Auf den Spuren …

... von Pfarrer Joseph Gabler

16. August 2024

Lesezeit: 8 Minute(n)

Text: Ernst Schusser  Fotos: EBES-Volksmusik, Familie Linhuber

Vor 200 Jahren wurde der Pfarrer, Kirchenmusiker und Sammler geistlicher Volkslieder Joseph Gabler (1824–1902) in Ramsau/Altpölla im niederösterreichischen Waldviertel geboren. In seinen Sammlungen mit geistlichen Volksliedern aus der mündlichen und handschriftlichen Überlieferung der katholischen Pfarrgemeinden, der (privaten) Wallfahrtsführer, Vorbeter und Vorsinger im Waldviertel zwischen Donau und der heutigen Grenze zu Tschechien hat er zwischen Volksliedern und Kirchenliedern unterschieden. Sein Katholisches Wallfahrtsbuch (1854), die Neue Geistliche Nachtigall (1884, Lieder einstimmig) und das Hauptwerk Geistliche Volkslieder (Regensburg/Linz 1890, mit 714 Liedertexten auf 387 Melodien) als verbesserte und vermehrte Neuauflage der Nachtigall haben das natürliche zweistimmige Singen im ganzen süddeutschen Sprachraum am Beispiel der Dörfer im Waldviertel (Diözese St. Pölten) abgebildet.

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Gabler Symposium 2024

Höchst informativ war das anlässlich des 200. Geburtstages (21. Januar) von Gabler am 6. und 7. April 2024 in Spitz an der Donau durchgeführte Symposium, zu dem die Volkskultur Niederösterreich mehrere Fachleute aus Österreich eingeladen hatte. Den sehr interessierten, aus der Praxis und aus der Wissenschaft kommenden Teilnehmern wurde in erfreulich verständlicher Sprache viel Wissenswertes geboten: Dr. Peter Gretzel, der Leiter des Niederösterreichischen Volksliedarchivs, brachte Biographische Notizen und Mag. Johann Simon Kreuzpointner (Abt. Kirchenmusik der Diözese St. Pölten) sprach über Gablers Wallfahrtsbuch (1854) und seine Melodienotation im Kontext seiner musikalischen und theologischen Ausbildung. Dabei konnten wir auf Bezüge zur Melodieaufzeichnung von unserem bayerischen Mundartforscher Johann Andreas Schmeller (1785–1852) bei seinen Feldforschungen in den 1830er-Jahren hinweisen.

Besonders grundlegend waren die Ausführungen von KR Mag. Herbert Döller (Stadtpfarrer und Dechant von Waidhofen/Ybbs) unter dem Titel Unter Beteiligung des Volkes: Hier waren in den Ansätzen zum Singen geistlicher Volkslieder bei Gabler schon wichtige Erkenntnisse des Zweiten Vatikanischen Konzils in den 1960er-Jahren und der daraus erwachsenden Liturgiereform (u. a. Beteiligung der Gemeinde, Muttersprache) vorweggenommen. Dr. Eva Maria Hois (Steirisches Volksliedwerk) nahm sich den Liedtext Singet all mit Herzensfreud in Gablers Sammlung zum Motto. Zwischen den Referaten wurde auch kräftig im Chorsatz und Volksgesang gesungen.

Eva Bruckner und ich (EBES) gaben unter dem Titel Gabler in Oberbayern einen kleinen Einblick in die diesbezüglichen, schon u. a. von Wastl Fanderl Ende der 1970er-Jahre angestoßene Beschäftigung mit der Sammlung Gabler. Viele gemeinsam gesungene Lieder und mitgebrachte Liedblätter unserer Reihe Das geistliche Volkslied das Jahr hindurch gaben Beispiele für die Neugestaltung von Gabler-Liedern und die Möglichkeiten für den gegenwärtigen Gemeindegesang zu offiziellen kirchlichen Gelegenheiten (z. B. Hl. Messe, Andachten) und in der privaten Volksfrömmigkeit und Volksliedpflege. 

Innentitel des Buches Geistliche Volkslieder (1890) aus dem Besitz von Wastl Fanderl, das er für Arbeiten über die Sammlung Gabler an Ernst Schusser übergeben hat.

