Dirndl

Tradition goes Fashion

7. März 2025

Lesezeit: 7 Minute(n)

Text: Michaela Breil und Sophie Buscher Fotos: Christoph Jorda, Michael Maritsch und Maik Kern

Traditionelle Dirndl, modische Dirndl, erneuerte Dirndl, Dirndl oder Tracht oder das Dirndl in der Tracht? Was kann und darf ein Dirndlkleid zu welcher Zeit sein? Wie entstand es und welche Bedeutung wird ihm zugeschrieben? Festkleid, Heimatkleid oder Saufgewand, wie es ein Einzelhändler aus der Trachtenbranche nannte? Ein Dirndl ist mehr als nur ein Kleid – es steht für bayerische und österreichische Tradition, Geschichte und Handwerkskunst. Doch heute gilt es auch als ein modisches Statement, das mit innovativen Designs und Akzenten die Herzen der Fashionista erobert und zu unterschiedlichsten Anlässen getragen wird.

All diese Aspekte beleuchtet die Ausstellung Dirndl – Tradition goes Fashion im Staatlichen Textil- und Industriemuseum Augsburg (tim) zwischen 4. April und 19. Oktober 2025. Sie zeigt die wechselvolle Entwicklungsgeschichte des Dirndls, seine Ursprünge, politischen Vereinnahmungen und seine aufregenden Neuinterpretationen. Die Ausstellung entstand in Kooperation mit dem Oberösterreichischen Landesmuseum Linz, das die Schau im Jahr 2021 im Marmorschlössl der Kaiserin Sisi in Bad Ischl zeigte. Für die Augsburger Präsentation blickten die leitenden Kuratorinnen beider Häuser nicht nur nach Österreich, sondern weiteten den Blick Richtung Bayern.

Der Streifzug durch die Geschichte des Dirndls beginnt im 19. Jahrhundert, als sich das allgemeine Interesse an ländlicher Kleidung, besonders in den Alpenregionen trotz gescheiterter Versuche zur Einführung einer einheitlichen Nationaltracht herausbildete. Das äußerte sich 1883 in der Gründung des ersten Trachtenvereins in Bayern, unterstützt von König Ludwig II.

Wasserburger Festtagstracht nach ­Entwürfen von Barbara Brückner, um 1950.

[Städtisches Museum Wasserburg am Inn]

Dirndl des Volkskunsthaus Wallach, München, 1970er- Jahre.

[Staatliches Textil- und Industriemuseum Augsburg (tim)].

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Die Landlust der Städter

Das Dirndl als modisches Kleid entwickelte sich parallel durch die Landlust der Städter, als der ländliche Ferienaufenthalt zum begehrten Erholungsziel wurde. Wer es sich leisten konnte, verbrachte den Sommer am See und/oder in den Bergen. Die Reisenden suchten nach dem, was ihren Vorstellungen vom Landleben entsprach. Mit dieser voreingenommenen Perspektive blickten sie auf den Alltag und die Kleidung der Landbevölkerung und passten sich zugleich daran an: Während die Jagdkleidung bei Herren Anklang fand, war es bei den Damen das bäuerliche Arbeitskleid. Das ländlich verstandene Gewand diente nicht nur als Bekleidung, sondern stand in Verbindung mit einer bestimmten Landschaft und drückte ein Lebensgefühl aus. Die Firmen Wallach in München und Lanz in Salzburg hatten früh den Trend erfasst und machten das Dirndl als Kleid für die Städterin populär. Zudem brachten die Urlauberinnen ihre Feriengarderobe mit in die Städte, wo sie wiederum von Schneidereien aufgegriffen und weiterverbreitet wurde. Das Dirndl ist somit nicht schon immer dagewesen, sondern eine dem Historiker Eric Hobsbawm folgend »erfundene Tradition«. Das Dirndl verkörpert somit die Dynamiken, die sich in politischer, ökonomischer und sozialer Hinsicht auch in den kulturellen Ausformungen der Sommerfrische zeigen, mehr als jedes andere Objekt der bayerischen – und zugleich auch der österreichischen – Geschichte, wie die Ethnologin Simone Egger in ihrem Katalogbeitrag zur Augsburger Ausstellung schreibt.

