Der Hirte mit der Harmonika

Ein Gespräch mit dem Harmonikavirtuosen Herbert Pixner

31. Oktober 2023

Lesezeit: 6 Minute(n)

Text: Wulf Wager Fotos: Stefan Wascher, Alex Filz, Sylvia Größwang, Joggelealm

 

Der bekannte musikalische Tausendsassa Herbert Pixner aus dem Südtiroler Passeirtal hat in seinem Leben schon viel angepackt – Instrumente, Musikstile, Schreinerlehre, Rundfunk- und Fernsehmoderationen sowie ein Musikstudium. … und was schon sehr romantisch klingt: er verbrachte viele Jahre die Sommermonate auf Almen. Wulf Wager hat sich mit Herbert Pixner über diese Zeit unterhalten.
In der Bergwelt rund um die Joggelealm oberhalb Ridnaun verbrachte Herbert Pixner einige Almsommer.
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Wulf Wager: Du hast in früheren Jahren mehrere Sommer als Senn auf einer Alp verbracht. Wie kam es dazu?

Herbert Pixner: Ich verbrachte die Sommer von 1995 bis 2010 auf der Alm. Viele Sommer in der Schweiz und einige auch in Südtirol. Bis zum Jahr 2000 war es für mich ein wichtiger Sommerjob: Ich war jung, ich brauchte das Geld. [lacht] Ich weiß, das klingt sehr unromantisch, aber mit dem Verdienst durch die Arbeit als Hirte – ich war nie als Senn auf der Alm – finanzierte ich mir das Musikstudium in Klagenfurt. Nachdem ich im Jahr 2000 das Studium abgebrochen habe, waren die Almsommer für mich neben dem finanziellen Aspekt auch eine wichtige Auszeit. Man verdient zwar auf der Alm nicht besonders viel, aber man braucht drei Monate fast nichts.

Was waren die prägendsten Erfahrungen?

Das alleine sein, das Leben mit der Natur, die harte Arbeit ohne freien Tag und die große Verantwortung für die Tiere der Bauern. Die intensivsten Almsommer waren die, bei denen ich alleine den gesamten Sommer auf dem Berg verbracht habe. Damals gab es noch keine Mobiltelefone. Die funktionierten dort oben erst ab den 2000er-Jahren und da nur an bestimmten Stellen und bei den richtigen Windverhältnissen – das Laden des Akkus war damals ebenfalls ein Problem. Also war man auf sich alleine gestellt. Der einzige Kontakt zur Zivilisation waren alle 14 Tage der Einkauf im Dorf für Proviant und das batteriebetriebene Kofferradio für Nachrichten und Wetterbericht. Die Almhütten waren allesamt sehr rustikal. Es gab weder Strom noch fließendes Wasser. Der einzige Luxus war ein funktionierender Holzherd. Dann natürlich die rohen Naturgewalten oberhalb der 2.000 Metern Meereshöhe. Gewitter im Hochgebirge, Schneefall, Sturm und wochenlang Regen und Nebel. Die Bergschuhe schafften es oftmals kaum bis zum nächsten Morgen wieder trocken zu sein. Man kommt sehr oft an seine physischen und psychischen Grenzen, da oben im Gebirge.

Welche Rolle hat die Musik dabei gespielt? Hast Du Deine Harmonika dabeigehabt?

Musik hat für mich schon immer eine wichtige Rolle gespielt. Gleich ob herunten im Tal oder oben auf der Alm. Ich hatte selbstverständlich immer meine Instrumente auf der Alm mit dabei. Die Musik hat mir immer geholfen den Alltag für die kurze Zeit, die man am und mit dem Instrument verbringt, auszublenden.

Blieb Zeit neben der Arbeit zum Üben und Komponieren?

Wenn man auf einer richtigen Alm ist, dann hat man den ganzen Tag mit der Almarbeit zu tun. Wenn man am Abend von der harten Arbeit untertags nicht total fertig war, hat man freilich ein paar Stücke ausprobiert und geübt. Ich habe damals ja erst mit dem Harmonikaspielen begonnen. 1991 im Herbst habe ich meine erste Harmonika bekommen und 1995 war mein erster Almsommer. Ich war also noch ein blutiger Anfänger. [lacht]

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  • Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=x3hbL_dQAVE

Was hat Dich auf der Alp inspiriert?

Man bekommt schnell einen anderen und neuen Zugang zur Natur und zu sich selbst. Obwohl ich auf einem Bergbauernhof aufgewachsen bin, ist das Leben auf der Alm viel intensiver. Man lebt viel bewusster mit dem Wetter, den Tieren und den Jahreszeiten. Oberhalb der 2.000 Meter Meereshöhe hat man in drei Monaten drei Jahreszeiten. Im Juni liegt da oben oft noch Schnee, es wird grad Frühling. Es folgt der kurze Hochsommer im Juli und ab August beginnt dort oben schon der Herbst. Dann ist da die beeindruckende Bergwelt. Das hat etwas Erhabenes, Mystisches, etwas sehr Archaisches. Da ist man als Mensch plötzlich sehr klein und viele Dinge, die einem herunten im Tal noch als besonders wichtig erscheinen, werden schnell komplett unwichtig. Diese Erfahrungen haben mich am meisten geprägt und in weiterer Folge auch inspiriert.

Notierst Du Deine Stücke? Wenn ja, in Normalnotation oder Griffschrift?

Wenn ich komponiere, entstehen die Stücke immer am Instrument. Da wird nichts notiert. Aufgeschrieben habe ich die Stücke nur, weil die Nachfrage anderer Harmonikaspieler so groß war und ich dann ein paar Hefte herausgebracht habe. [lacht] Die Noten gibt es in Griffschrift und Normalnotation. Mittlerweile auch für verschiedene Besetzungen.

