Viel mehr als Schäfchen zählen

Zu Besuch bei einem Wanderschäfer im Bayerischen Wald

17. November 2023

Lesezeit: 4 Minute(n)

Den ganzen Tag in der Natur herumstehen und damit sein Geld verdienen? So schätzen Laien die Arbeit eines Schäfers ein. Michael Meier kennt die Realität. Der 29-Jährige ist Wanderschäfer – der einzige im Landkreis Regen im Herzen des Bayerischen Waldes.
Text und Fotos: Ingrid Frisch
Die Schäferschippe, ein Holzstab mit Schaufel und Haken, ist ein wichtiges Werkzeug von Schäfer Michael Meier.

Foto: Ingrid Frisch

Die Szene wirkt fast kitschig: Michael Meier steht, an einen langen Holzstab gestützt, am Rand einer Wiese bei Auerbach (Gemeinde Zachenberg). Wenn nicht gerade eines seiner rund 800 Schafe blökt, herrscht absolute Stille. Diese Idylle ist sein Arbeitsplatz. Gerade zieht er mit seiner Herde durch die Gemeinde Zachenberg, in der er seit seiner Heirat zuhause ist.

Sein Beruf wurde ihm quasi in die Wiege gelegt: Schon sein Vater, Opa und auch der Uropa waren Schäfer im Landkreis Straubing-Bogen. Er konnte noch nicht laufen, da musste ihn die Oma schon zum Opa und zu den Schafen bringen, erinnert sich der 29-Jährige.

Schäfer-Lehrlinge sind Exoten

Auf Drängen des Vaters lernte Michael Meier trotzdem erst einmal einen zukunftsträchtigeren Beruf: Maurer. Aber die Schafe ließen ihn nicht los. Mit 20 startete er in Neustadt an der Donau eine zweite Ausbildung zum Schäfer, ein Beruf, der auf dem Weg ist auszusterben. In Bayern, dem schafreichsten Bundesland, gibt es nur mehr eine Handvoll Schäfer-Azubis pro Jahr.

Lehrreich waren für den frischgebackenen Schäfer seine eineinhalb Jahre als Betriebshelfer auf Schafhöfen in Nieder- und Oberbayern und in der Oberpfalz. Seit 2019 nun ist Michael Meier Bayerwaldler und Herr einer eigenen Schafherde. Mit seinem Bruder hält er eine zweite Herde, die im Straubinger Gäu unterwegs ist. Michael Meiers Jahresablauf ist getaktet: Ab Mitte April beweidet er für rund vier Monate den Truppenübungsplatz der Panzergrenadiere in Regen. Die Flächen hat er gepachtet, genauso Weiden am Geißkopf und auf der Rusel, wohin er im Anschluss mit seinen Schafen zieht. Diese Form der Landschaftspflege wird aus Fördertöpfen finanziert und ist seine Haupteinnahmequelle. »I leb quasi vom Staat«, sagt er. Er ist aber kein Almosenempfänger, sondern hat eine Sieben-Tage und Siebzig-Stunden-Woche.

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Morgens und abends hat er daheim in Gottlesried (Gemeinde Zachenberg) seine vier Altdeutschen Hütehunde Isi, Inge und die jungen Bazi und Resi, die er gerade anlernt, zu versorgen – und die daheimgebliebenen Tiere. Der Stall, den er dort mit viel Eigenleistung gebaut hat, bietet Platz für rund 130 Tiere – Schafe mit ihren neugeborenen Lämmern, die noch nicht mit der Herde mitlaufen können oder kranke Tiere.

Der Alltag eines Wanderschäfers hat mit entspanntem Schäfchenzählen nichts zu tun. Auch wenn er scheinbar traumwandelnd auf der Wiese steht, hat Michael seine Tiere immer im Auge: Laufen alle ordentlich oder hinkt eines? Dann ist in der Fresspause Klauenpflege angesagt. Gibt es Anzeichen von Krankheiten? Wie lange reicht das Futterangebot, damit die Schafe sieben Stunden fressen können? Gibt es Störfaktoren? An heißen Sommertagen muss er für genug Wasser sorgen, denn die Herde braucht dann zwischen 2.000 und 4.000 Liter täglich. Wo es keine Tränke gibt, versorgt er sie aus Tanks auf seinem Anhänger.

Im Herbst und Winter beweidet er abgeerntete Flächen von Bauern im Landkreis. »Leb’n und leb’n lassn«, diese Haltung erlebt er in der Region noch häufig, wenn ihm Bauern ihre Wiesen überlassen. Mittlerweile weiß er, wo er und seine Tiere, die die Nächte auf der jeweiligen Weide in einem mobilen Pferch hinter einem Elektrozaun verbringen, willkommen sind.

»Mit’m Vieh arbeiten is schee!«

Mit seinen rund 800 Merinoschafen beweidet Michael Meier im Herbst abgeerntete Flächen. Nach einem kalten Frühjahr und trockenen Sommer wuchs im Spätsommer noch reichlich Gras.

Optimismus in harten Zeiten

»Irgendwie geht’s immer«, diese zuversichtliche Einstellung lässt ihn an seiner Passion festhalten. Obwohl es härter wird: Der Preis für Schafwolle ist dauerhaft im Keller, Kosten für Tierarzt und Medikamente steigen – Schafe müssen zwei Mal jährlich, Lämmer bis zu fünf Mal entwurmt werden –, während der Ertrag für Lammfleisch gesunken ist.

Sein Opa konnte von 300 Schafen leben, er braucht mit seinem Bruder zusammen mindestens 1.100 Tiere. Ein kleiner finanzieller Lichtblick ist die Mutterschafprämie, die neu aufgelegt worden ist. Trotz des finanziellen Balanceaktes ist Schäfer für Michael ­Meier der Traumberuf. »Mit’m Vieh arbeiten is schee, und ’s draußen sei aa«, sagt er. Während viele der Generation Z von einer Vier-Tage-Woche träumen und für sie mindestens eine große Reise zum Jahresablauf gehört, ist Michael Meier glücklich, wenn seine Tiere wohlauf sind und er sie um sich hat. Ganze zwei Tage war er in den vergangenen fünf Jahren nicht bei seinen Schafen.

Michael Meier

Foto: Ingrid Frisch

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