Text: Wolfgang Dreier-Andres Fotos: Wolfgang Dreier-Andres, Archiv Salzburger Volkskultur, Archiv des Salzburger ĀVolksliedwerkes, Bergrettung Abtenau
Ich muss mir eine neue Sonnenbrille kaufen! Besser gesagt, eine neue Sport-Sonnenbrille. Sagt meine jüngere, sportliche Kollegin. So ein Ding nämlich, wie ich es jetzt grade aufhätte, würde man ja seit mindestens zwanzig Jahren nicht mehr tragen. Viel zu schmal, macht mich nochmal mindestens zehn Jahre älter, gefühlt aus den Neunzigern. Und dann erst diese komischen verspiegelten Gläser!
Aha! Da ist dann wohl einiges an mir vorübergegangen die letzten Jahr(zehnt)e. Hatte mich bisher aber gar nicht gestƶrt. Um dennoch meinen guten Willen zum Fortschritt zu demonstrieren, versuche ich in der Mittagspause, mein diesbezügliches Informationsdefizit auszugleichen ā und finde massenhaft Bilder von ebenfalls, aber irgendwie anders verspiegelten, in allen Regenbogenfarben schimmernden Halbgesichtsvisieren, die sich preislich bei den monatlichen Leasingraten für eine Mittelklasse bewegen. Ā»Muass so wĆ„s heid wirklich übers hoabate Gsicht geh?Ā«, frage ich meine Kollegin entgeistert. Ja schon, das sei halt jetzt so, lautet die sinngemƤĆe Antwort, im O-Ton durchaus Irritation über solcherart Ignoranz der neusten Outdoor-Mode gegenüber erkennen lassend. Alle würden schlieĆlich so was aufhaben. Moment mal ā Alle?
Wer ist das, Alle?
Naja, vielleicht nicht unbedingt Alle, aber immer mehr. Immer mehr, die gefühlt rund um die Uhr in modischer Kleidung über sonnige Berggipfel trailrunnen. Ach, Sie glauben mir nicht? Dann öffnen Sie doch einfach das sogenannte soziale Netzwerk ihrer Wahl und schauen sich die netten kleinen Profilbildchen oder sonstigen Millionen Fotos an, die die Leute da von sich so drin haben. Nun kann ich natürlich nicht wissen, wie das bei Ihnen genau aussieht, vermute aber stark, dass man in vielen Fällen nicht nur die betreffende Person, sondern im Hintergrund
vorzugsweise auch ein 360°-Panorama von irgendeinem Gebirgssee, einem Gletscher (soweit man noch einen findet) oder einer Felsnadel erkennen kann. Leute, bei denen der letzte persƶnliche Austausch so lange zurückliegt, dass man sie eigentlich nur noch von ihrem zwanzig Jahre alten Profilbild auf Skype ā als eher bequeme Typen ā kennt, prƤsentieren sich plƶtzlich mit Steigeisen an den FüĆen, im umgebauten VW-Bus auf dem Kletterseil sitzend oder bei Sonnenaufgang und Yoga-Morgenroutine vor den Drei Zinnen: Outdoor liegt im Trend.
Auch der Handel gibt sich naturverbunden: Ā»Wir verkaufen keine Produkte, sondern Hilfestellungen, um sich selbst zu spürenĀ«, postet der Ex-CEO eines groĆen Herstellers auf seinem Linkedin-Profil. Diese Ā»HilfestellungenĀ« rentieren sich offenbar: Rund ein Viertel des Umsatzes im Sportfachhandel wird bereits mit Outdoor-Sportartikeln erwirtschaftet, lƤsst die Branche im Herbst 2023 verlauten. Meine neue Sport-Sonnenbrille würde das dann also nochmal steigern. Und ich würde mich damit nahtlos in die Gebirgslandschaft und die darüber hinwegflutende Masse der neuen Outdoor-Generation einfügen, Teil der Outdoor-Community werden.