Arbeiten zu Gabler in Bayern

Der vielfältige Bezug, der von Gabler gesammelten und 1890 veröffentlichten zweistimmigen geistlichen Volkslieder zu Bayern war der Anlass, dass ich seit ca. 1980 im Auftrag vom Bayerischen Landesverein für Heimatpflege (München) diesen Gabler-Liedern nachspürte und in der Reihe Das geistliche Volkslied das Jahr hindurch gegenwärtig nutzbare Lieder herauszufiltern begann. Die Melodien und Melodie-Motive hatten es uns angetan. Manche Gabler-Lieder waren Grundlage für Neugestaltungen durch EBES.

Bei den Fortbildungstagen im (katholischen) Bildungswerk Rosenheim und den Andachten in Kapellen und Kirchen spürten die ganz normalen, unausgebildeten Sänger: Die Melodien waren eine Einladung zum Mitsingen, zum Miteinander Singen, auch in der eingebauten natürlichen Mehrstimmigkeit. Einige Melodie-Motive passten auch sehr gut für Rufe zum Kyrie, zum Halleluja vor dem Evangelium und zu den Fürbitten. Auf den 1982, 1984 und 1985 stattfindenden Studientagen Geistliches Volkslied vom Landesverein haben wir uns zusammen mit Seelsorgern, (z. B. Pfarrer Durner) um Textauswahl Richtung Ökumene bemüht, was bei den im 19. Jahrhundert im Waldviertel lebendigen und von Gabler aus dem Volksgesang aufgezeichneten Liedern nicht ganz leicht war. In vielen Referaten und Aufsätzen habe ich damals versucht, dem Phänomen Gabler näherzutreten.

Kommentierter Nachdruck der Geistlichen Volkslieder

Im Jahr 1984 wurde als ein Ergebnis der Gabler-Forschung ein kommentierter Nachdruck der Geistlichen Volkslieder von 1890 (mit besonderer Auswertung der Unterschiede Kirchenlied/Volkslied in Bezug zur Nachtigall von 1884) vom Bayerischen Landesverein veröffentlicht. Dieses Buch ist für manche Pfleger der geistlichen Volkslieder bis heute eine willkommene Arbeitsbasis. Im Vorwort des Herausgebers weist Geschäftsführer Kurt Becher (1914–1996), der auch die im Zuge des Bayerischen Musikplans neugeschaffene Beratungsstelle des Landesvereins für Volksmusik in München leitete, auf die Neuerungen seit den späten 1960er-Jahren hin:

»Mit der Erneuerung der katholischen Messliturgie haben auch geistliche Volkslieder Eingang in die Gottesdienstfeier gefunden, wobei sich jedoch an den Bestimmungen des II. Vatikanischen Konzils zur Verwendung der Musik und des Volksgesangs häufig die Geister scheiden: Dialekt oder Hochsprache, Liedvortrag oder Einbeziehung der Gemeinde, Mehrstimmigkeit für Gruppengesang oder überlieferte volksmäßige Mehrstimmigkeit.«

Das waren Themen, die gerade auch in den 1970er- und 1980er-Jahren die Sänger, Kirchenmusiker, Chöre, Gesangsgruppen und Kirchengemeinden bewegten. Ich selbst hatte das Für und Wider, das Nur oder Auch in vielen Besprechungen und Fortbildungen erfahren – und besonders auf die (Hoch-)Sprache und die musikalisch-einfache Umsetzung der Melodien bei Gabler hingewiesen. Unabhängig von den zu überprüfenden und der Gegenwart anzupassenden Texten hatte ich mich in die Arbeit gestürzt, dazu wieder Becher:

»Danken möchten wir an dieser Stelle […] Herrn Ernst Schusser, aus dessen jahrelanger Beschäftigung mit den Liedersammlungen Gablers Idee und Konzeption dieser Neuherausgabe entstanden.«

Gott zu ehren (Geistliche Volkslieder, Linz/Regensburg 1890, Nr. 8)

Gablers Gedanken

Im Vorwort der Geistlichen Volkslieder (1890) gibt Gabler viele Einblicke in Singweisen und Texte, Vorsänger und Volksgesang, Gebrauch der Lieder, Volksfrömmigkeit, seine Sammlungsarbeit und Gewährsleute usw. Hier nur einige kurze Zitate:

»Der Herausgeber des vorliegenden Buches hat seit fast 40 Jahren mit der Sammlung der in der Diöcese St. Pölten vorfindlichen geistlichen Volkslieder beschäftigt […] und hat die Zahl der aus dem Munde das Volkes gesammelten Liederweisen an 400 erhöht […] Die Texte der Lieder dieser Sammlung sind entnommen aus Manuscripten der Vorbeter und Vorsänger bei Processionen und außerkirchlichen Volksandachten […] Die Verfasser dieser Lieder sind fast durchgehends unbekannt und kann in Erwägung, daß dieselben mehr oder weniger einer fortwährenden Umänderung ausgesetzt sind, von einem Verfasser im eigentlichen Sinne meist nicht die Rede sein […] Es sind Gesänge […] die die Kinder des katholischen Landes singen zu Hause und auf dem Felde, in Kirchen und Kapellen, auf Wallfahrten und vor den Bildern der Heiligen, die sie singen bei der Krippe des Heilands und bei seinem heiligen Grabe […] Die Singweisen wurden, wie sie im Volke gesungen werden, aufgeschrieben und ohne wesentliche Aenderung wiedergegeben. […] Diese Lieder werden in der Regel von zwei Vorsängern vorgesungen. […] Sie werden ohne Begleitung irgendwelcher Instrumente von den Vorsängern zweistimmig vorgesungen und Vers für Vers von allen Theilnehmern […] nachgesungen. Das erklärt ihre Einfachheit und ihr Verbleiben in derselben Tonart. […] Um aber Abwechslung und Leben in den Gesang zu bringen, haben die meisten Lieder einen Refrain, der bei jeder Strophe sofort ohne Vorsingen von allen wiederholt wird. […] In diesen Liedern zeigt sich die ganze Macht des Volksgesanges. […]«

 

Auf den Spuren von Gabler 1990

Im September 1990 führten wir vom Volksmusikarchiv und von der Volksmusikpflege des Bezirks Oberbayern in Zusammenarbeit mit dem Volksliedarchiv von Wien und Niederösterreich in unserer Reihe Auf den Spuren … eine Dreitages-Exkursion zu Gablers Aufzeichnungsorten im Waldviertel durch. Diese Busfahrt hat bei vielen Teilnehmern aus Oberbayern (u. a. Bezirks-Volksmusikpfleger Wolfgang Scheck) das Wirken und die Bedeutung von Gabler für die Sammlung, Erforschung und Pflege der geistlichen Volkslieder grundgelegt. Diese Exkursion haben wir mit Freunden, die musikalische Bezüge zum Waldviertel hatten (z. B. Sepp Linhuber aus Eggstätt und Christl Diwischek aus Aschau zum Orgelbauer Pemmer) und befreundeten österreichischen Fachleuten (Prof. Karl Horak und Frau Grete Horak, Prof. Walter Deutsch, Prof. Harald Dreo, Dr. Walter Graf, Frau Mag. Dorli Draxler u. v. a) vorbereitet. Viele Orte und Kirchen haben wir besucht – und auch die entsprechenden Lieder aus Gablers Sammlung dort gesungen, unterstützt von Informationen örtlicher Gewährspersonen.

Besonders beeindruckend war z. B. die äußerst liedreiche Ortschaft Haugschlag an der tschechischen Grenze. Gabler betreute nach seiner Priesterweihe 1849 während seiner fünf Jahre als Kaplan in Waidhofen/Thaya diese Pfarrei. In dieser Zeit entstand das Katholische Wallfahrtsbuch (1854). Auch in Ramsau (Pfarrei Altpölla) machten wir Station, wo Gabler am 21. Januar 1824 als Sohn des Schmiedemeisters und Landwirts Leopold Gabler geboren wurde. Dieser bekleidete in Ramsau das Ehrenamt des Vorsängers im Ort – Joseph Gabler wuchs mit den Liedern seines Vaters auf.

Auf Vorbereitungsfahrten in den Jahren 1989 und 1990 haben wir anhand einer von Karl Horak gezeichneten Landkarte fast ein Drittel der ungefähr 90 Aufzeichnungsorte der Gabler-Lieder besucht und Kontakte mit der Bevölkerung aufgenommen – auch mit den Nachkommen von Gablers Gewährspersonen oder den aktuellen Vorsängern bei Wallfahrten und Andachten. Daneben beeindruckte unsere kleine Vorbereitungsgruppe auch die wunderbare Landschaft im Waldviertel, die lebendige Wallfahrtstradition, die kleinen Dorfkirchen und Wegkreuze – und die charakteristischen Pfarrherren (z. B. Pfarrer Johann Denk in Albrechtsberg), die wir treffen durften.

