Früh am Morgen packt Wulf Wager sein Auto mit einer Steirischen Harmonika, einer Gitarre, einem großen Plakat mit Zeichnungen für ein Kettenlied und jeder Menge guter Laune und macht sich auf den rund eineinhalbstündigen Weg in die Grundschule nach Neresheim auf der Ostalb. Dort finden dieses Jahr die Heimattage Baden-Württemberg statt und die Schulen haben Blick auf das Thema gerichtet. Wager wird in zwei Schulstunden mit Kindern der 3. und 4. Klasse singen und tanzen – und zwar Schwäbisch!
Text: Sabine Schelle Fotos: Elvira Abele
Nachdem meine eigenen Kinder kaum mehr Dialekt sprachen, obwohl wir beide Eltern im Alltag Schwäbisch und mit unseren Kindern sprechen, war mir klar, dass da was passieren muss!«, so Wulf Wager. Und so initiierte er zusammen mit dem Verein schwäbische mund.art und der Alemannischen Muettersprochgsellschaft das Projekt Mundart in der Schule, das sehr erfolgreich seit 2003 läuft. Rund 2.000 Doppelstunden haben die rund 50 Mundartkünstler aller Sprachregionen Baden-Württembergs in allen Schulformen und Klassenstufen bereits unterrichtet. Der Run darauf ist ungebrochen. Ziel ist es, Kinder und Jugendliche für den Wert der Mundart zu sensibilisieren.
Maximal sechs Veranstaltungen kann ein Künstler machen. Finanziert wird das Projekt mit Mitteln des Fördervereins Schwäbischer Dialekt, aus Landesmitteln und mithilfe verschiedener Kulturstiftungen. Wulf Wagers Stundenkontingent ist seit Jahren ausgebucht. Er beschränkt sich auf die 3. und 4. Klasse der Grundschule. Da sind die Kinder schon recht fit, und noch nicht pubertär unterwegs. Es wird von den Kindern schon einiges gefordert: schnell neue Texte lernen, sie der Musik zuordnen und dazu noch komplexe Bewegungen mit Beinen und Händen. Manche kommen da an ihre Grenzen. Aber am Ende der Stunden sind alle voll dabei und schaffen die Tänze mit viel Freude.
Eine wichtige Grundlage sind für Wager die vom Bayerischen Landesverein für Heimatpflege herausgegebenen Hefte Regionale Lieder für die Grundschulen. Hier gibt es nicht nur lustige Lieder, sondern auch wunderbare didaktische Anregungen.
Widele, wedele,
hentrem Städele
Die Kinder in Neresheim sitzen im Stuhlkreis und harren gespannt darauf, was gleich passieren wird. Wager fragt in die Runde, ob die Kinder schon Instrumente spielen. Dann fragt er nach einem Instrument, das jeder dabei hat. Klar, dass die Kinder schnell auf ihre eigene Stimme kommen. Die wird nun gelockert, eingesungen. Wager macht das mit einer kleinen Geschichte: Er lässt die Kinder gähnen, aufstehen, sich strecken, die Tür zum Balkon öffnen und tief einatmen, ein imaginäres Windrad anpusten, das Summen einer Biene imitieren, das eines Motorrades, den Klang der nahen Kirchenglocken, das Pfeifen der Vögel und vieles mehr. Nun sind die Kinder gelockert und es geht zum ersten Lied. Auch das verpackt er geschickt in eine Geschichte. Widele, wedele, hentrem Städele hält dr Bettlma Hochzeit. In der nun folgenden Übung geht es um Vokale und Klangbildung. Das oben erwähnte Heft bietet eine wunderbare Anleitung dazu. Am Ende lässt er das Hochzeitsorchester aufspielen und greift zur Harmonika. Alle Kinder schunkeln im Takt. Das Eis ist längst gebrochen. Drei Strophen des Liedes haben die Kinder innerhalb kürzester Zeit auswendig gelernt.
Jetzt geht es zum ersten Tanz. Der Siebenschritt. Wager singt und spielt das Tanzlied:
»Ois, zwoi, drei, vier, femf, sechs, siaba,
wo isch denn mei Schätzle blieba.
