»… åba Stutzerl hoaßt mei Henn!«

Von tierischen Reichtümern

8. März 2024

Lesezeit: 6 Minute(n)

Text: Eva Maria Hois Fotos: Komische Oper Berlin/Iko Freese

Wenn ich einmal reich wär« (»If I were a rich man»), singt der Milchmann Tevje im 1964 am Broadway uraufgeführten und bis heute gerne gespielten Musical Anatevka (englischer Originaltitel Fiddler on the Roof), das 1971 verfilmt wurde und drei Oscars gewann. Das Libretto stammt von Joseph Stein (1912–2010) und beruht auf dem zwischen 1894 und 1914 in acht Teilen erschienenen Roman Tewje der milchiker (Die Geschichte Tewjes des Milchhändlers, deutsch 1914) des bedeutenden jiddisch-sprachigen Schriftstellers Scholem Alejchem (1859–1916). Die Liedertexte verfasste Sheldon Harnick (1924–2023), die deutsche Übersetzung besorgten Rolf Merz und Gerhard Hagen, die Musik wurde von Jerry Bock (1928–2010) komponiert.

Nachdem er den Wunsch geäußert hat, reich zu sein, erzählt der arme Händler und Vater dreier Töchter, was er mit dem Geld vor hat: Seine Frau würde mit Geschmeide beladen und herausgeputzt wie ein Pfau herumstolzieren und ließe sich die feinsten Delikatessen servieren. Tevje selbst wäre in materieller Hinsicht viel bescheidener: Er müsste nicht mehr arbeiten, sondern hätte endlich Zeit, in die Synagoge zu gehen, um dort zu beten und mit Gelehrten die Bibel zu diskutieren – als gesuchter und bewunderter Ratgeber wie einst der weise König Salomon. Und mitten in der Stadt baute er sich ein Haus mit einer breiten, langen Treppe, einem festen Dach und Türen aus geschnitztem Holz. Dieses wäre aber kein gewöhnliches Stadtpalais, sondern ein die Herkunft des Hausherrn verratender Bauernhof:

»Mein Hof wär voll von Hühnern und Gänsen und Enten
und was da sonst noch kräht und schreit.
Alles quakt und schnattert so laut es kann.
Das ist ein Quak und Quiek und Tüt, Kikeriki,
wird das ein Spektakel weit und breit
Und jeder hört: Hier wohnt ein reicher Mann.«

Gerade die einfachen Menschen, die oft ums tägliche Überleben kämpfen mussten, kannten den Wert eines Tieres, das Nahrung liefert und somit das Überleben sichert. Nicht umsonst heißt es »Schwein gehabt!«, denn wer ein Schwein besaß, musste keinen Hunger leiden. Und da eine Sau zwei Mal im Jahr rund ein Dutzend Ferkeln wirft, kann sich der Besitz mitunter schnell vermehren.

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Tierisches Schwell-Lied

Die von Tevje besungenen Tiere erinnern an ein anderes Lied; der in diesem Fall noch junge Sänger träumt aber nicht von Reichtümern, sondern möchte endlich groß, also erwachsen sein, weiß er doch schon ganz genau, was er dann gerne hätte. Mit »Luftschlösser« betitelten Franz Ziska (1786–1855) und Julius Max Schottky (1797–1849) das im Schneeberggebiet aufgezeichnete Kinderlied Wånn i amål groß bin, das sie 1819 in den Oesterreichischen Volksliedern mit ihren Singeweisen veröffentlichten.1 Bevor es aber zur Aufzählung der gewünschten Vierbeiner kommt, wird hier über Frau, Kind, Dirn, Knecht, Haus, Brunnen und Stall gesungen, die allesamt einen scherzhaften Namen bekommen – abseits der Massentierhaltung ist es ja noch immer üblich, nicht nur Haus-, sondern auch Nutztieren einen Namen zu geben. Das Lied beginnt wie folgt:

»Wånn i amål groß bin,
muass i a Wai2 ah håb’n;
mecht i gearn wiss’n,
wia main Wai hoaßt?
Kiarialai! Hoaßt main liab’s Wai.«
Wann i amal groß bin aus den 1819 erschienen Oesterreichischen Volksliedern von Franz Ziska und Julius Max Schottky.
In jeder Strophe kommen ein neuer Besitz und dessen Bezeichnung hinzu – »Fiarcht ’n Schtok hoaßt main Bok, Måch ma G’schpaß hoaßt main Goaß, Tråpp in ’s Mos hoaßt main Ros, Gib ma g’nua hoaßt main Kua«, um nur die Tiere zu erwähnen –, das schon Vorhandene wird ebenfalls wieder aufgezählt; es handelt sich also um ein so genanntes Schwell-Lied.

