So lange ist es noch gar nicht her, dass der größte Teil der Bevölkerung weder lesen noch schreiben konnte. Zudem wurden die Messen auf Latein gehalten. Wie also sollten die einfachen Leute von der Heilsgeschichte erfahren? Die Fresken in den Kirchen waren eine Form der Übermittlung, eine andere waren liturgische Spiele im Kirchenjahr. Aus Dreikönigsspielen entwickelte sich das im 16. Jahrhundert erstmals erwähnte Sternsingen. Es diente zudem dazu, ärmeren Mitmenschen ein Zubrot im wahrsten Sinne des Wortes durch den Heischeumgang zu geben.
Text: Wulf Wager Bilder: Wikipedia, Archiv Wulf Wager
Man sollte davon ausgehen, dass die Heiligen Drei Könige, die in den Tagen vor dem Dreikönigstag, dem 6. Januar umgehen, in der Bibel Erwähnung finden. Mitnichten. Kein Wort von Königen, kein Wort von dreien. In Matthäus 2,1 ist lediglich von Magiern, Weisen oder Sterndeutern – je nach Übersetzung – die Rede: »Da Jesus geboren war zu Bethlehem in Judäa zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise aus dem Morgenland nach Jerusalem und sprachen: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, ihn anzubeten.« Lediglich ihre Gaben werden im Buch der Bücher erwähnt: Weihrauch, Myrrhe und Gold. Da das sehr wertvolle Geschenke waren, schloss man im achten Jahrhundert auf Könige, die das Jesuskind aufsuchten. Denn nur sie konnten so wertvolle Geschenke machen. Na gut, bei Jesaja 60,3 ist tatsächlich von Königen die Rede: »Völker wandern zu deinem Licht, und Könige zu deinem strahlenden Glanz«. Aufgrund der drei Gaben und der Erwähnung bei Jesaja schloss man volkstümlich auf die Zahl von drei Königen. Aber die Namen Caspar, Melchior und Balthasar hat sich nun wirklich jemand nur ausgedacht. Allerdings schon etwa im achten Jahrhundert. Dafür gibt es nun tatsächlich keinerlei Belege. Ihre Gebeine, oder das was man dafür hält, werden seit 1164 im Kölner Dom in einem sehr wertvollen goldenen Schrein aufbewahrt. Gegen Eintritt kann man den besichtigen. Die Kirche weiß zu nehmen …
Wokeness tilgt den Mohren
Einer der Könige wird als Mohr dargestellt. Kein Wunder, denn die Heiligen Drei Könige standen seinerzeit für die damals bekannten Erdteile Europa, Asien und Afrika. In Psalm 66 heißt es: »Jubelt Gott zu, alle Völker der Erde«. Und Afrika, Asien und Europa waren damals die Kontinente, auf denen alle Völker der Erde lebten. So dachte man im 8. Jahrhundert. Eigentlich ein schönes Sinnbild. Das wurde allerdings in letzter Zeit immer wieder als Blackfacing bezeichnet und die Tugendwächter und Moralapostel der Neuzeit haben den Vertreter Afrikas heutzutage im Zeichen der Wokeness weitgehend aus dem Sternsingen verbannt. Was für ein Frevel basierend auf kultureller Unkenntnis.
Also, die Geschichte der Heiligen Drei Könige kennen wir nun. Aber wie kam es zum Sternsingen? Vermutlich liegt der Ursprung in Dreikönigsspielen, liturgischen Mysterienspielen, bei denen die Bevölkerung die Heilsgeschichte hautnah miterleben konnte. Zahlreiche Bräuche und Brauchfiguren sind aus solchen liturgischen Spielen entstanden. In Italien kann man heute noch opulente Karfreitagsprozessionen mit dem Nachspielen der gesamten Passion Christi erleben. Und auch bei uns gibt es noch immer solche Spiele. Denken wir nur an die Oberammergauer Passionsspiele oder die Passionsspiele im tirolerischen Erl und anderswo.
