Text: Evelyn Fink-Mennel Foto: Silvia Thurner, Ernst Bimminger, Alex Kaiser, Natalie Dönz
Eine Reise ins Vorarlbergische Große Walsertal lohnt sich in vielerlei Hinsicht. Seit 2000 darf sich das gut 3.400 Bewohner zählende Bergtal, das sich vom Walgau oder vom Bregenzerwald kommend bereisen lässt, UNESCO Biosphärenpark nennen. Ist also eine Modellregion für nachhaltiges Leben und Wirtschaften, das sich – in der Selbstbeschreibung laut website – dem »Leben im Einklang mit der Natur« verschrieben hat.
In der Tat und wörtlich genommen, gibt es in und aus diesem Tal klanglich immer wieder Besonderes zu hören. Schon der österreichisch-amerikanische Komponist Ernst Krenek schwärmte 1935 in seinen Ausflügen in die Westalpen von den »rätoromanischen viersilbigen Namen, von denen es in Vorarlberg eine ganze Menge gibt« und führt dabei das höchstgelegene Großwalsertaler Dorf Fontanella beispielgebend an. »Ich vermute, dass dieser Ort mich zum Teil seines romantischen Namens wegen anzog« (Krenek 1998, S. 930). Oder: Seit den 1970er-Jahren entwickelte sich die mittelalterliche Klosteranlage der taleigenen Propstei St. Gerold zu einem renommierten Veranstaltungsraum. Das bayerische Plattenlabel ECM mit Manfred Eicher nutzte dabei die klanglichen Vorzüge der Propstei-Kirche für Einspielungen, die zu internationalen Meilensteinen einer auf Tonträger gebrachten Klangkultur werden, u. a. 1993 mit dem Hilliard Ensemble und Jan Garbarek. Seit 2004 engagiert sich das Festival Walserherbst. Das steilste Festival in den Bergen für neue Konzepte der Belebung der alpinen Kultur im 21. Jahrhundert mit eigener Musikleiste und eigener Radix-Musikwerkstatt, die sich in der Vermittlung von regionaler und internationaler Volksmusik über die Landesgrenzen zur Marke etabliert hat (www.walserherbst.at/radix-musikwerkstatt).

Im Einklang mit der Natur – Das Wandfluh-Echo
Es gehört mit zu den Pionierprojekten des Festivals Walserherbst in Zusammenarbeit mit Einheimischen, dass im Großen Walsertal eine Echowand entdeckt werden konnte. Den Stein des Anstoßes gab der Walgauer Komponist und Umweltschallforscher Gerold Amann (geb. 1937, »Vater der musikalischen Moderne« in Vorarlberg), der 2003 die Vision äußerte, im Zusammenspiel mit einer Felswand Werke der Kunst- und Volksmusik mit natürlichen Echowirkungen interpretieren zu können – anstatt wie üblich, die Echos von Musizierenden hinter der Bühne künstlich einzuspielen. Damit führte Amann die lang vorausgegangenen Experimente eines Athanasius Kircher aus dem 17. Jahrhundert mit »Hall- und Echowirkungen« einer neuen Umsetzung zu, die über Kirchers Experimente in großen Kirchenbauten, an Stadtmauern, Haus- und Kunstgebäuden oder gar künstlich gebauten Echo-Schallwänden hinausgehen. Amanns Experiment mit der Wandfluh-Felswand in Sonntag/Stein konnte 2004 erstmals der Öffentlichkeit im Rahmen eines Echokonzertes als »Hörspiel in der Natur, mit dem Echo als zweiter Stimme« bekannt gemacht werden. (https://walserherbst.at/veranstaltung/echo-konzert-an-der-wandfluh/).

Allzeit bereit: Mit den bereitliegenden Flüstertüten wird die Aussichtskanzel gegenüber der Wandfluh zum akustisch- musikalischen Spielplatz.
Foto: Alpenregion Bludenz Tourismus GmbH, Natalie Doenz

Im Biosphärenpark Großes Walsertal in Vorarlberg säumen Klanginstallationen den Themenweg Klangraum.Stein.
Foto: Alex Kaiser, Alpenregion Bludenz Tourismus GmbH
Echo ist nicht Hall
Nachhall (umgangssprachlich Hall) bezeichnet im Unterschied zum Echo (Widerhall) kontinuierliche Reflexionen von Schallwellen die wir, durch viele Reflexionsflächen bedingt (in einem geschlossenen Raum oder in einem natürlich begrenzten Bereich), als undifferenziertes, diffuses Klanggemisch wahrnehmen. Ein Echo hingegen entsteht, wenn ein Schallimpuls zweimal, in gleicher Tonhöhe und leiser reflektiert, gehört werden kann. Dabei kann man mit zwei Erscheinungsformen des Echos spielen, die man – bei entsprechender, unterschiedlicher Positionierung von Sender (Primärquelle) und Empfänger (Hörer): Das Naturecho als 1) Widerhall (s. h. Notenbeispiel) oder als 2) gleichzeitig zur Primärquelle hörbare zweite Stimme für ein Kanonmusizeren (s. h. Skizze bzw. Digitalstempel Hei-ti Jodler und Echofanfare).
Echo-Konzept (Widerhall)
Echo als Widerhall wird nach allgemeiner Auffassung nach dem Ende des Primärsignales gehört (vgl. Notenbeispiel). Bei längeren Rufen (oder Melodiefolgen) ist dabei nur das Ende des Primärsignales zu hören:
- Ruf: »Wie heißt der Bürgermeister von Wesel?« Echo: »Esel«
- Ruf: »Was machen die Vorarlberger?« Echo: »Ärger«
Wo aber bleibt der Beginn des Rufes? Während des Rufens wird das von Natur aus leiser klingende Echo vom Rufenden selbst übertönt und erst nach dem akustischen Ende des Primärsignals wird das Rest-Echo hörbar (frei nach Ovid, Narcissus und Echo 3,339–510: »… dass sie zurück nur gab von gereihten Worten die letzten«). Will man nun das Echo auch während des Rufens/Spielens hörbar machen und auf diese Weise mit ihm z. B. im Kanon Musizieren, ist eine besondere – bisher nicht entdeckte (?) – Aufstellung von Musikern und Publikum notwendig. Denn nur das Publikum kann gleichzeitig beide Stimmen im Kanon hören.
Steine reden

