdringenden Klang aufweist. Zum anderen Dudelsäcke oder Bockpfeifen, die mit zylindrisch gebohrten Pfeifen und einfachen Rohrblättern versehen sind und nur eine Bordunpfeife haben. Als Charakteristikum dieser Bockform sind außerdem die Stürze (Schalltrichter) aus Horn und Messing zu erwähnen, welche anderen Dudelsäcken fehlen. Der heute als charakteristisch wahrgenommene Blasebalg gehörte nicht zur historischen Grundausstattung, sondern kam im Laufe der Zeit hinzu. Er brachte den immensen Vorteil mit, dass nun auch zur Sackpfeife gesungen werden konnte.
In den Kursen haben sich zwei Formen etabliert, die sich durch die Positionierung der Bordunpfeife unterscheiden. Der Böhmische Bock mit rechtwinklig geknickter über die Schulter gelegter Bordunpfeife und der Egerländer Bock, bei dem die Pfeife vorne herabhängt. Diese gehören allerdings zu einer großen Teilfamilie des Dudelsacks, die sich vor allem im östlichen Mitteleuropa antreffen lässt und die wohl nicht unschuldig an der Namensverwirrung ist.
Das polnische und tschechische Wort für den Dudelsack ist dudy, was wohl auf die altkirchenslawische Wurzel du- (= blasen) bzw. auch slawisch dud- (= dröhnen, tönen) zurückgeht. Auch das türkische Wort düdük (= Flöte) ist immer wieder in der Diskussion.
Weite Verbreitung
Äußerlich und technisch ähneln Dudelsack-Instrumente von Estland über Polen und Tschechien bis Ungarn stark dem Böhmischen Bock. Fast alle haben außerdem einen mehr oder weniger kunstvoll geschnitzten Ziegenkopf.
Ab dem Ende des 16. Jahrhundert wurden die – optisch auffälligen – Säcke unter anderem am sächsischen Hof eine Modeerscheinung und wurden – wie in Frankreich die Musette oder die Drehleier – bei den barocken Schäferspielen der Adeligen eingesetzt. Als Polsche Dudel oder eben als Bockpfeife hielt das Instrument aus dem östlichen Europa auch in Österreich und dem östlichen Teil des heutigen Deutschlands Einzug und brachte im 17. Jahrhundert den Sack zum Dudeln bzw. das Dudeln zum Sack.
Musikantengruppe um Tibor Ehlers (re.) und Adolf Eichenseer (mitte) mit ihren erneuerten Böcken bei einem Umzug in Weiden/Oberpfalz 1983.
Niedergang und Renaissance
Nach einer Phase im 18. Jahrhundert, in der der Bock neben dem Gebrauch am Hof vor allem von fahrenden (Nebenerwerbs-)Musikanten verwendet wurde und mit Geige und Bass, später auch mit Klarinette zum Tanz aufspielte oder auch im kirchlichen Kontext zur Weihnachtszeit oder an Hochzeiten erklang, verschwanden die Instrumente im 19. Jahrhundert allmählich aus der bayerischen Öffentlichkeit. Blasmusik und vor allem die Ziehharmonika, schufen neue Hörgewohnheiten und die eher unflexiblen Borduninstrumente kamen aus der Mode.
Im 19. und frühen 20. Jahrhundert spielte der Bock noch eine wichtige Rolle bei der Konstituierung einer Egerländer Identität. So pflegten Egerländer Heimatvereine auch in Deutschland und Österreich das Spiel auf dem Dudelsack und hielten es sogar auf Grammophonaufnahmen fest.
Mittlerweile hat der Bock wieder Einzug in die Volksmusik gehalten, auch wenn die Hochphase wohl in den 1980er und 1990er Jahren lag, wo Gruppen wie die Ronhofer Bock- und Leiermusik, Ällabatsch, die Regensburger Bordunmusik und viele, viele weitere diesen individuellen Klang erlebbar machten. Dass aber immer noch Böcke gebaut werden, zeigt, dass das Interesse keineswegs abgeflaut ist und es scheint sich zur Zeit eine gewisse Renaissance der Renaissance anzubahnen. Und natürlich gibt es immer noch und wieder Gruppen von der Schweiz bis nach Unterfranken, die einen Bock erklingen lassen.
Lesetipps und Quellen
- Tobias Appl und Florian Schwemin (Hg.): Musik aus dem Egerland im Oberpfälzer Volksmusikarchiv. Die Sammlungen Johann Götz, Bachmann und Dobner. Mit Beiträgen von Georg Balling und Bernhard Hopfensperger (Mitteilungen aus dem Oberpfälzer Volksmusikarchiv und den Sammlungen der Kultur- und Heimatpflege des Bezirks Oberpfalz 3), Regensburg 2023.
- Georg Balling: Zur Geschichte der Sackpfeife in Bayern, in: Bayerischer Landesverein für Heimatpflege e.V. (Hg.): Der Dudelsack in Europa. Mit besonderer Berücksichtigung Bayerns. Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung (Volksmusiksammlung und –dokumentation in Bayern E5), München 1996, S. 5–14.
- Bayerischer Landesverein für Heimatpflege e.V. (Hg.): Der Dudelsack in Europa. Mit besonderer Berücksichtigung Bayerns. Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung (Volksmusiksammlung und -dokumentation in Bayern E5), München 1996.
- Armin Griebel: Der Dudelsack in der neueren Bordunmusikbewegung in Bayern, in: Bayerischer Landesverein für Heimatpflege e.V. (Hg.): Der Dudelsack in Europa. Mit besonderer Berücksichtigung Bayerns. Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung (Volksmusiksammlung und -dokumentation in Bayern E5), München 1996, S. 69–81.
- Walter Hartinger: Volkstanz, Volksmusikanten und Volksinstrumente in der Oberpfalz zur Zeit Herders (Studien zur musikalischen Volkstradition 1), Regensburg 1980.
- Stiftlandmuseum Waldsassen (Hg.): Der Dudelsack, Musikinstrument einer europäischen Region – Dudy – hudební nástroj jednoho evropského regionu. Begleitband zur Sonderausstellung, Waldsassen 1995.
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