Vom Dreikönigsspiel zum Sternsingen
Aus Oberufer, einer donauschwäbischen Gemeinde in der Slowakei sind Christgeburt-, Dreikönigs-, Hirten- und Herodesspiel überliefert. Mitte des 19. Jahrhunderts wurden sie aufgezeichnet. Vor allem Rudolf Steiner (1861–1925) hat diese Spiele vor dem Vergessenwerden bewahrt. In den Walldorfschulen werden die Spiele heute noch aufgeführt. Hier geht der Sternführer der Kumpanei bei ihrem Gesang, den Stern vor sich hertragend voraus. Man kann sich leicht vorstellen, dass sich daraus ein Zug durch das Dorf entwickelt hat, bei dem die Heiligen Drei Könige singend und Segen wünschend von Haus zu Haus zogen und dafür Naturalien als Gaben bekamen. Eine Hand wäscht die andere. Die einen bekommen den heiligen Segen, die anderen etwas Profanes zu essen. Eine klassische brauchtümliche Win-Win-Situation. So oder so ähnlich wird sich, so vermuten Wissenschaftler, die Entwicklung von Dreikönigsspielen zum Sternsingen entwickelt haben.
Saufen nach dem Singen
Im 16. Jahrhundert verbreitete sich das Sternsingen und verband sich dabei mit dem zu dieser Zeit gebräuchlichen Ansingen beim Fest der Heiligen Drei Könige durch Schülerchöre. Aufzeichnungen des Klosters St. Peter in Salzburg belegen ein erstes Sternsingen im Jahr 1541. Weitere Belege für das Sternsingen finden sich für 1550 in Wasserburg am Inn, 1552 in Laufen und Eggenburg, 1569 für das Benediktinerstift Ettal und 1577 für Burghausen.
Gebietsweise war das Sternsingen nur bestimmten Berufsgruppen erlaubt. In Freising hatten dieses Recht die Leineweber, in Laufen die Salzach-Schiffer und im damaligen Münchner Vorort Au die Maurer. In anderen Gegenden gingen arme Kinder und Jugendliche in Eigeninitiative von Haus zu Haus und sammelten Naturalien und Geld für sich und ihre Familien. Im Raum Freising wurde es am 22. November 1784 per königlich-bayerischem Erlass verboten, da die gesammelten Spenden dort für Bier in Wirtshäusern verbraucht und das Sternsingen mit größerem Lärm verbunden war. Es eskalierte also auch schon früher … Singen, Sammeln, Saufen, so die Dreieinigkeit des Sternsingens in früheren Zeiten. Es soll auch schon Passionsspiele gegeben haben, wo der Gekreuzigte vom Kreuz herabstieg, und den Peiniger vermöbelte, weil er ihn mit der Lanze tatsächlich gepikst hat. Aber das ist eine andere Geschichte.
Sternsinger in Waldkirch/Schwarzwald 2014.
Millionen für Kinder in aller Welt
Wir halten also fest, dass die Sternsinger durch den Ort zogen, sangen, Segen wünschten und dafür Naturalien gespendet bekamen. Mit zunehmendem Wohlstand, vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg, verlor sich das Sternsingen mehr und mehr. Eltern wollten nicht, dass ihre Kinder Betteln gehen. Da kam die katholische Kirche auf eine pfiffige Idee, bemächtigte sich des alten Brauches und definierte ihn vollkommen neu. Kinder sollten für arme Kinder in der Welt Sternsingen gehen.