Skizze: Bedingungen für das Gelingen des Echo- Kanon- Konzeptes: Die zwei vom Sender geschaffenen Schallquellen treffen sowohl als a) von einer natürlichen Kuppe (gelb unterlegt) gebrochenes Primärsignal an die Hörer sowie als b) von der Echowand reflektierter Schall (rot markiert) zum Publikum, das die beiden Schallquellen (Stimmen) zusammen im Kanon hören kann.
Echo-Konzept (Kanon)
Für Kanon-Wirkungen sind (beim Wandfluh-Echo) zwei entscheidende Bedingungen zu erfüllen:
a) Sender (Sänger, Spieler, Rufende) und Zuhörer stehen auf verschiedenen Positionen. Dabei muss b) das Primärsignal vom Sender zum Hörer durch ein entsprechendes Hindernis (z. B. Kuppe, Senke, Hügel, dichtes Gebüsch, …) gedämpft werden, während der Schallweg von der Echowand zum Hörer offensteht (vgl. Skizze). So erreichen das Primärsignal und das Echo den Zuhörer etwa gleich laut und der Kanon ist hörbar.
Wird in dieser Position nach der Skizze ein einstimmiges Primärsignal zur Wand geschickt, kommt beim Publikum ein zweistimmiges Klangereignis an. Singen/Spielen zwei Musiker zur Echowand, hört das Publikum einen von Natur gemachten vierstimmigen Satz.
Für die Covid-Ausgabe des Festivals Montforter Zwischentöne wurde 2020 das musikalisch-akustisch bemerkenswerte Phänomen Wandfluh-Echo in Sonntag/Stein dokumentiert. Hören und sehen Sie selbst, wie das Naturecho mit Musik des Renaissance-Komponisten Orlando di Lasso Ola! O che bon eccho! (Echolied 1581) (Echo-Konzept Widerhall) und dem Hei-ti-Jodler und Gerold Amanns Echofanfare (Echo-Konzept Kanon) das naturräumliche Zusammenspiel von Musikern und dem Musikinstrument Felswand eindrücklich vor Augen und zu Ohren führt.
Im Rahmen des diesjährigen Walserherbst von 15. August bis 6. September 2025 wird im Umfeld der Radix-Musikwerkstatt (aber nur bei entsprechend guter Wetterlage) eine begleitete Echowanderung durchgeführt. Informationen über www.walserherbst.at. Sollten Sie sich dafür auf den Weg ins Großwalsertaler Gebirge machen wollen, dann bringen Sie gerne auch ihren Lieblings-Jodler oder ihre Trompete mit! Denn das Wandfluh-Echo will bestimmt auch mit Ihnen Musizieren! Seien Sie herzlich willkommen!

Zur Autorin
Die Musikerin, Sängerin, Musikethnologin und Pädagogin Evelyn Fink-Mennel stammt aus Vorarlberg. Sie studierte an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien Instrumentalpädagogik mit Hauptfach Violine und beendet das Studium 1998 mit einer Diplomarbeit über den Jodler im Bregenzerwald. Anschließend absolvierte sie den Lehrgang für Tonsatz nach Heinrich Schenker und ein Masterstudium Kulturmanagement. Bei zahlreichen Projekten, wie der Radix Musikwerkstatt, die Musikwerkstatt Glatt & Verkehrt, der Bregenzerwälder Fiddle-School oder bei Mit-Tanzen gibt sie ihre sprühende Energie am gemeinsamen Singen, Musizieren und Tanzen weiter. Seit 2008 hat sie einen Lehrauftrag am Vorarlberger Landeskonservatoriumund betreut dort das Zentrum Folk- und Volksmusikforschung Bodenseeraum.
https://evelynfinkmennel.at
Aufmacher:
Literaturhinweise
- Amann, Gerold (o. J.), Echo-Kanon-Konzept »Mit dem Echo im Kanon« (https://mudok.at/amann-gerold/#Werkliste)
- Krenek, Ernst, Im Atem der Zeit. Erinnerungen an die Moderne.
[Aus dem amerikanischen übersetzt]. Hamburg 1998. - Zum 1. Echokonzert: https://walserherbst.at/veranstaltungen/archiv/2004/www.walserherbst.at/archiv/
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