Mit Nadel und Zwirn Trachtenträume verwirklichen …

Ein Blick in das Steirische Heimatwerk und die Entwicklung der steirischen Trachtenvielfalt

10. März 2025

Lesezeit: 5 Minute(n)

Text: Eva Heizmann Fotos: Heimatwerk/The Schubidu Quartet, Heimatwerk/Luef

Über 315 unterschiedliche steirische Frauentrachten und rund 100 Männertrachten in regional geprägten Ausführungen sind heute im Steirischen Heimatwerk dokumentiert und werden in den beiden hauseigenen Schneidereien in Maßfertigung genäht. Fünf Schneiderinnen und zwei Lehrlinge sind es in der Damenschneiderei, die hier Dirndlträume nach überlieferten Vorlagen fertigen. Mit großem Fachwissen ausgestattet sind auch die vier Schneider und Schneiderinnen in der Herrenschneiderei, die gemeinsam mit zwei Lehrlingen unterschiedliche Modelle von Steireranzügen, Jankern und Gilets herstellen. Auf die Weitergabe des Fachwissens zur steirischen Tracht wie auch der Fertigungstechniken wird im Steirischen Heimatwerk als Teilbereich der Volkskultur Steiermark GmbH großer Wert gelegt – sowohl in der Lehrlingsausbildung als auch in Publikationen und Workshops. Ermöglicht werden diese Vermittlungsaktivitäten durch den Kulturauftrag, den die Volkskultur Steiermark GmbH als Tochterunternehmen des Landes Steiermark umsetzt.

Tracht- und Volksliedpflege im 19. Jahrhundert

Um verstehen zu können, warum wir heute in der Steiermark über eine derart lebendige und umfassende Trachtenvielfalt verfügen, müssen wir einen Blick zurück ins 19. Jahrhundert werfen. Dieser Blick ist insofern spannend, weil er verdeutlicht, wie eng verknüpft die Bestrebungen zur Pflege der Tracht und des Volksliedes damals waren. Es mag schon fast nach einem Mythos klingen, dass alles Volkskulturelle ebenso wie vieles Fortschrittliche in der Steiermark seinen Anfang bei Erzherzog Johann von Österreich (1782–1859) nahm. Aber die Fakten belegen, dass dies tatsächlich so war und der oft als Steirischer Prinz bezeichnete Erzherzog setzte auch beim Volkslied und der Tracht entscheidende Impulse.

Weitum bekannt sind seine statistischen Erhebungen, die er ab 1810 in der Steiermark durchführen ließ und im Zuge derer auch die Gebräuche und Kleidung der Bewohner dokumentiert werden sollten. Weniger geläufig ist das Wirken des steirischen Komponisten und Flötisten Jakob Eduard Schmölzer (1812–1886) – vor allem jenes im Bezug auf die Tracht. 1857 trat Erzherzog Johann mit der Bitte an Schmölzer heran, er möge »auf das Wiederaufleben und auf die Verbreitung des steirischen Volksliedes hinwirken.«1 Denn es schien damals, als »gäbe es kein steirisches Lied, keinen steirischen Tanz, kein steirisches Kleid mehr.«2 Schmölzer unternahm daraufhin umfassende Feldforschungen zur Aufzeichnung steirischer Volkslieder, publizierte sie und trug dadurch zu deren Verbreitung bei. Motiviert durch seine Erfolge im Bereich des Volksliedes, versuchte Schmölzer weitere Schritte zur Bewusstseinsbildung für das Steirische zu unternehmen. Mit dem Veranstaltungsformat eines sogenannten Steirerabends, bei dem steirisch gesungen, getanzt, musiziert und gesprochen werden und bei dem die Besucherinnen und Besucher in steirischer Tracht erscheinen sollten, versuchte er, in der Bevölkerung Begeisterung für steirische Traditionen zu wecken.

Jakob Eduard Schmölzer (1812–1886)