Kleider machen Leute
War alles schon mal da. Nicht nur diese neuen fancy Sonnenbrillen, nein ā ganz allgemein die starke, fast schon einem natürlichen Trieb entspringende Neigung, sich für bestimmte FreizeitaktivitƤten, sei es Bergsteigen oder auch Volksmusik, ein einheitliches Bild verpassen zu wollen. Das praktische daran, wenn sich so eine Community dann über den Dresscode verstƤndigt und einen Konsens gefunden hat, ist, dass man seine Leute ganz leicht zuordnen kann, sogar im GroĆstadtgewühl. Das kann allerdings auch nach hinten losgehen, wie der Wiener Kletterer und Buchautor Karl Lukan (1923ā2014) in einem seiner Bücher schildert: Voller Aufregung und Vorfreude auf seinen ersten Kletterausflug habe er am Bahnhof ein ganz zünftig daherkommendes Mannsbild angesprochen, einen Hühnen mit Lederhose, Hut und diversen Abzeichen am Janker in der Meinung, das müsse doch der Kletterlehrer sein. Ein langes Gesicht habe er gezogen schreibt er, als sich der vorgebliche Bergführer als aufgemaschelter sonntƤglicher Schrebergartenbesucher entpuppte. Lukans tatsƤchlicher Kletterlehrer, den er wenige Augenblicke spƤter kennenlernen sollte, war der Wiener Kletterer und Gitarrist Hans Schwanda (1904ā1983), im Vergleich zum Lederhosen-Hühnen eher klein und unscheinbar, dafür stark und drahtig. Aber Kleider machen halt Leute.
Die GroĆstadtkloake
Davon war in der letzten Ā»zwiefachĀ« ja schon ganz ausführlich und aufschlussreich die Rede, vor allem in Bezug auf die Tracht ā ja, Tracht und Volksmusik, da hat man auch in Salzburg so um die Jahrhundertwende beschlossen, das gehƶre zusammen. Genauer gesagt haben die Trachtenvereine beschlossen, die Volksmusikanten in die Tracht zu stecken. Das ging sogar so weit, dass dann in den 1930er-Jahren nicht die eigentlich zustƤndigen Volksliedsammler die groĆen Volkslieder-Wettsingen veranstaltet haben, sondern die Trachtenvereine. Die Volksliedsammler hat man zwar in die Jury gesetzt, für den ganzen ƤuĆeren Rahmen und die Ausschreibung waren aber die Trachtler zustƤndig. Die waren immer an einem harmonischen Gesamtpaket von BrƤuchen, Tracht, Volksmusik und Gebirge interessiert ā davon zeugen unter anderem stilisierte Darstellungen, die Trachtenvereinsmitglieder etwa beim Volkstanzen, Singen oder Plattln vor der Gebirgskulisse zeigen.

Plattler vor einer Gebirgskulisse
Ein ganz groĆes Dilemma gabās für sie allerdings, und das haben sie durchaus mit den alpinen Vereinen geteilt ā alles an ihnen war aufs LƤndliche, Gebirgige ausgerichtet, aufgemaschelt waren sie wie der Wiener Schrebergartenbesucher aus der Geschichte von Karl Lukan, auch HirschfƤnger und Alpenstange lagen stets griffbereit. Gelebt allerdings, gelebt haben die meisten von ihnen in der Stadt, wo auch der Salzburger Landestrachtenverband seinen Sitz hatte. Stodinger waren sie also, wie man heute bei uns sagt. Stodinger, das ist eigentlich ein Schimpfwort für die Stadtbewohner, das alle verwenden, die nicht in der Stadt wohnen, auch wenn sie tƤglich zur Arbeit dahinpendeln oder dort einen Zweitwohnsitz haben. Ein Stodinger, so das gƤngige Klischee, der ist ein bisschen arrogant, dabei ungeschickt und lange nicht so klug wie er denkt, hat keinen Naturbezug, überrennt am Wochenende aber alle Berghütten im gesamten Bundesland und spricht keinen Dialekt, sondern eine Art Stadthochdeutsch: Ā»Ich hab gāsagt, ich hab gāmacht, ich hab gāmeint.Ā« Nun ist schwer festzustellen, ob das damals in den 1920er- und 1930er-Jahren auch schon Stodinger geheiĆen hat, von der lƤndlichen Bevƶlkerung sind ja nicht so viele ĆuĆerungen überliefert. Den stƤdtischen Trachtlern wiederum traut man in Kenntnis ihrer bei uns archivierten Protokollbücher nicht die nƶtige Portion Humor und Selbstironie zu, um sich selbst so zu bezeichnen. Was man aber mit Sicherheit sagen kann ist, dass die Stadt an sich auch damals schon einen schlechten Ruf hatte ā denn dort und nur dort hat sich anscheinend alles das zugetragen, was man nicht haben wollte, es war dreckig, laut, modern, Sodom und Gomorra zum Quadrat.
