Text: Dagmar Held
»Manche sammeln Buidln, manche Souvenirs, manche sammeln Ketterl fürs Gnack und für die Fiaß, manche sammeln Geld, manche sammeln Ruhm, manche sammeln Punkte für d’ Versicherung, manche sammeln Macht, manche sammeln Ämter …«. Oder ist es doch viel schlauer schöne Momente zu sammeln, wie es Werner Schmidbauer in seinem Song Momentnsammler so treffend beschreibt?
Das Sammeln von Dingen, aber auch von schönen Momenten wie die Begegnung mit besonderen Menschen und ihren Geschichten, Liedern, Sprüchen, Kochrezepten und ihren Lebenserfahrungen war die große Leidenschaft der beiden Schwestern Josefa (vulgo: Bepi) (1892–1980) und Berta Schiefer (1904–1979) aus Laufen an der Salzach. Die »Schieferl«, wie sie auch liebevoll genannt wurden, waren ein ganz besonderes Schwesternpaar.
»Lange bevor die Alltagsgeschichte oder die Geschichte von unten von den Sozialhistorikern zur Forschungsdisziplin erhoben wurde, haben die Schieferl die Lebensgeschichten ihrer Gewährspersonen – und nicht nur dieser – zu Papier gebracht, deren Lebensumfeld erfasst: Das harte Arbeiten der Schiffer, der Dienstboten, der Häuslleut. Da mischt sich die kleine Welt in die große, da werden Schicksale lebendig, Freudvolles und Leidvolles, das Alltägliche.« So beschreibt es Hans Roth, der ehemalige Geschäftsführer des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege 1992 in einer Rundfunksendung sehr treffend. Und wir verdanken ihnen viele Lieder, die ganz sicher ohne ihre Sammelleidenschaft und Beharrlichkeit verklungen wären.
Hinaus in die Großstadt und wieder zurück
Doch wer waren die beiden Schwestern, wer hat sie inspiriert zu ihrer, für damalige Zeit, eher ungewöhnlichen Tätigkeit? Josefa Schiefer, Pepi genannt, wurde 1892 als erstes von vier Kindern in Laufen an der Salzach geboren. Ihr musikalisches Talent hat sie von der Mutter geerbt. Schon als kleines dreijähriges Mädchen hat sie der Vater im Wirtshaus auf den Tisch gestellt und ließ sie vorsingen. In ihrer Jugendzeit lernte sie dann auch das Zitherspielen. Sie entstammte eher bescheidenen Verhältnissen und so hieß es nach der Schule auch gleich in Stellung gehen.
Die erste Station war München, wo sie in Schwabing als Bedienung arbeitete. Dann fand sie eine Anstellung in einer Konditorei in Berlin. Für damalige Zeiten sicherlich ein gewaltiger Schritt für eine junge Frau so ganz allein in die Großstadt zu ziehen. Ich kannte sie nicht, aber ich denke, da gehört schon eine Portion Mut, Neugier und Unternehmenslust dazu, so einen Schritt zu wagen. Für ihre spätere Sammelleidenschaft waren diese Berliner Jahre sicherlich auch ganz prägend. Dort kam sie nämlich mit der Wandervogel-Bewegung in Berührung und begeisterte sich sehr für diese Idee. Das Wandern und Singen in freier Natur, das ungezwungene Beisammensein in der Gemeinschaft Gleichgesinnter und ganz bestimmt auch das Liedrepertoire der Wandervögel haben einen Nerv bei ihr getroffen. Essenzieller Bestandteil dieser Singbewegung war das Suchen und Singen von überlieferten Volksliedern. Das Liederbuch der Wandervögel, der Zupfgeigenhansl ist vielleicht dem ein oder anderen ein Begriff. Die darin enthaltenen Lieder sind bis heute in vielen Köpfen lebendig.
1925 kehrte sie nach Laufen an der Salzach zurück um mit ihrer daheimgebliebenen Schwester Bertha die kranken Eltern zu pflegen. Bertha war zwölf Jahre jünger als Pepi und gelernte Fotografin. Und wie ihre größere Schwester, sang auch sie leidenschaftlich gern.
An dieser Stelle möchte ich noch einmal den aus Laufen stammenden Hans Roth, den ehemaligen Geschäftsführer des Bayerischen Landesvereins aus einem unveröffentlichten Manuskript einer Rundfunksendung anlässlich des 100. Geburtstages von Pepi Schiefer 1992 zitieren:
»Freilich, Fräulein Schiefer machte in der kleinbürgerlich-verschlafenen Beamtenstadt nicht wenig Aufsehen. Die Sprache war hochdeutsch, die Kleidung fast mondän-anrüchig, die kleine Person trug große, auffallende Hüte. Mein Vater sagte mir oft: Sie war das modernste Mädchen von Laufen – und hatte Giselafransen. Nun mit der Modefrisur war in der Kleinstadt auf Dauer kein Staat zu machen. Sie musste dazuverdienen und gab den Kindern von Stadt und Umgebung Musikunterricht. Zither-, Gitarren- und Lautespielen konnte man in dem kleinen Häusl in der schattigen Wagnergasse erlernen.«
Neben der Pflege des schwerkranken Vaters und der fast blinden Mutter mussten die beiden auch noch ihren Lebensunterhalt verdienen, was nicht ganz leicht war. Neben dem Musikunterricht betrieben die beiden Schwestern in ihrem Wohnhaus eine Heißmangel zum Walzen und Bügeln von Wäsche, vor allem Bett- und Tischwäsche.
