Die Sachenmacherin

Über Gina Huber, Aktivistin, Model, Nadlerin und Musikantin

10. März 2025

Lesezeit: 8 Minute(n)

Interview: Thomas Bergmann Fotos: Günther Kulzer, Davide Lorefice
Thomas Bergmann: Griaß Di Gina, Du machst ja schon lange Kleidung selbst. Auf Deinem Instagram-Kanal zeigst Du uns auch immer wieder Deine neusten Trachtenkreationen. Wie bist du zur Nadlerei gekommen?
Gina Huber: Ich hab’ immer schon meine Trachten gleich nach dem Kauf zum Ändern geben müssen, weil mir keine normale Konfektion von der Stange passt. Die Oberteile musste ich immer verlängern und die Taille enger machen. Es war einfach immer ein großer Aufriss und dann hab’ ich mir gedacht: Okay, das kann ja nicht so schwer sein. Ich probier’ es jetzt einfach mal. Meine Mama hat auch schon immer genäht und so hat sich’s dann entwickelt, dass ich’s mal mit Schürzen probiert hab und mich dann während eines Kurses an einen ersten Spencer gewagt hab. Da hab’ ich gemerkt, das funktioniert sehr gut. Es macht mir Spaß und mir passen die Sachen nachher auch. So ist es dann ein Hobby von mir geworden und ein Ausgleich, bei dem ich gut abschalten kann von meinem Job.

»… es gibt eben auch sehr viele schöne alte Dinge und Materialien.«

Bei Deinen Trachten verwendest Du auch immer wieder ungewöhnliche Materialien. Was hat es damit auf sich?

Bei mir ist es so: Ich sehe irgendwo einen Stoff, sei es in einem Geschäft oder Secondhandshop, eine alte Decke oder ein altes Kleid oder einen Kissenbezug auf dem Flohmarkt. Wenn’s ein besonderes Muster ist oder eine besondere Haptik hat, dann passiert in meinem Kopf schon ganz viel. Welche Kombinationen damit möglich sind und ob sich das eignen würde für einen Spencer oder eine Schürze. Und dann probier’ ich das aus, ob man irgendwas draus machen kann und die meiste Zeit haut das auch hin.

Ich mag an mir vor allem Tracht, die man sonst nirgends sieht. Mir ist es wichtig, dass es nicht jeder hat und ich mag dabei auch alten oder gebrauchten Sachen eine zweite Chance geben. Ich finde das nachhaltig und es gibt eben auch sehr viele schöne alte Dinge und Materialien.

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Was würdest Du empfehlen, wenn jemand mit der Nadlerei anfangen will?

Wenn jemand komplett neu anfangen will mit dem Nähen, dann würde ich ihm erst kleinere Projekte empfehlen. Man kann sich gute Video-Anleitungen im Internet raussuchen, zum Beispiel für eine Schürze oder ein Täschchen für den Schürzenbund. Außerdem würde ich empfehlen, nicht gleich eine teure Maschine zu kaufen, sondern erst auszuprobieren, ob es einem Spaß macht. Man wird auch sehr schnell feststellen, dass Selbermachen nicht unbedingt billiger ist. Gute Materialien kosten eben auch ihr Geld.

Und was machst Du, wenn Du mal wo nicht weiterkommst?

Wenn ich mal irgendwo nicht weiterkomme, schaut das Procedere immer gleich aus. Erst mal fluche ich alle Heiligen zusammen. Dann versuch ich einen anderen Weg, dann frage ich meine Mama, wie sie das machen würde. Wenn ich mit all diesen Möglichkeiten nicht auf einen grünen Zweig komm’, dann lege ich das Werkstück auf die Seite und schau es mir in zwei oder drei Tagen noch mal an. Meistens reicht das, um den notwendigen Einfall zu bekommen, wie ich das Problem lösen kann.

Wie findest Du die Inspirationen für Deine ausgefallenen Sachen?