Das Volkslied wollte man da raushalten, es sollte Ā»echt und reinĀ« bleiben, darin war sich der konservative, deutschnationale Stamm der Volksliedsammler um Josef Pommer (1845ā1918) einig. Als dessen Kollege Emil Karl Blümml (1881ā1925) es 1906 wagte, eine Sammlung erotischer Volkslieder zu verƶffentlichen, wütete man im 13. Jahrgang von Pommers Zeitschrift Das deutsche Volkslied, jenes bleibe Ā»auch in seinen verwegensten FƤllen noch immer weit entfernt von jenen wüsten UnverschƤmtheiten, die aus der GroĆstadtkloake stammenĀ« und habe Ā»mit dieser BordellliteraturĀ« nichts zu schaffen. Der deutsch-vƶlkisch orientierte Schreiberling dieser Rezension, ein Burschenschaftskamerad Josef Pommers, tƶnte abschlieĆend, Blümml fehle Ā»zum wirklichen Volksliedforscher [ā¦] wie seinem jüdischen Genossen [Friedrich Salomon] Krauss nicht bloĆ das volle VerstƤndnis der Mundart unseres Landvolkes, sondern vor allem auch jenes feine Gefühl, mit welchem die Blume des echten Volksliedes gelesen und gebrochen sein will.Ā«
Volkslieder vor der Gebirgskulisse
Josef Pommer war im Brotberuf übrigens Gymnasiallehrer in der GroĆstadt Wien. Wenn er zur Sommerfrische und zum Volksliedsammeln nach Aussee reiste, hat er sich als Landbewohner verkleidet und eine Lederhose angezogen. Wahrscheinlich wusste gerade deshalb jeder Einheimische sofort, dass das ein Stodinger sein muss, noch bevor er den Mund aufgemacht hat. Die musikalische Volkskultur in den Bergen, dieser heilen Welt, die war allerdings schon damals sehr stark durch schƤdliche Einflüsse von auĆen gefƤhrdet. Bereits der Tiroler Volksliedsammler Franz Friedrich Kohl (1851ā1924) hat sich schlieĆlich darüber beklagt, dass man in den entlegensten Winkeln des Ā»heiligen LandesĀ« Wienerlieder hƶren würde, seit die Tiroler KaiserjƤger ihren MilitƤrdienst in Wien ableisten müssten. Um also einerseits nachzuschauen, was es am Land überhaupt noch an guten Volksliedern gibt und andererseits, um das echte Volkslied wieder in die Berge zu bringen, haben die Trachtenvereine die oben schon erwƤhnten Volkslieder-Wettsingen veranstaltet. Das erste Volkslieder-Wettsingen in Salzburg fand 1932 in St. Johann im Pongau statt.
Bestimmt nicht zufƤllig gewƤhlt ist das Foto auf dem Ankündigungsplakat ā stellvertretend für St. Johann steht die stattliche Pfarrkirche, der so genannte Pongauer Dom. Von der restlichen Stadt ist wenig zu sehen, schlieĆlich wollte man auch den Hintergrund als Ganzes draufkriegen: Die wie eine einzige Wandflucht wirkende Südseite des Tennengebirges vom Hochkogel ganz links über die Fieberhƶrner bis zum Werfern Hochthron ganz rechts. Beides, Dom und kompletter Gebirgszug, wƤren sich aus anderer Perspektive nicht ausgegangen.