Weltweite Popularität erlangte das Dirndl in der Zeit zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. In den 1920er-Jahren erlangten die Salzburger Festspiele internationale Bedeutung und die zuvor vor allem in Deutschland und Österreich bekannte Sommerfrischemode fand auch bei Festspielkünstlern und Besuchern aus Europa und den USA Anklang. Trendsetterinnen wie die Schauspielerin Marlene Dietrich oder die Opernsängerin Lotte Lehmann trugen Trachtenkostüm oder Dirndl bei ihren Aufenthalten in Salzburg und verbreiteten den alpenländischen Charme weltweit. Es ergab sich eine Wechselwirkung von Tourismus und Trachtenmode mit der Folge, dass letztere bald als integraler Bestandteil der alpenländischen Identität erachtet wurde. Vorbilder gab es genug. Weltweit reisende Theater- und Musikgruppen oder auch Musicalproduktionen wie Im weissen Rössl von 1930 trugen zu der Verbreitung der alpenländischen Kleidung und des damit vermittelten Lebensgefühls bei.

Bettzeugdirndl nach einem Trachtenerneuerungsentwurf Mühlviertel von Franz C. Lipp aus dem Jahr 1955, gefertigt von der Münchnerin Rita Szeibert, 1983

[Rita Szeibert]

Hostessendirndl von der Firma Heller & Ponwenger, 1972

[Zentrum für Trachtengewand des Bezirks Oberbayern, Benediktbeuern].

Das Dirndl in der Tracht – Trachtenerneuerung

Die modischen Interpretationen des Dirndls in den 1920er- und 1930er-Jahren waren den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. Traditionelle Tracht, die regionale und konfessionelle Bindung ausdrückte, widersprach nationalsozialistischer Ideologie, die keine deutsche Volkstracht vorsah. Allenfalls ging es darum, verbliebene Trachten in zeitgenössische, leicht reproduzierbare Kleidungsformen zu »erneuern«. Die Mittelstelle Deutsche Tracht in Innsbruck unter der Leitung von Gertrud Pesendorfer entwickelte daher ab 1939 ausgehend vom bäuerlichen Alltagsgewand neue Trachten für einzelne Gaue. Aus damaliger Sicht bot die Tracht eine Möglichkeit, die Zugehörigkeit zur Volksgemeinschaft auszudrücken. Gleichzeitig grenzte ein »Trachtenverbot für Juden«, wie es der Völkische Beobachter, das Parteiorgan der Nationalsozialisten 1938 in rassistischer Manier forderte, Bevölkerungsgruppen aus der Volksgemeinschaft aus.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hielt man besonders in Österreich an der regionalen Klassifizierung der Dirndl fest. Seit den 1950er- und 1960er-Jahren erlebte die sogenannte Trachtenerneuerung durch staatliche Förderungen, die Einkleidung von Musikkapellen, die Gründung von Trachtenvereinen und Trachtennähkursen an den Landwirtschaftsschulen einen Höhepunkt und entwickelte große Breitenwirkung. Klassische Dirndl im typischen Schnitt, die sich nur sehr bedingt den modischen Trends anpassen, gelten als traditionelle Dirndl. Sie sind an den Alltagstrachten orientiert und haben keine regionalen Spezifika.

Emanuel Burger, Couture- Dirndl mit handgestickten Paisley- Mustern, 2024

[Emanuel Burger]

Detail zu dem Couture- Dirndl mit ­handgestickten Paisley- Mustern.

Auch in Bayern verfolgten verschiedenste Initiativen und Institutionen das Ziel, erneuerte Trachten für bayerische Regionen zu entwickeln. So erarbeitete die Volkskundlerin und Münchner Lehrerin Barbara Brückner (1903–1990) Anfang der 1950er-Jahre Vorschläge unter anderem für das Chiemgau oder Mühldorf am Inn. Der Wasserburger Kreisheimatpfleger Theodor Heck (1898–1976) erteilte ihr einen ersten Auftrag für eine Wasserburger Männertracht. Entwürfe für eine Sonntags-, Festtags- und Alltagstracht für Frauen folgten. In der Breite konnte sich diese Tracht jedoch nicht durchsetzen. Theodor Heck und seine Frau Maria engagierten sich jedoch noch Jahre später für die neue Tracht im heimischen Landkreis. Maria Heck stiftete einen Satz dieser Kleider dem Freilichtmuseum Amerang. Vermutlich hat sie die Dirndl zunächst selbst getragen, wie entsprechende Spuren vermuten lassen. Das tim zeigt erstmalig die Kleider zusammen mit den Entwurfszeichnungen Brückners.