Mit ähnlicher Melodie und denselben Tiernamen fand dieses Lied »ohne Schwellung« in einer Bearbeitung von Franz Volkert (1767–1845) unter dem Titel Wann i amal Geld hab3 Eingang in das 1820 uraufgeführte Zauberspiel Staberl in Marokko von Ferdinand Rosenau (1785–1841).

Das arme Weib und seine Tiere

Eine vergleichbare Auflistung humorvoller Namen findet sich unter dem Titel Knecht, Magd, Ochs, Esel, und alles, was mein ist4 schon im dritten Band von Achim von Arnims (1781–1831) und Clemens Brentanos (1778–1842) Textsammlung Des Knaben Wunderhorn aus dem Jahr 1808.5 Als Quelle wird hier eine verschollene oberschwäbische Liederhandschrift aus dem 18. Jahrhundert angeführt. Die erste Strophe lautet:

»Als ich ein armes Weib war,
zog ich über den Rhein,
bescheert mir Gott ein Hühnelein,
war ich ein reiches Weib.
Gieng ich über die Wiese,
fragten alle Leute,
wie mein Hühnlein hiese,
Bibberlein heißt mein armes Hühnelein.«

Die weiteren Tiernamen lauten »Entequentlein« (Ente), »Wackelschwänzlein« (Gans), »Klipperbein« (Ziege), »Schmortöpflein« (Schwein), »Gute Muh« (Kuh), »Ehrenwerth« (Pferd), »Wettermann« (Hahn) und »Hüpf ins Stroh« (Floh).

Hausgesinde und Hausbestand

Der Text – ohne das einleitende »wenn ich einmal groß/reich bin« – ging als 15 Strophen umfassendes Hausgesinde ein in das 1848 publizierte Deutsche Kinderbuch6 von Karl Simrock (1802–1876) sowie als Der Mutter Hausbestand in Deutsches Kinderlied und Kinderspiel,7 herausgegeben 1897 von Karl Magnus Böhme (1827–1898). In dieser Sammlung finden sich unter der Nummer 1266 b auch drei weitere Textfassungen des Schwell-Liedes ähnlichen Inhalts, darunter Widewidewenne heißt meine Puthenne mit der noch heute geläufigen Singweise, wie sie 1852 von Franz Pocci (1807–1876) und Karl von Raumer (1783–1865) in Alte und neue Kinderlieder publiziert wurde.8 Hier werden die tierischen vor den menschlichen Mitbewohnern aufgezählt; sie heißen unter anderem »Kann nicht ruhn« (Huhn), »Schwarz und weiß« (Geiß), »Dreiebein« (Schwein), »Kunterbunt« (Hund) und »Schlupf heraus« (Maus).

Eine melodische Variante aus Österreichisch-Schlesien wurde aufgenommen in das 1911 erstmals publizierte dritte Heft des Deutschen Schulliederbuchs9 von Hans Fraungruber (1863–1933) und Josef Pommer (1845–1918).

1912 zeichnete Roman Maier (1884–1965) eine Kurzfassung mit einer vollkommen anderen Melodie und dem Anfang »Gågalone haßt mei Hohne« bei der Kellnerin Gisela Biedermann in Einöde (Oberkärnten) auf, die Anton Anderluh (1896–1975) 1970 in Kärntens Volksliedschatz III/2 veröffentlichte.10 Karl Liebleitner (1858–1942) notierte das Schwellied in Niederösterreich, und zwar 1924 bei Gretl Spies in Vordebrühl und 1935 bei Franz Hantsch in Mödling.

Widewidewenne heißt meine Puthenne aus Alte und neue Kinderlieder von Franz Pocci und Karl von Raumer, 1852.
Gågalone haßt mei Hohne aus Kärntens Volksliedschatz von Anton Anderluh, 1970.