Die Volkslieder-Wettsingen hatten ein relativ strenges Reglement, die »Teilnahms-Bedingungen« umfassten ganze zwölf Punkte, also eine halbe Plakatseite. Besonders drei Punkte aus der bei uns archivierten Einladung von 1932 stechen ins Auge:
Ā» […] ā 2. Nicht zugelassen werden geschulte SƤnger oder SƤngerinnen, oder geschlossene Gesangvereine […] ā 8. Je nach Liederart kƶnnen es sein: Ernste und frƶhliche Lieder, JƤger-, Schützen-, Wildschützen-, Heimat-, Almenlieder, Jodler, kurz jeder echte deutsche Volksgesang ā 9. Gesungen darf nur in der Tracht werden. In moderner stƤdtischer Kleidung kann ein Auftreten nicht gewƤhrt werdenĀ«
Aus Sicht der Veranstalter folgen die Punkte einer bestimmten Logik ā alles aus der Stadt Kommende ist erlernt und somit konstruiert, also künstlich. Gesangsunterricht wird in der Stadt erteilt, die auch die grƶĆte Dichte an Gesangsvereinen aufweist. Daher ist das alles abzulehnen zugunsten ungekünstelter Natürlichkeit. Das wiederum trifft sich mit Pommers vƶlkischem Denken, wonach das echte Volkslied quasi in der Genetik des Ā»Deutschen VolkesĀ« fest verankert ist und Ā»imĀ« Volk entsteht, wie er es in seiner Produktionstheorie dargelegt hat.
In Punkt 8 erfahren wir die Gattungen, die zum Ā»echten deutschen VolksgesangĀ« zƤhlen. JƤger, Schütze, Wildschütze, die Alm, der Jodler, all das sind Typen und Elemente, die man gemeinhin in den Bergen verortet, daher sind auch sie echt. Das trifft ebenso auf die Kleidung zu (Punkt 9). Ā»StƤdtischer KleidungĀ«, der gleichzeitig das Attribut Ā»modernĀ« verpasst wird, erteilt man eine Absage zugunsten der Tracht. Die war damals allerdings in Salzburg noch im Wildwuchs begriffen ā erst 1935 hat der Landestrachtenverband mittels der ersten Salzburger Trachtenmappe festgelegt, wer was wo in Salzburg anziehen soll/darf/muss. So haben die Stodinger mittels schƶner bunter Bilder den Bauern Innergebirg vorgeführt, wie ihr echtes Gwandl in Zukunft auszuschauen hat. Wie auch im Einleitungsartikel der letzten Ā»zwiefachĀ« erlƤutert, haben die Nationalsozialisten das nur allzu gerne übernommen und instrumentalisiert, die Salzburger Trachtenmappe wird daher unter Heimatwerks-Gründer Gauleiter Gustav Adolf Scheel 1943 neu aufgelegt.
»⦠singend, tanzend oder ĀsensenmƤhend
vor der Gebirgskulisse.Ā«
Dorfmusik vor der Gebirgskulisse
Das Ländliche und die Bauern, beides spielte in der Ideologie und Strategie der Nationalsozialisten eine bedeutende Rolle. Deshalb erlieà man schon 1939 in Salzburg eine Verordnung gegen die Landflucht:
Ā»Die Pflege unseres Bauernstandes ist zu einer vordringlichen politischen Aufgabe geworden. Volks-ErnƤhrung und Wachstum sind in grƶĆter Gefahr, gelingt es nicht, der immer mehr um sich greifenden Landflucht Einhalt zu gebieten. [ā¦] Bauerntƶchter und Sƶhne sind in vƶlliger Verkennung ihrer Lebensaufgaben und Berufsaussichten zu Hunderten in die StƤdte, in Industrie und Gewerbe oder ins Altreich abgewandert. Unser Boden, die Grundlage unserer ErnƤhrung, der Lebensquell unseres Volkes, droht zu verƶden und zu verwahrlosen.Ā«