Mit den Materialien, den Farben und den Mustern entsteht oft schon ein Bild in meinem Kopf, was daraus werden könnte. Meistens ist das Endergebnis dann doch ein bisschen anders als die Vorstellung, die ich gehabt hab. Sei es jetzt der Schnitt oder weil sich’s von der Stoffmenge doch nicht so ausgegangen ist. Ich bin viel unterwegs auf Tänzen oder anderen Veranstaltungen, da sieht man immer verschiedene Kombinationen und Schnitte und man lässt sich natürlich von anderen Arbeiten inspirieren.

[Foto: Guenther Kulzer]

Wir arbeiten ja schon eine Zeit zusammen und entwerfen zusammen Hüte. Was macht für Dich einen guten Hut aus und zu welcher Gelegenheit trägst Du einen?

Also an erster Stelle sollte er mir natürlich stehen. Der Hut muss unbedingt zur Kopf- und Gesichtsform passen. Es gibt nichts Schlimmeres, als einen Hut, der einfach nicht zu seinem Träger oder zu seiner Trägerin passt. Dann ist auch beim Hut die Haptik wieder ein großes Thema bei mir. Also wenn ich den Hut richt’ über den Tag, dann soll sich das gut anfühlen. Er soll auch gut heben, grad wenn man tanzt. Ich trage Hüte eigentlich zu sämtlichen Anlässen gern, also überhaupt Kopfbedeckungen. Zur Tracht am liebsten einen Hut, der perfekt zum Dirndl passt. Aber auch mit Jeanshemd und ­Gilet oder mit einem Kostüm trag ich gern Hut. Also ich bin grundsätzlich sehr gerne gut behütet, egal was ich anhab’.

Du nadelst nicht nur, sondern bist auch sonst eine Sachenmacherin. Womit beschäftigst Du Dich noch?

Meine Hobbies nehmen alle sehr viel Zeit in Anspruch. Also eigentlich bräuchte ich einen Tag, der 48 Stunden hat, um allem gerecht zu werden. Ich mach viel am und im Haus selber. Alles Mögliche, Baustelle bis Interieur-Design, Gummistiefel oder Pinselstrich. Außerdem bin ich in der Custom-Car-Szene unterwegs und schraube an meinem Ford Van von 1964. Dementsprechend bin ich auch viel auf Treffen und Festivals in ganz Europa unterwegs. Ich schau mir gerne Dirt-Track-Rennen an. Wir haben einen Hund, der braucht Auslauf und ich auch. Aber eigentlich bin ich schon immer gern sehr viel draußen in der Natur. Nebenberuflich stehe ich seit 13 Jahren vor der Kamera.

Du bist auch Musikantin. Welches Instrument spielst Du?

Ja ich bin Musikantin. Ich spiele Ziach seitdem ich sieben Jahre alt bin. Davor war ich eins dieser Blockflötenkinder. Dann hat es geheißen Es-Klarinette oder Ziach und da ist mir die Entscheidung eigentlich relativ leicht gefallen und ich hab’ mich für die Ziach entschieden. Dazu bin ich leidenschaftliche Volkstänzerin und geh unfassbar gern tanzen und kann eigentlich meine Haxn nicht stillhalten, sobald irgendwo eine Musi spielt.

»… wie in Miesbach in der Oberlandhalle auf dem Viehmarkt.«

Eins Deiner Markenzeichen sind Deine Tätowierungen. Hast Du damit jemals schlechte Erfahrungen durch voreingenommene Bewertungen erfahren?

Leider habe ich schon einige schlechte Erfahrungen aufgrund von Stigmatisierung oder Schubladendenken erfahren. Ich erinnere mich da zum Beispiel an einen Volkstanz im Chiemgau vor ein, zwei Jahren. Da waren wir zusammen mit Freunden beim Tanzen, haben gerne und viel getanzt. Klar, man wird halt immer angeschaut, irgendwie, wenn man sichtbare Tattoos hat. Da bin ich mit sämtlichen Schimpfwörtern bezeichnet worden. Im Vorbeigehen. Von so – ich nenn die jetzt mal – Hardcore-Trachtlern. Manchmal wird das auch nicht direkt gesagt, sondern so, dass ich es zwar mitbekomme, aber halt hintenrum irgendwie.

