Was Menschen aller Kulturen, Sprachen und Zeiten verbindet, ist nichts Geringeres als der Tod, die unausweichliche Erfahrung unserer Endlichkeit: Wir wissen, dass jegliches Leben einmal zu Ende geht, ob wir wollen oder nicht. Das ist unser aller Furcht. Die Endgültigkeit des Todes ist unsere größte gemeinsame Angst.
Darum wird vor allem in unserer modernen Welt kaum etwas so verdrängt, geleugnet und aus unserer Wahrnehmung verbannt wie Sterben und Tod. Wir tun und leben so, als könnten wir ihn doch irgendwann überwinden.
Hinschauen statt Verdrängen
In früherer Zeit gehörte Sterben zum Leben und hatte seinen Platz im Alltag, weil auch durch lebensbedrohliche Krankheiten der Tod viel präsenter und unmittelbarer erlebt wurde. Es gab und gibt in allen Kulturen eine Vielzahl von Ritualen und Bräuchen, wir (er)finden vielfältige zum Teil kreative und auch kuriose Arten, mit dem Thema Tod umzugehen und die Trauer zu bewältigen.
Wie viele unserer Zeitgenossen haben noch nie in ihrem Leben jemanden sterben oder tot gesehen? Noch nie haben sie den Kontakt gewagt. Lieber wegschauen, ausweichen. Das macht unsere Panik davor nur noch größer. Denn die Fantasien im Kopf sind manchmal schlimmer als die Realität.
Über viele Jahre, vor allem nach den großen Kriegen, wurde Krankheit und Sterben aus unserem Lebensraum verdrängt, in Krankenhäuser und Altenheime verlegt. Erst in den vergangenen Jahrzehnten hat sich wieder ein Bewusstsein entwickelt, dass die letzte Phase des Lebens ein wichtiger Teil unseres Daseins und für alle daran Beteiligten eine fruchtbare, tiefe Erfahrung sein kann.
»Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.« (Cicley Saunders 1918–2005) ist der Leitspruch der Palliativ- und Hospizbewegung, die im 20. Jahrhundert entstanden ist und seither unendlich viel Hilfe und Beistand für die Betroffenen geleistet hat.
Mut zum Miteinander
Freilich gehört Mut dazu, Menschen in ihrer letzten Lebensphase zu begleiten. Aber so schwer und erschreckend, wie man auf den ersten Blick vermuten möchte, ist es nicht. Es kann ein ganz natürliches und inniges Miteinander sein, wenn wir es wagen, eine nahestehende Person zu begleiten. Und wir dürfen dabei um Hilfe bitten, bekommen sie von Hospizbegleitern und Palliativ- Fachleuten.
Ganz wichtig ist, dass wir uns trauen, das zu tun, was wir auch in gesunden und vitalen Tagen zusammen getan haben: miteinander reden, sich etwas Liebes sagen, einander danken für alles, was gut war, fragen und spüren, was gerade nötig ist.
Singen und Musik in der letzten Phase
Dabei ist Singen und Musizieren eine ganz besonders wohltuende Möglichkeit, die noch bleibende Zeit zu füllen und zu gestalten. Dann verliert das Sterben viel von seinem Schrecken. Es kann eine friedliche und für alle Beteiligten bereichernde Zeit sein.
Aus meiner persönlichen Erfahrung kann ich bestätigen, dass es Sterbenden meist gut tut, Musik zu hören. Wenn wir nicht wissen, welche Art von Musik gerade richtig ist, welche Lieblingsmelodien oder Lieder passen, dann darf man einfach ausprobieren. Selbst wenn die Betroffenen nicht mehr sprechen können, geben sie deutliche Zeichen, was ihnen gefällt oder was nicht. Ganz besonders wohltuend sind da die schlichten Weisen und Lieder unserer vertrauten heimatlichen Musik.
Als ich 2021 meiner Mutter bei uns zu Hause in ihren letzten Tagen sehr nah sein durfte, haben wir zuerst noch zusammen gesungen, dann immer mehr ich allein, oder wer von unserer Familie eben da sein konnte. Kinderlieder aus ihrer und unserer frühen Zeit, fröhliche Lieder, fromme Lieder. Wenn wir müde geworden sind, haben wir immer wieder mal eine CD eingelegt. Das wunderbare Stück Spiegel im Spiegel von Arvo Pärt (*1935) hat uns alle beruhigt und getröstet.