Man brauchte die Bauern für die ErnƤhrungssicherheit, wollte sogar eine ErnƤhrungsautarkie des Dritten Reiches erreichen (die allerdings nie zustande kam). Aber nicht nur das, man musste die Bauern auch ideologisch schulen, ihnen germanisch umgedeutete BrƤuche nahebringen, sie von der katholischen Kirche entfernen, ihnen Volksmusik vermitteln. Sowohl für ErnƤhrungssicherheit, als auch für Ideologie war die Landesbauernschaft Alpenland zustƤndig. Dort stellte man in Salzburg Tobi Reiser d. Ć. (1907ā1974) an. Er hƤngte damals sein Metzgergewerbe an den Nagel und avancierte zum hauptberuflichen Volksliedpfleger der Landesbauernschaft. In dieser Eigenschaft verteilte er Dutzende seiner mit Heinrich Bandzauner neu entwickelten Salzburger Hackbretter im ganzen Land Salzburg und gründete damit über dreiĆig so genannte Dorfmusikschulen, vom Flachgau bis weit hinein ins Innergebirg. Idealtypisch war es, die Bauernkinder im Freien sitzen und musizieren zu lassen. Propagandistisch lieĆ sich das Ganze wunderbar inszenieren und für diverse Medien ausschlachten. Die Berge waren immer mit dabei ā stille aber zentrale Protagonisten im Hintergrund, die an der LƤndlichkeit und Natürlichkeit des bildlich Festgehaltenen keine Zweifel lieĆen. Auch die Erwachsenen karrte man zu Propagandazwecken ins Gebirge und fotografierte sie in Tracht, singend, tanzend oder sensenmƤhend vor der Gebirgskulisse. Die Abbildung auf S. 12 zeigt drei damals bekannte VolksliedsƤnger und -sƤngerinnen, vermutlich wƤhrend einer Dreh- oder Fotoshooting-Pause mit der Gebirgskulisse im Hintergrund.

Ehemaliger Aktendeckel des Reichsstatthalters im Nachkriegs- Salzburg
TMK, made by Brandauer
Wie viele andere ehemalige nationalsozialistische FunktionƤre, so durfte auch Kuno Brandauer (1895ā1980) einige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg wieder in seine frühere Stellung zurückkehren. WƤhrend des Nationalsozialismus war er GeschƤftsführer des Heimatwerkes gewesen, 1948 schlieĆlich wurde er als Dienststellenleiter dorthin zurückbeordert, die Dienststelle in Heimatpflege umbenannt. Pikantes Detail am Rande: Nicht immer hat man sich die Mühe gemacht, auf den nach dem Krieg weiterverwendeten Aktenheftern den Vordruck Reichsstatthalter zu überkleben. Manchmal hat man ihn lediglich durchgestrichen, empfand also offenbar, zumindest intern, kein groĆes Bedürfnis nach nachtrƤglicher Distanzierung vom NS-Regime und seinen Machtstrukturen.
Brandauers groĆer Wurf in dieser letzten Funktionsperiode bis zu seiner Pensionierung bestand in der Erfindung der so genannten TMK. TMK, das ist kein Trachtenmodelabel, aber so etwas Ćhnliches. In der letzten Ā»zwiefachĀ« habe ich es wider Erwarten nicht gefunden, es dürfte in Bayern nicht so gelƤufig sein. Dementsprechend hat auch eine auf Deutschland beschrƤnkte Google-Suche nach TMK lediglich Kugellager und Muldenkipper geliefert. TMK wƤre ohne Brandauer, zumindest in Salzburg, so nicht denkbar. Mehrere bei uns archivierte Leitz-Ordner voll mit Korrespondenz belegen den Aufwand und Eifer, mit dem Brandauer sƤmtlichen Salzburger Musikkapellen eine einheitliche Tracht verpassen wollte. Mƶglichst natürlich eine authentische, eine, die seiner Vorstellung nach zur Region passt. Nachdem die Neueinkleidungen mit groĆem Engagement seitens der Dienststelle für Salzburger Heimatpflege und gehƶrigen Subventionen seitens des Landes Salzburg in den 1950er-/60er-Jahren über die Bühne gegangen waren, gibt es in Salzburg nicht mehr nur Musikkapellen, sondern eben TrachtenMusikKapellen, inklusive der heute gelƤufigen Abkürzung.