Es kommt auch öfter mal vor, dass man mich einfach antatscht und meinen Arm hochhebt und sagt, ich soll mich drehen und mal von allen Seiten anschauen lassen. Und wo ich noch überall Bilder hab’ und so, was leider super, super übergriffig ist, weil man sich da fühlt wie in Miesbach in der Oberlandhalle auf dem Viehmarkt. Man fasst einfach keine fremden Menschen einfach so an. Man kann mich solche Sachen auch ganz normal fragen, welches Tattoo was bedeutet oder was das für einen Hintergrund hat. Meist kommen aber so abschätzige Fragen und du merkst das an der Betonung dann schon. Und zu 99,9 % wenn das jemand fragt, meint er es irgendwie blöd und abschätzig und interessiert sich da überhaupt nicht für meine Antwort. Er stellt die Frage ja nur, um sich selbst zu überhöhen. Gerade ist er auf etwas Unbekanntes gestoßen und möchte seine Verunsicherung loswerden. Ich finde das superschwierig.

Es geht doch nicht darum, wie man ausschaut, sondern was man macht. Ich würde mir einfach wünschen, dass dieses von oben herab einfach mal aufhört. Das fällt mir gerade in der Trachten- oder Volksmusikszene leider sehr negativ auf, dass viele Menschen dort immer noch so mit Vorurteilen behaftet sind.

Gina, Du bist Aktivistin für die tabuisierte Krankheit Morbus Crohn. Was ist Dein Anliegen?

Ich bin Patienten-Aktivistin für CED-erkrankte Personen. Chronisch entzündliche Darmerkrankungen heißt die Abkürzung. Ich bin selber seit 18 Jahren an Morbus Crohn erkrankt und habe schon einige Operationen hinter mir. Zweimal wäre ich fast daran gestorben.

Viel zu wenige Menschen wissen etwas über solche Magen-Darm-Erkrankungen. Viele sagen »Iiiiieeehhh«, irgendwas mit Ausscheidungen oder Verdauung. Ach, da will ich nichts damit zu tun haben. Am besten überhaupt nicht drüber reden. Obwohl es das Normalste auf der Welt ist. Sogar die Queen ist aufs Klo gegangen, also kann man auch da drüber reden. Ich bin auf meinem Instagram-Kanal sehr aktiv und berichte so über meinen Alltag mit der Erkrankung. Mich können andere Mitpatienten und Patientinnen anschreiben, wenn sie Hilfe brauchen oder sie nicht weiter wissen. Ich versuche dann immer so ein bisschen anzuleiten, wie das Prozedere jetzt ist, wo sie hingehen sollen und was sie abfragen sollen. Natürlich hab’ ich auch einfach ein offenes Ohr.

Als ich damals mit 21 nach meiner ersten Notoperation die Diagnose bekommen habe, wusste ich von dieser Erkrankung überhaupt nichts. Ich war einige Jahre damit wirklich allein und bin dadurch leider auch noch in eine schwere Depression hineingerutscht. Jetzt will ich einfach verhindern, dass es neu diagnostizierten Menschen auch so geht. Es war damals eine sehr schlimme Zeit für mich und es ist mir deshalb wichtig, dass die Gesellschaft mehr von den Erkrankungen Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa erfährt. Für die Stiftung Lila Hoffnung e.V. arbeite ich ehrenamtlich und bin als Botschafterin unterwegs auf Social Media. Ab und zu veranstalte ich auch Patientenstammtische, wo diese sich dann austauschen können. Aber eben ohne diese Arzt-Patienten-Situation, ohne dieses von oben herab. Mir ist es wichtig, dass sich die Patientinnen und Patienten untereinander auf Augenhöhe begegnen können und dass keiner den anderen irgendwie stigmatisiert oder eben in irgendeine Schublade steckt und ich mag da einfach so eine Art Safe-Space anbieten.

Wo findet man mehr über Dich?

Mein Kanal auf Instagram crohniegingin ist eine bunte Mischung. Dort findet man meine Trachten, Musik, Shootings, Auto-Zeug und was ich sonst so mache. Und eben ein ganz großes Thema: Mein Alltag mit der Erkrankung und wie das so ausschaut.

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Aufmacher:
Gina Huber [1]

Foto: Davide Lorefice

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