»Alles mit de Füaß derganga« – auf der Suche nach Liedern
Ich könnte mir vorstellen, dass diese Jahre in München und Berlin, weg von daheim, auch den Blick von Pepi verändert haben auf ihre Heimatstadt. Man merkt ja oft erst in einer anderen Umgebung, dass vieles, was einem so selbstverständlich und alltäglich vorkommt, dies keineswegs ist. Und mit dieser neu erwachten Neugier an ihrer Heimat hat sie wohl auch ihre Schwester Bertha inspiriert beim Sammeln mitzumachen.
Weitere Impulsgeber für die Sammelleidenschaft der beiden Schwestern waren sicherlich auch die Begegnungen mit zwei wichtigen Persönlichkeiten: dem Laufener Heimatforscher Otto Heichele (1894–1982), der sie darin bestärkte Sprüche, Mundartausdrücke, Spiele und Lieder zu sammeln und die Begegnung mit dem Kiem Pauli (1882–1960). Er wurde zum Vorbild und Förderer und wohlmeinendem Kritiker zugleich. In seiner 1934 erschienenen Sammlung Oberbayerische Volkslieder hat er bereits einige der Liedaufzeichnungen der Geschwister Schiefer aufgenommen.
Durch den Kiem Pauli lernten sie auch Professor Kurt Huber (1893–1943) kennen, der die Verbindung zum Rundfunk herstellte. So wurden sie auch weit über ihre Heimat hinaus bekannt und als Sängerinnen und Gesprächspartnerinnen zu Auftritten bei Preissingen, Volksmusikabenden und auch ins Fernsehen eingeladen. Ab den 1960er-Jahren sorgte Karl List (1902–1971), der damalige Leiter der Abteilung Volksmusik dafür, dass die Lieder der Geschwister Schiefer, die sie bei ihren Feldforschungen von den alten Sängerinnen und Sängern gelernt hatten, fürs Schallarchiv aufgenommen wurden und lud sie zu Studioaufnahmen ein.
Um diesen Schatz, den die beiden Schwestern in über 50 Jahren mit großer Ausdauer zusammengetragen haben, auch schriftlich für andere Interessierte zugänglich zu machen, hat der Bayerische Landesverein für Heimatpflege 1977 das Liederbuch Vo herent und drent. Die Liedersammlung der Geschwister Schiefer unter der Federführung von Kurt Becher und Wolfgang A. Mayer herausgegeben.
Im Vorwort schreiben die beiden Schwestern: »Es ist zu bemerken, dass unsere Lieder nicht aus bereits gedruckten Sammlungen entnommen worden sind, sie bedürfen daher auch keiner Literaturangabe. Unsere ›Quelle‹ sind unsere Vorsinger gewesen, Menschen, die noch im vorigen Jahrhundert geboren und aufgewachsen sind. Von ihnen haben wir diese Lieder erfragt. Wie jener Wildschütz gesagt hat: ›Mei Jagd is gwest von Haunsberg bis zun Deisnberg!‹ so könnten wir sagen: ›Unser Jagd is gwest vom Deisnberg bis ins Innviertl! Alles mit de Füaß derganga binnen schier 50 Jahr!‹«
Die Liedsammlung der Geschwister Schiefer – eine Fundgrube
Dieses Liederbuch ist bis heute eine Fundgrube für außergewöhnliche Lieder. Eins davon möchte ich noch gerne vorstellen: Ich bin ’s Kuckuck und bleib ’s Kuckuck – ein wunderbar poetisches Liebeslied, das in verschiedenen Varianten im ganzen deutschen Sprachraum verbreitet war. Im Liederbuch der Geschwister Schiefer ist folgendes dazu zu lesen:
»Der Saltnerbauer sang in den 1930er Jahren mit uns im Rundfunk bei Sendungen. Er hat dabei dieses Lied gesungen, das er von seiner Mutter gelernt hat und weil es uns so gefallen hat, hat er es uns gegeben. Ob er noch lebt und wo, das wissen wir nicht.«
Ich bin’s Kuckuck und bleib ’s Kuckuck
In den ersten beiden Strophen wird erst einmal ein Idyll gezeichnet – das vom Kuckuck, der im Wald und auf den grünen Auen der schönen Schäferin sein Lied singt. Dass dieser Kuckuck ein recht menschlicher Vogel ist, der die Gunst der Schäferin gewinnen möchte, stellt sich ziemlich schnell heraus. Aber man bleibt am Ende etwas ratlos zurück. Hat sein Werben Erfolg? Geht das Ganze gut aus oder schlecht? In der dritten Strophe trübt sich nämlich die Idylle ein, der Tod kommt plötzlich ins Spiel, das Lied bekommt eine ganz melancholische Wendung: »Ich kehr zu Staub und Asch zurück, woher ich bins gekommen.« Mir fällt bei dieser Textzeile immer das Sprichwort Wie Phönix aus der Asche ein. Das würde ja auch ganz gut passen und würde dem Ganzen eine positive Richtung verleihen, denn diese Redewendung steht für einen Neuanfang nach einer großen Niederlage. Auf jeden Fall gibt es jede Menge Spielraum für eigene Interpretationen und genau das ist das Schöne daran.
Vo herent und drent
Wer neugierig auf die Lieder aus der Sammlung der Geschwister Schiefer geworden ist, kann das Liederbuch im Kaufladen des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege erwerben.
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