Wie ist das mit der Einsamkeit? Kommt da nicht irgendwann die Melancholie?

Das kann ich nur für mich persönlich beantworten. Ich bin sehr gerne unter Menschen aber auch sehr gerne alleine. Es soll ja Leute geben, die es keine zwei Stunden alleine oder in Stille aushalten. Bei mir ist es so, dass ich oft Zeit für mich brauche, um zu reflektieren und zu sortieren. Gerade im Prozess, wenn ich neue Stücke schreibe, brauche ich die Einsamkeit oder die Ruhe. Ich mag bestimmte melancholische Momente sehr gerne. Solange die Melancholie nicht in Trübsal, Niedergeschlagenheit oder Schwermut übergeht. Für mich hat zum Beispiel der Herbst am Berg etwas Melancholisches. Das besondere Licht, die Farben und die Ruhe. Das mag ich.

Welchen Einfluss hat die Alpnatur auf Deine Musik?

Ich würde behaupten, einen sehr großen Einfluss. Kommt aber immer auf die eigene Gefühlsstimmung an. Ich bin eher ein Bauchmensch und verarbeite schöne und weniger schöne Erlebnisse und Einflüsse in Musik. Das ist mein persönliches Ventil, um nicht durchzudrehen. [lacht]

Die Berglandschaft, im Besonderen das Hochgebirge, liegt mir sehr am Herzen. Wenn ich sehe wie wir jeden noch so abgelegenen Berggipfel mit Seilbahnen erschließen und auf jedem Berg einen Funpark mit Disneyland errichten, dann tut das weh. Für mich ist der Berg ein Platz der Ruhe. Das nächste Album wird übrigens genau dieses Thema als Grundlage haben. Aber dazu möchte ich noch nicht allzu viel verraten.

Naturverbunden: das Herbert Pixner Projekt.

Foto: Stefan Wascher

Heute bist Du dauernd mit dem Herbert Pixner Projekt unterwegs. Sehnst Du Dich manchmal nach einem Alpsommer?

Wir sind seit 2009 intensivst mit dem Herbert Pixner Projekt unterwegs. Es gibt kaum etwas Schöneres, als mit meinen Leuten auf Tour zu sein. Selbstverständlich überkommt mich hin und wieder die Sehnsucht nach der Alm. Aber zum einen geht sich das zeitlich nicht mehr aus und zum anderen weiß ich, wie hart die Arbeit da oben ist. Wenn es dann im Sommer wieder tagelang regnet und die Schneefallgrenze auf 1.500 Meter vorhergesagt ist, dann wird die Sehnsucht schnell weniger. [lacht]

Die Zeit auf der Alm war ein wichtiger Lebensabschnitt, der mich bis heute geprägt hat und ist jetzt quasi archiviert. Aber wer weiß, vielleicht kommt wieder die Zeit, wo ich im Sommer wieder auf der Alm bin.

Wem würdest Du einen Alpsommer dringend ans Herz legen?

Nur solchen Menschen, die bedingungslose Verantwortung für die Tiere der Bauern aufbringen können. Das heißt oftmals rund um die Uhr da zu sein, hundert Tage ohne freien Tag und bei jedem Wetter zu arbeiten. Man verzichtet auf jeglichen materiellen Luxus, muss belastbar und gut zu Fuß sein und die Natur zu schätzen wissen. Wenn das nicht gegeben ist, dann ist es besser für alle Beteiligten, wenn man im Tal bleibt.

Du spielst mit vier Fingern auf der Diskantseite. Welchen Vorteil hat das gegenüber dem Fünffingersystem?

Es gibt nicht das perfekte System. Ich habe mit dem Vier-Fingersystem meine ersten Stücke gelernt und bin dabeigeblieben. Es kommt auf die Literatur an, die man spielt. Einen Landler mit vielen Schüttelbewegungen spielt man vielleicht etwas präziser und rhythmischer, wenn der Daumen als Stütze am Griffbrett eingesetzt werden kann. Bei Stücken, die viele Sechzehntel-Läufe von oben nach unten und umgekehrt haben, ist das Fünffingersystem sicher nicht von Nachteil. Aber das hängt dann auch wieder von der Anatomie der Finger, der Handstellung, dem Winkel der Abschrägung auf der Diskantseite und vielen anderen Faktoren ab. Also sehr individuell. Jeder muss für sich sein System und seinen Stil finden. Es gibt kein Patentrezept. Solange ein Stück groovt ist es egal ob man es mit zwei oder mit fünf Fingern spielt.

Foto: Alex Filz

Du spielst Jamnik-Harmonikas? Was macht die so besonders?

Ich spiele diese Instrumente seit meinen Anfängen als Harmonikaspieler. Mein erstes Instrument aus dem Jahre 1991 ist immer noch auf der Bühne im Einsatz. Nicht auszudenken, wie viele Tastenanschläge dieses Instrument bis heute auf der Uhr hat. [lacht]

Ich mag das Design und den unverkennbaren Klang der Jamnik-Harmonikas, der auch irgendwie zu meinem Markenzeichen geworden ist.
Zur Zeit sind drei Harmonikas aus dem Holz einer alten Eiche, die mein Vater vor dreißig Jahren gefällt hat, in Anfertigung. Ich freue mich schon auf den Moment, wenn die Instrumente fertig sind und dann auf den Brettern die die Welt bedeuten im Einsatz sind.

Lieber Herbert, vielen Dank für das Gespräch. Auch wir freuen uns, Dich und Deine Harmonikas auf den diversen Bühnen zu erleben.

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