Isch net hier, isch net da,
isch wohl in Amerika!«
Jetzt kommt ein kleiner Geschichtsunterricht und Wager fragt, warum denn das Schätzle sich nach Amerika aufgemacht haben könnte. Urlaub, ist die eine Antwort, Scheidung eine andere. Wager lässt alle Antworten zu und gibt dann die Auflösung: Ein Vulkanausbruch im heutigen Indonesien hat 1816 zur größten Eruption der Menschheitsgeschichte geführt und Klima und Wetter extrem beeinflusst, so dass keine Nahrungsmittel wegen der Wetterkapriolen wuchsen. Eine Hungersnot war die Folge. Deswegen sind viele wagemutige Schwaben nach Russland oder Amerika ausgewandert.
Tanzen und singen
Genug der Geschichtsstunde, jetzt wird getanzt. Wager schnappt sich ein Mädchen und zeigt den Tanz vor: Sieben Laufschritte vorwärts, sieben zurück, auseinander, wieder zusammen und einmal umeinander herum. Schnell die Harmonika umgeschnallt und schon geht es los. Die Kinder können das sofort. Wo es noch hapert, wird kurz korrigiert. Wager lässt sich die Kinderpaare selbst zusammenfinden. Meist finden sich Mädchenpaare oder Jungenpaare, gemischt ist es selten. Ist ja auch nicht notwendig. Nun sind die Kinder richtig außer Atem. Deshalb heißt es, wieder hinsitzen.
Jetzt kommt ein Kettenlied Isch des net a Gartahaus?, bei dem Wager eine Zeichnung mit der Abfolge der Strophen an der Tafel platziert. Er singt, sich selbst mit der Gitarre begleitend, vor und lässt die Kinder nachsingen. Wenn es auf Anhieb nicht gleich funktioniert, wird wiederholt. So lernen die Kinder nebenbei auch noch einige alte Begriffe wie Birahoka oder Lichtputzscher’. Wager fragt, ob die Kinder die Zeichnungen erkennen und erklärt dann die Gegenstände. Rund eine halbe Stunde dauert es, bis das Lied einmal durch ist. Eines der Kinder wird mit einem Zeigestock ausgestattet und führt alle anderen durch das Lied. Nachdem es zweimal durchgesungen ist, übergibt Wager die Rolle des Vorsängers an eines der Kinder. Mutige gibt es immer. Er unterstützt, wo es nötig ist. Das Kettenlied wird immer länger und fordert die Konzentrationsfähigkeit der Kinder.
Danach geht es wieder ans Tanzen. Zuerst kommt Text und Melodie dran:
»Ond drei paar liadrige Strempf,
ond zwoi drzua gibt femf,
mei Vaddr hot a Kaartaspiel,
send nex als lauter Trümpf.«
Klar, zuerst kommt die Erklärung, was den ein Trumpf ist. Dann geht es ans Tanzen. Mit Erst- und Zweitklässlern ist die komplizierte Klatschfolge nicht zu schaffen, und auch für Dritt- und Viertklässler ist das Einhalten der einen Viertelnote als Klatschpause eine Herausforderung. Am Schluss bekommen es alle hin und haben Spaß.
Ein klingender Fächermix
Wenn noch Zeit ist, lehrt Wager noch das Tänzle Manchester oder Ois, zwoi, drei, vier (im bayerischen die Krebspolka). Sowohl bei Drei paar liadrige Strempf als auch dabei ersetzt er den Rundtanz durch Seitgaloppschritte oder Einhängen und umeinander Herumhüpfen. Am Ende der Stunde werden alle unterrichteten Tänze und Lieder noch einmal zur Festigung wiederholt.
Für die Kinder ist es ein multisensorischer, fächerübergreifender, freudvoller und körperlich anspruchsvoller Unterricht in den Fächern Musik, Deutsch, Mathe, Sport und Geschichte. Wie im Flug vergeht die Zeit. Das schönste Lob, das Wager bekommt ist, als ein Junge nach der Doppelstunde zu ihm kommt und sagt »Des war geil. Wann kommsch Du wieder?«
Aufmacher:
Siehe Noten:
»Isch des net e Gartehaus«
0 Kommentare