An der ersten Sternsingeraktion 1959 beteiligten sich Sternsinger in 100 Pfarrgemeinden und sammelten 90.000 Mark (inflationsbereinigt in heutiger Währung: rund 249.000 Euro). Seit 1961 beteiligt sich der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) an der Aktion, die seitdem vom Kindermissionswerk Die Sternsinger und vom BDKJ gemeinsam getragen wird. Im Jahr 2005 nahmen 12.743 Gemeinden und Gruppen mit ca. 500.000 Kindern und 80.000 Betreuern an der Aktion teil. Es wurde mit rund 47 Millionen Euro in Deutschland ein neuer Rekord beim Spendenaufkommen erreicht. 2022 waren es noch einmal mehr, nämlich 62,6 Millionen Euro. Davon wurden 49,48 Millionen in knapp 1.200 Projekten in 91 Ländern ausgegeben. Der Rest geht an die Verwaltung des Kindermissionswerks Der Sternsinger. Das sind knapp 10 Prozent. Durch die bei der Aktion gesammelten Spenden erfolgt eine nachhaltige Förderung von Hilfsprojekten, die bedürftigen Kindern weltweit zugutekommen. Brauchtransformation par excellence. Alter Brauch in neuem Gewand!
Immaterielles Kulturerbe
Traditionell werden die Sternsinger auch vom Bundespräsidenten im Schloss Bellevue, vom Bundeskanzler im Bundeskanzleramt, von weiteren Mitgliedern der Bundesregierung in ihren Ministerien, von manchen Regierungschefs der Länder und von Bürgermeistern empfangen. Im Jahr 2004 wurden die Sternsinger mit dem Internationalen Preis des Westfälischen Friedens ausgezeichnet. 2015 wurde das Sternsingen in die Liste des Immateriellen Kulturerbes in Deutschland aufgenommen.
Soziales auch in Südtirol, Österreich und der Schweiz
In Südtirol, im Trentino und im Friaul wird die Sternsingeraktion von der Katholischen Jungschar Südtirols zusammen mit Missio Bozen-Brixen organisiert. Mit den Spenden werden kirchliche Projekte in Afrika, Asien, Lateinamerika, Osteuropa und Ozeanien unterstützt. In Österreich wird das Sternsingen vom Hilfswerk der Katholischen Jungschar verwaltet. Mit dem Ergebnis werden rund 500 Projekt in 20 Ländern unterstützt. Das Sternsingen wurde 1989 in der Schweiz neu belebt und seither von missio durchgeführt. Unterstützt wird dabei der Solidaritätsfonds Kinder helfen Kindern und ein jährlich wechselndes Projekt des Kindermissionswerks.
Manche blieben beim Alten
Aber nicht alle Sternsinger ließen sich von den kirchlichen Institutionen vereinnahmen: Im Villgratental sammeln erwachsene Sternsinger von Männergesangsverein und Kirchenchor keine Spenden für wohltätige Zwecke, sondern Lebensmittel und Getränke in einem auf dem Rücken getragenen Stibich (= Rückentraggefäß für gedroschenes Korn). Diese werden beim sogenannten Stibichtreffen gemeinsam verzehrt. Beim Heiligenbluter Sternsingen, dessen Wurzeln im 16. Jahrhundert liegen, ziehen in der Nacht vom 5. auf den 6. Januar erwachsene Dorfbewohner in sogenannten Rotten von Haus zu Haus, um in allen Häusern das traditionelle zwölfstrophige Sternsingerlied vorzutragen. Die in der Nacht gesammelten Spenden werden an Bedürftige verteilt. Dieser Brauch und das Sternsingen im Villgratental wurden 2010 in das Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes in Österreich aufgenommen.
In Haslach im Kinzigtal im Schwarzwald sind es nicht die Sternsinger, die zwischen Neujahrstag und Dreikönigstag unterwegs sind und ihre alten Lieder singen, sondern die Dreikönigssinger mit dem Sterndriller, dem Sterndreher als Mittelpunkt der Gruppe. Sie singen seit altersher ihre Haslacher Weihnachtslieder, die seit Jahrhunderten dort beheimatet sind. Es sind dies drei Hirtenlieder, drei Dreikönigslieder und drei Wiegenlieder. Der Haslacher Fabrikant Heinrich August Schaettgen hat Anfang des vorigen Jahrhunderts die neun Haslacher Weihnachtslieder aufgeschrieben, sie für Orgel- und Klavierbegleitung in Noten setzen und im Druck erscheinen lassen. Das älteste Haslacher Weihnachtslied lässt sich bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen.
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