Schmölzer fand für dieses Unternehmen namhafte Unterstützer – beispielsweise den steirischen Dichter Peter Rosegger (1843–1918), der dem ersten Steirerabend am 12. Februar 1870 in Kindberg (im steirischen Mürztal) auch persönlich beiwohnte.3 Aufgrund des Erfolgs des Steirerabends – »eine Unterhaltung auf steirisch-nationaler Grundlage«4 – kam es zu Nachahmungen dieses Veranstaltungsformates in der ganzen Steiermark. Auch die heutigen, sehr beliebten Bälle in steirischer Tracht gehen auf jene ersten Steirerabende in den 1870er-Jahren zurück. 1879 schrieb Rosegger über den Erfolg dieser Veranstaltungen: »[Sie] sind keine bloßen Faschingsbälle in Costüm, sie haben eine tiefere Bedeutung, sie wecken mit der heimatlichen Sitte wirklich das Vaterlandsgefühl. Allerorts im Lande sieht man heute wieder steirische Tracht und den herrlichen steirischen Tanz […].«5 Denn die ländliche Bevölkerung hatte ab den 1850er-Jahren die traditionelle Kleidung mehr und mehr abgelegt und kleidete sich immer häufiger nach städtischem Vorbild. »In den Städten und Märkten […] ist die steirische Tracht gänzlich verschwunden, nur ab und zu begegnet man einem Träger des grünen Hutes und der grauen Jacke mit dem grünen Stehkragen.«6, stellte Johann Krainz um 1890 fest. Hätte es nicht derartige Initiativen aus der bürgerlich-städtischen Gesellschaft – wie beispielweise die genannten Steirerabende – gegeben, wäre die Tracht in der Steiermark um 1900 endgültig ausgestorben gewesen, befand der steirische Volkskundler und Trachtenforscher Viktor Geramb (1884–1958).7

Gelebte steirische Trachtenvielfalt – zeitlos & nachhaltig.

Tracht – traditionell & zeitgemäß

Seit dem frühen 20. Jahrhundert entwickelte sich in der Steiermark eine bewusste Trachtenerneuerung, denn für historische Trachten aus oftmals sehr schweren und unbequemen Materialien konnte damals kaum noch jemand begeistert werden. Die grundlegenden Forderungen dieser Trachtenerneuerungsbewegung, die allen voran von Viktor Geramb getragen wurde, waren zeitgemäße Schnittformen und Materialien. Es ging nicht darum, historische Gewandstücke unverändert nachzuschneidern, sondern darum, Grundformen überlieferter Kleidung weiterzuentwickeln und somit für die jeweilige Gegenwart tragbar zu machen. Diese Grundidee ist für die Entwicklung der Tracht in der Steiermark und in der Folge auch für die meisten österreichischen Bundesländer typisch und unterscheidet den österreichischen Weg markant von jenem unserer südlichen und östlichen Nachbarländer wie auch anderer europäischer Staaten. Von dort sind uns Trachtengruppen in historischen Gewändern geläufig, die bei Umzügen, Tanzvorführungen oder ähnlichen Anlässen die vergangene Volkskultur ihrer Herkunftsregion präsentieren. Aus dem alltäglichen Straßenbild sind Trachten dort allerdings verschwunden.

Die steirische Trachtenerneuerung ist jedoch kein historisches Phänomen. Gerade in der Zeit von 1970 bis 2000 wurden – auf Wunsch der Bevölkerung und auf Basis überlieferter Grundformen – für viele steirische Gemeinden und Kleinregionen neue Trachten entwickelt, wodurch die Tracht stets lebendig und zeitgemäß blieb. Jede Tracht trägt übrigens ihren Namen, der sich auf Regionen (z. B. Joglland Alltagstracht), Gemeinden (z. B. Stainzer Janker) oder andere regionaltypische Merkmale (z. B. Winzerinnendirndl) der Steiermark bezieht. Die heute bemerkenswerte Formenvielfalt der steirischen Tracht geht somit auf das Engagement von unzähligen Steirerinnen und Steirern zurück. Sei es durch ihre Weitergabe der Begeisterung für unsere Trachten, in ihrem Bemühen um die Entwicklung einer eigenen Ortstracht oder sei es durch die Ausübung einer Handwerkskunst, die für die Herstellung unserer Trachten erforderlich ist.

Das Heft Zeitgemäße Steirer- Trachten wurde 1936 vom Volkskundler Viktor Geramb (1884–1958) herausgegeben.

Tracht ist gelebtes Handwerk

Tracht und Handwerk sind untrennbar miteinander verbunden. Man glaubt gar nicht, wie viele unterschiedliche Handwerksberufe auch heute noch in die Trachtenfertigung eingebunden sind: Als allererstes denkt man zumeist an die Schneiderinnen und Schneider, die natürlich im Zentrum der Trachtenherstellung stehen, aber damit ist es nicht getan: Die Lodenwalkerei, die Seidenhanddruckerei, das Schuhmacherhandwerk, die Gerberei, die Lederhosenerzeugung, die Knopferzeugung wie auch das Gold- und Silberschmiedehandwerk für die Fertigung des dazu passenden Trachtenschmucks seien hier beispielhaft angeführt. In der Steiermark kann man all diese Handwerksberufe dankenswerterweise noch vorfinden. In ihren Werkstätten werden Handarbeit und höchste Qualität großgeschrieben. So entstehen steirische Trachten – von Kopf bis Fuß – in höchster Qualität, die im besten Sinne der Nachhaltigkeit zu individuellen Begleitern auf Lebenszeit werden.

www.steirisches-heimatwerk.at

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