Musik und Freizeit am Berg
Die TMK spielt natürlich nicht nur drunten im Tal, sondern auch am Berg, auf der Alm und bei Bergmessen. Sofern sie nicht für eine Fernsehsendung mit dem Bus hinaufgekarrt wird, kann der Kleiderkodex aber auch ganz entspannt sein. Die Tracht weicht dann bequemer Funktionskleidung und den neuesten Sport-Sonnenbrillen. Allerdings ist das ja auch schon fast wieder uniform. Die teure Funktionsbekleidung hat es ja mittlerweile von der Stadt, wo sie seit Jahren im Trend liegt, auf den Berg geschafft, wofür sie eigentlich gemacht ist. Das hat vor allem einen Grund:
»Immer mehr Menschen wollen ihre Freizeit in den Bergen verbringen«, so der Landesleiter der Salzburger Bergrettung, Balthasar Laireiter. Die 2023er-Statistik weist 788 Einsätze mit mehr als 12.000 Einsatzstunden aus, 58 Einsätze mehr als im Vorjahr. Sturz und Verirren sind die häufigsten Unfallursachen, zurückzuführen auf mangelnde Tourenplanung und Vorbereitung, was oftmals mit Selbstüberschätzung Hand in Hand geht, weià der Bergretter:
»Ein Problem stellen auch soziale Medien, TV-Beiträge oder Werbungen dar. Teils werden die Touren von Profisportlern oder exzellenten Alpinisten präsentiert. Diese Touren können allerdings für Hobby-Sportler zu anspruchsvoll sein. Diese eins zu eins nachzuahmen, kann schwerwiegende Folgen haben.«
Auf den Fotos der Outdoor-Influencer scheint auch (fast) immer die Sonne, Schƶnwetter ist Teil der Inszenierung, aber auĆer auf Instagram hƤlt das Wetter nicht immer. Die Bergrettung übt daher auch bei strƶmendem Regen, ohne fancy Sonnenbrillen und bunte Trailrunningpatschen.
Apropos ā wenn Outdoor-Influencer auf ihren diversen KanƤlen eine Tour teilen, ist dort meist auch ganz genau beschrieben, welches Gewand und welche Schuhe welchen Herstellers man sich dafür kaufen sollte.
Ā»Kein Luis-āTrenker-āHut weitĀ und breit.Ā«

Titelbild der Salzburger Volkskultur (21. Jahrgang, April 1997)
[Foto: Archiv Salzburger Volkskultur]
Und die Musi?
Als die damalige Redakteurin Lucia Luidold auf der Titelseite der Zeitschrift Salzburger Volkskultur 1997 ein Kletterfoto des legendƤren Albert Precht (1947ā2015) abdruckte und damit eine ganze Ausgabe ins Zeichen des Bergsteigens stellte, habe ich mich sehr gefreut. Hintennach sozusagen, als mir die Zeitschrift fast zehn Jahre spƤter in unserer Bibliothek in die HƤnde gekommen ist. Mitte der 1990er-Jahre war das für die Volkskultur wahrscheinlich noch eher abstrakt. Precht trƤgt bunte Leggins und Kopftuch, also wohl nicht das, was sich die Volkskultur damals noch von einem zünftigen Bergsteiger erwartet hat. Kein Luis-Trenker-Hut weit und breit, keine markigen Züge, kein jeder Todesgefahr trotzendes Nordwandgesicht.
Die Berge und die Alm kommen zwar in den Volksliedern immer wieder mal vor, auch in vielen neu gemachten, aber eher als abstrakter Sehnsuchtsort und nicht, weil die VolksliedsƤngerinnen und -sƤnger selber so gern dort herumgeklettert wƤren, von Ausnahmen wie den Steiner-SƤngern oder Georg von Kaufmann einmal abgesehen. Aber das gibt es in anderen Genres ja genauso ā schlieĆlich hat auch damals schon nicht jeder SchlagersƤnger den Ā»weiĆen Mond von MaratongaĀ« live gesehen oder war dabei, Ā»wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinktĀ«.