Vier Tage vor ihrem Tod besuchte uns ein guter Freund mit seiner Zither und hat ihr vorgespielt. Ein wunderbarer letzter Liebesdienst. Als wir mit Geige und Gitarre dazu spielen wollten, hat sie sehr deutlich mit Unruhe reagiert und uns gezeigt, dass ihr das zu viel ist. Die Zither war genug.
Am Abend war immer unser letztes Lied der Abendsegen aus der Oper Hänsel und Gretel. Wir alle haben uns dann geborgen und behütet gefühlt.
Aus der Schwere hin zur Leichtigkeit und zum friedlichen Hinübergehen
Es gibt inzwischen Musiker und Musikerinnen, die sich darauf spezialisiert haben, Menschen in dieser Ausnahmesituation mit Harfe oder anderen feinen Instrumenten wie z. B. Monochord oder Klangschalen zu begleiten. Sie alle leisten einen enorm wertvollen Dienst und werden mir wahrscheinlich meine Erfahrungen bestätigen können.
Wir durften auch schon mehrmals in einem Hospiz musizieren. Vor einigen Jahren waren wir bei einer todkranken Freundin, die sich gewünscht hat, dass wir ihr unsere Musi vorspielen, solange sie es noch bewusst wahrnehmen kann. Alle Zimmertüren wurden geöffnet, so dass auch die Menschen in den Nachbarzimmern etwas mithören konnten. Es war ein heiterer, schöner und inniger Nachmittag. Gegen Ende kam die Ärztin zu uns und hat berichtet, dass der Mann vom Nebenzimmer, der schon so lang gekämpft hat, während unseres Spiels endlich friedlich hinübergehen konnte in die andere Welt. Da sind bei uns allen die Tränen geflossen und es war gut.
Die Begegnung mit Sterbenden, ihren Angehörigen und auch mit Trauernden scheint uns sehr schwer, ja, sie ist nicht immer leicht. Aber sie gehört zum Leben dazu, ist letztlich eine große Bereicherung und macht uns, je natürlicher und selbstverständlicher wir damit umgehen, zu reiferen und empfindsameren Menschen. Dankbar schätzen lernen, was hier und jetzt in unserer Gegenwart gut ist – eine innige Erfahrung für uns alle.
Aus meiner langjährigen Erfahrung als zertifizierte Trauerbegleiterin möchte ich immer wieder ermutigen, die Schwelle von Angst, Bedenken und Unsicherheit zu überwinden, die kostbare Lebenszeit zu nützen und Angehörige, Freunde, Nachbarn in der Zeit des Abschieds und der Trauer nicht allein zu lassen.
Was sich Sterbende wünschen,
auch dann noch, wenn sie nicht
mehr sprechen (können)
Lass mich am Ende meines Lebens nicht allein. Bleibe auch dann bei mir, wenn mich Zorn, Angst oder Traurigkeit ausfüllen. Meist genügt es, wenn Du mir dann einfach zuhörst.
Wenn nur noch Zeichen sprechen können, so lass sie sprechen. Halte meine Hand, wische mir den Schweiß von der Stirn, feuchte meine Lippen an, streiche mir die Decke glatt.
Denke nicht, dass ich nichts mehr höre, wenn ich nichts mehr sagen kann. Ich höre alles und es ist unendlich schön, auch dann noch liebevolle Worte zu vernehmen.Singe mit mir oder für mich, spiele mir ruhige entspannende Musik, lies mir ein Gedicht oder eine Geschichte vor.
Lass mein Sterben durch alle Trauer hindurch auch zu einer wertvollen Erfahrung für Dich werden. Du wirst herzlicher, reifer, inniger, liebevoller, bewusster leben als zuvor.
Für Menschen, die einem Glauben, einer Religion verbunden sind:
Ich wünsche mir, dass Du beten kannst. Klage dabei nicht an, es gibt dafür keinen Grund. Sage vor allem Dank und sprich aus, worauf wir hoffen können.
Du darfst wissen, dass mich Gottes Hand auch im Sterben hält, und dass es mir gut gehen wird, wenn ich endlich bei ihm bin.
Der Text stammt von einem unbekannten Autor und wurde von Sissy Mayrhofer behutsam ergänzt.







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