Wenn ich einmal groß/reich bin

Die Fassung des Sängerquartetts Almbleamerl aus Hirschwang bei Reichenau an der Rax, ebenfalls Niederösterreich, wurde von den Kindern der Familien Härtel und Mogel zurechtgesungen und 2003 vom Steirischen Volksliedwerk veröffentlicht in Kinderlieder hopsassa.11 Eine melodisch davon abweichende Überlieferung aus dem burgenländischen Schattendorf findet sich in Claudia Pichlers und Tanja Hofers Kinderlieder aus dem Burgenland von 2011.12 Auch die Tiere tragen hier zum Teil andere Namen, und zwar »Langer Hans« (Gans), »Gackeradl« (Fadl/­Ferkel), »Renn im Kroas« (Geiß) sowie »Schau und lous« (Ross).

So ein Schwell-Lied ist nicht nur unterhaltsam, sondern auch eine gute Gedächtnis-Übung, und das nicht nur für junge Sängerinnen und Sänger. Probieren Sie es doch wieder einmal aus – das wäre durchaus noch ein guter Vorsatz für das noch recht junge neue Jahr. Also:

»Jetz is aus hoaßt mei Maus,
Kråtz kråtz kråtz hoaßt mei Kåtz,
Hålt die Gosch hoaßt mei Frosch,
Zupfn weg hoaßt mei Zeck,
Didl dadl hoaßt mei Fadl,
Låß an Schoaß hoaßt mei Goaß,
Quintn quantn hoaßt mei Antn,
Gib a Ruah hoaßt mei Kuah,
Tritt ins Moos hoaßt mei Roß,
Pumperlgsund hoaßt mei Hund,
Kikrigo hoaßt mei Håhn,
åba Stutzerl hoaßt mei Henn!«13

Anmerkungen:
  1. Franz Ziska und Julius Max Schottky: Oesterreichische Volkslieder mit ihren Singeweisen, Pesth 1819, S. 16; siehe u. a. auch Franz Rebiczek und Arthur Johannes Scholz: Es steht ein Schloß in Österreich … Sammlung österreichischer Volkslieder, Wien 1924, S. 93, Kurt Huber und Kiem Pauli: Altbayerisches Liederbuch für Jung und Alt, Mainz [um 1936], S. 6, Volker Derschmidt: A bisserl a Liab … 27 alpenländische Liebeslieder in volksmäßiger Mehrstimmigkeit (= Volkslied und Volksmusik in Oberösterreich 75), Gunskirchen 1986, S. 22 sowie Christoph Well u. a. (Hg.): Zing Zang Zing – Sepp Depp Hennadreck II. Lustige bayerische Kinderlieder, Reime, Gedichte und Volkstänze, München 2001, S. 90.
  2. Weib.
  3. Blanka Glossy und Robert Haas (Bearb.): Wiener Comödienlieder aus drei Jahrhunderten, Wien 1924, S. 114.
  4. Ochs und Esel werden nur im Titel erwähnt, kommen im Liedertext selbst aber nicht vor.
  5. Achim von Arnim und Clemens Brentano: Des Knaben Wunderhorn 3, Heidelberg 1806, Kinderlieder Nr. 41.
  6. Karl Simrock: Deutsches Kinderbuch. Altherkömmliche Reime, ­Lieder, Erzählungen, Übungen, Rätsel und Scherze für Kinder, Frankfurt am Main 1848, Nr. 523.
  7. Karl Magnus Böhme (Hg.): Deutsches Kinderlied und Kinderspiel. Volksüberlieferungen aus allen Landen deutscher Zunge, Leipzig 1897, Nr. 1264.
  8. Franz Pocci und Karl von Raumer (Hg.): Alte und neue Kinderlieder, Leipzig 1852, Nr. 9.
  9. Hans Fraungruber und Josef Pommer: Deutsches Schulliederbuch 3, Wien 1911, S. 71.
  10. Anton Anderluh: Kärntens Volksliedschatz III/2, Klagenfurt 1970, Nr. 258.
  11. Ingeborg Härtel und Monika Mogel: Kinderlieder hopsassa! Lieder, Reime, Tänze …, Gnas 2003, S. 28.
  12. Claudia Pichler und Tanja Hofer: Kinderlieder aus dem Burgenland. Ein didaktisches Lehrbuch zum Gebrauch an Volksschulen und Kindergärten, Oberschützen 2011, S. 37.
  13. Ingeborg Härtel und Monika Mogel: Kinderlieder hopsassa! Lieder, Reime, Tänze …, Gnas 2003, S. 28.

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