Ist das also vielleicht gar nicht alles so naturgegeben, so vorgezeichnet, so logisch mit der engen Verbindung von Bergen und Volksmusik? Blickt man zurück in die Geschichte des Bergsteigens, verstƤrkt sich dieser Eindruck: Nicht einmal in den frühesten, Ende des 19. Jahrhunderts entstandenen Liederbüchern des Alpenvereins stehen Volkslieder drin. HauptsƤchlich findet man dort Lieder auf einzelne Sektionen, sehr oft humorvolle Kontrafakturen und viel Vereinsmeierei. Der Alpenverein suchte allerdings Kontakt zum Volksliedsammler Josef Pommer. Dieser wollte aus den Hobby-Bergsteigern Volksliedsammler machen und schrieb für die AV-Zeitschrift des Jahres 1896 einen ausführlichen Artikel Ā»Ćber das Ƥlplerische Volkslied, und wie man es findetĀ«. Vier Jahre spƤter resümierte Pommer allerdings enttƤuscht, die praktische Wirkung sei Ā»geringĀ« gewesen. Die einzelnen Liedersammlungen, die in den AV-Medien in unregelmƤĆigen AbstƤnden besprochen werden, sind auch nicht etwa ausschlieĆlich auf Volkslieder bezogen, sondern viel eher auf die Liederbücher der Jugendbewegung, die zumindest das Ā»WandernĀ« mit den Bergsteigern gemein hat.
Reine Liederbücher für Bergsteiger gab es wenige. In den 1930er-Jahren, als der Ton rauer wurde, biederte sich der oben schon erwƤhnte Wiener Kletterer Hans Schwanda in seinem 1938 verƶffentlichten Liederbuch Zünftige Lieder dem NS-Regime an. Ā»Bergsteigern, Turnern und anderen wesensverwandten VolksgenossenĀ« sei das Buch gewidmet, heiĆt es im Vorwort. Dutzendweise ideologischen Sondermüll der Kategorie Ein junges Volk steht auf zum Sturm bereit findet man da drin ā und einige Alibi-Volkslieder, aber die stehen, um VolksnƤhe vorzugaukeln, in fast jeder nationalsozialistischen Liedersammlung. Nach dem Krieg wollte Schwanda dann mit einem neuen Liederbuch (Ski-Heil!) nicht mehr die Volksgenossen, sondern die Schihaserl ansprechen, wiederum allerdings fast ohne Volkslieder. Der Berg, die Alm, das Bergsteigen und die Volksmusik, die sind also historisch gesehen gar nicht so eng miteinander verbunden. Berg und Alm blieben lange Zeit abstrakte Sehnsuchtsobjekte in den Volksliedern, die in der Praxis unten im Tal gesungen wurden.
Volksmusik sucht Berg
Aber die Zeiten haben sich geändert, Outdoor und Bergsteigen sind jetzt auch Volkskultur-kompatibel. Den Anfang haben wohl allerorten und bereits vor gut zwanzig Jahren die Jodlerseminare und Jodlerwanderungen gemacht, garantiert ohne Trachtentragegebot, aber manchmal mit weit mehr Esoterik als Volksmusik drin. Da erfährt man zum Beispiel von einer Seminarveranstalterin, dass uns der Jodler aus dem Alpenraum »vertraut« ist. Auch tief in uns »verwurzelt« soll er sein, ein »Urlaut« quasi. Dass das Ganze auch noch gesund und heilsam ist, stellt man ja schon gar nicht mehr in Frage, soll uns aber hier nicht weiter beschäftigen.
Denn wer will, kann heute auch ganz normale Volksmusikseminare auf Schutzhütten buchen und zwischen den Musikeinheiten professionell geführte Bergtouren unternehmen. Auch die Volksmusikvermittlung hat also reagiert auf den Outdoortrend, was ja nicht schlecht ist, schlieĆlich gibt es ungesündere Arten, seine Freizeit zu verbringen. Ich werde aber trotzdem noch zuwarten mit dem Kauf einer dieser neuen Sport-Sonnenbrillen ā und sollte der innere Drang zur gerade angesagten Mode zu groĆ werden, entfliehe ich dem Problem ganz einfach in Richtung Berg und hoffe, dass ich dort oben mit meiner altmodischen Brille nicht allzu sehr auffalle.
Aufmacher:
Zum Autor
Dr. Wolfgang Dreier-āAndres ist Musikwissenschaftler und langjƤhriger Archivleiter des Salzburger VolksLiedWerkes und der Salzburger Volkskultur. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf den Geschichten und Konzepten traditioneller Sing- und Musizierformen in Ćsterreich.
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