Für die Bus-Exkursion 1990 haben wir auch die Begleitbroschüre Pfarrer Joseph Gabler (1824–1902) – Leben und Werk im Volksmusikarchiv des Bezirks Oberbayern erarbeitet (168 Seiten). Neben Forschungstexten zu Gabler sind in dieser Broschüre auch viele seiner Liedaufzeichnungen enthalten, dazu auch zahlreiche weltliche Lieder aus dem Waldviertel für den geselligen Teil der Exkursion – viele davon kennen wir in etwas anderer Fassung auch aus der oberbayerischen Überlieferung. Dazu kommen Lieder aus Gablers Sammlung, die wir in der Reihe Das geistliche Volkslied das Jahr hindurch textlich überarbeitet hatten, u. a. ein Liederblatt für den Gemeindegesang zum Erntedankfest in der Pfarrkirche Albrechtsberg am 23. September 1990.

Und heuer!?

Zum 200. Geburtsjahr von Gabler planen wir heuer im August eine Fahrt mit Privat-PKWs auf den Spuren von Gabler. Informationen dazu und über die Sammlung Gabler gibt es beim Förderverein Volksmusik Oberbayern (Pfarrweg 11, 83052 Bruckmühl, +49 8062 8078307, ernst.schusser@heimatpfleger.bayern). Der Volksmusikpfleger des Bezirks Oberbayern, Leonhard Meixner, hat für diese Informationsarbeit dankenswerterweise kostenlos auch Chorsingblätter mit von EBES erneuerten Liedern aus der Sammlung Geistliche Volkslieder (1890) zur Verfügung gestellt, dazu auch einige Begleitbroschüren aus dem Jahr 1990. Auch Liederblätter aus unserer Reihe Das geistliche Volkslied das Jahr hindurch für allgemeinen Volksgesang geben wir bei Interesse gern weiter. Die Beschäftigung mit Gabler ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Arbeitslebens. Zudem bieten Gablers Beschreibungen der privaten singerischen Volksfrömmigkeit durchaus auch Ansätze für das heutige Gemeindeleben in Zeiten des Priestermangels. Machen wir uns selber auf den Weg.

Fotografische Eindrücke von den Vorbereitungsfahrten 1989/1990 ins Waldviertel

Halleluja-Ruf

Halleluja-Ruf: Diese weitverbreitete Melodie findet sich auch mit vielen Nachweisen bei Joseph Gabler: Geistliche Volkslieder. Regensburg 1890, z. B. unter der Nr. 13 erster Teil. Wir haben das Halleluja unterlegt (Eva Bruckner und Ernst Schusser, EBES 1991,10/251?). Bezirk Oberbayern/Volksmusikarchiv: Das geistliche Volkslied das Jahr hindurch, Buntes Heft Nr. 34 Lasst die Kinder zu mir kommen, Bruckmühl 1991, S. 20. Das Lied ist GEMA-frei und kann im Rahmen der Volksmusikpflege ohne Genehmigung öffentlich aufgeführt werden.

 

Dank sei dir, Herr Jesus Christus

  1. Hilf uns leben in der Liebe,
    zu den Menschen gütig sein.
    Hilf, dass wir den Menschen helfen,
    wenn sie traurig und allein.
    Dank sei dir Herr Jesus Christ,
    der du Mensch geworden bist.
  2. Du hast Leben uns gegeben,
    hast die Welt so schön gemacht.
    Lass auf Erden Friede werden
    und gib auf uns Menschen acht.
    Dank sei dir Herr Jesus Christ,
    der du Mensch geworden bist.

 

Dank sei dir, Herr Jesus Christus: Joseph Gabler hat die Melodie dieses Liedes in Haugschlag, Zwettl und Weitra/Waldviertel aufgezeichnet (Geistliche Volkslieder. Regensburg/Linz 1890. Nr. 8). Wir haben 1991 diesen neuen Text für ein Danklied unterlegt (EBES). Das Lied ist GEMA-frei und kann im Rahmen der Volksmusikpflege ohne Genehmigung öffentlich aufgeführt werden.

 

Aufmacher:
Joseph Gabler

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