In den 1950er-Jahren verstärkten Heimatfilme sowie der Kultfilm Sound of Music (1965) den seit den 1930er-Jahren bestehenden Trend, der das Bild der alpenländischen Kleidung prägte und verbreitete. International steht das Dirndl für Bayern und Österreich, ähnlich wie der Kilt für Schottland, die Baskenmütze für Frankreich oder der Kimono für Japan. Es verkörpert ein stereotyp geprägtes, aber positiv besetztes Klischee mit starker Werbewirkung, das bis heute von der Tourismus- und Bekleidungsbranche bis hin zur Nahrungsmittelindustrie genutzt wird. Herausragendes Beispiel dafür sind die in der Ausstellung zu sehenden Hostessen-Dirndl der Olympischen Spiele 1972 in München. Otl Aicher, der das visuelle Gesamtkonzept verantwortete, suchte auch für die Kleidung der Mitarbeitenden Tradition und Moderne zu verbinden. Die blauen Hostessen-Dirndl mit ihrem klaren Schnitt und der kräftigen hellblauen Farbe sind bis heute im visuellen Gedächtnis verankert.

»… das modische Dirndl ist eher an Trends in der Modeindustrie orientiert.«

Gebrauchspuren am Arbeitsdirndl einer Sennerin, Gaißach 1930er- Jahre

[Zentrum für Trachtengewand des Bezirks Oberbayern, Benediktbeuern]

Lola Paltinger, Couture- Dirndl, 2025

[Lola Paltinger]

Fashion trifft Dirndl

Die Popularität des Dirndls als Kleidungstück für besondere Anlässe und insbesondere für Volksfeste – und das nicht nur in Bayern – lässt sich mit dem Interesse der Modeschöpferinnen und Modeschöpfer verknüpfen. Im Umgang mit Dirndlkriterien ist der Fantasie der Designerinnen und Designer keine Grenze gesetzt. Schon in der ersten Epoche der Dirndlmode der 1920er und 1930er-Jahre war der traditionelle Formenschatz zwar eine wichtige Interpretationsquelle, aber das modische Dirndl ist eher an Trends in der Modeindustrie orientiert. Mittlerweile werden sogenannte trachtenuntypische Stoffe verwendet und die Tradition wird nur noch in Akzenten zitiert. Trendsetterinnen, wie Marlene Dietrich aber auch Kaiserin Elisabeth von Österreich brachten immer wieder neue Anregungen und führten zu neuen Kreationen. Auch die künstlerische Auseinandersetzung mit Region-Tracht-Tradition führt zu Neuinterpretationen des Dirndls.

Eine wichtige Inspirationsquelle für viele Modedesignerinnen und Modedesigner sind neben dem Material, der Farbe und der Verarbeitungsmethoden der Formenschatz der Trachten und die regionalspezifischen Bekleidungstraditionen. Die Ergebnisse dieser Auseinandersetzung sind wechselnden Schwerpunkten zuzuordnen.

Die Schau schließt somit folgerichtig mit der Präsentation herausragender Couture-Dirndl der Gegenwart. Lola Paltinger war eine der ersten, die sich mit ihrem Label Lollipop & Alpenrock im Feld der Couture-Dirndl etablieren konnte, andere folgten auf unterschiedlichste Weise. Andreas Kronthaler setzt sich immer wieder mit Tracht, Mode- und Handwerkstraditionen auseinander. Er entwarf für Vivienne Westwood eine Serie Dirndl-Dresses, die 2018 in Paris auf dem Laufsteg gezeigt wurden. Der junge österreichische Designer Emanuel Burger entwarf Couture-Dirndl für die Firma Gössl und kreiert heute unter eigenem Namen neue Interpretationen in aufwändiger Handarbeit. Für die Ausstellung im tim verwendete er Vorlagen aus dem ersten Musterbuch der Neuen Augsburger Kattunfabrik von 1792. Es enthält Entwürfe für Druckstoffe aus Baumwolle, die ganz der Mode des späten 18. Jahrhunderts folgend fantasievolle florale Motive aber auch Paisley-Muster zeigen. Burger übersetzte die Vorlagen in Stickereien und kombinierte historische Textilien mit neuen Materialien.

Etwa hundert Dirndlkleider aus zwei Jahrhunderten spannen den Bogen von Frühformen des beliebten Gewandes bis hin zu zeitgenössischen Kreationen heutiger Modemacherinnen und Modemacher.

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Ausstellungsbesuch

Die Ausstellung Dirndl – Tradition goes Fashion ist von 4. April 2025 bis 19. Oktober 2025 im tim zu sehen. Das tim hat Di–So von 9 – 18 Uhr geöffnet. Staatliches Textil- und Industriemuseum Augsburg (tim), Provinostr. 46, 86153 Augsburg.

www.timbayern.de

Aufmacher:
Sommerfrische- Dirndl, 1910

[OÖ Landes-​Kultur GmbH, Sammlung Volkskunde und Alltagskultur ]

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