Text: Florian Schwemin
Fotos: Hawaiian Music Online Photograph Exhibition
Der Ursprung dieses Beitrags liegt weit zurück an einem süffigen Abend in einer Tikibar. Was der Autor nämlich – neben einer leichten Schlagseite – damals mit nach Hause nahm, war ein nagendes Gefühl, dass mit der Musik, die sich in den Stunden an der Bar in den Hinterkopf gefressen hatte, irgendetwas nicht ganz stimmte. Eigentlich passte alles in die von US-amerikanischen-1950er-Jahre-Südsee-Exotismus getragene Atmosphäre: Steelguitars, jazzy Schlagzeug, Slap-Bass mit einem Touch Rock’n’Roll, Ukulelen-Nachschlag … mal Freddy-Quinn-Sehnsuchts-Schmalz, mal fetzig mit polynesischem Gesang … Hula-Sound eben. Irgendwann, Jahre später, reifte die Erkenntnis: viele Lieder waren irgendwie marschig oder – bei den Walzern vor allem stubnmusikmäßig. Es brauchte gar nicht viel Rechercheaufwand, herauszufinden, dass a) das Gefühl richtig war und b) das hawaiianische Königshaus maßgeblichen Anteil daran hatte.
Die SMS Donau in Honolulu
Im Jahr 1870 nämlich machte die SMS Donau – eine Fregatte der k. u. k. Marine – für fünf Monate Stopp in Honolulu, um durch Zyklone verursachte Schäden reparieren zu lassen. In dieser Zeit trat die an Bord befindliche Kapelle mehrfach in Honolulu auf. Die Hawaiian Gazette schreibt am 13. Juli 1870, dass durch den guten Einfluss der Konzerte sogar die Kriminalitätsrate zurückging.
In Folge wuchs der Wunsch von Königshaus und Bevölkerung ein royales Orchester aufzubauen. Der Hawaiianische König Kamehameha V. wandte sich daraufhin an den preußischen König Wilhelm I. – schließlich hatte 1867 eine preußische Kapelle den Wettbewerb der Militärkapellen auf der Weltausstellung in Paris gewonnen und für den Südseekönig war nur das Beste gut genug.
1872 ordnet tatsächlich Kaiser Wilhelm I. den 27-jährigen Heinrich August Wilhelm Berger (1844–1929) aus Coswig, der unter anderem unter Johann Strauß jun. gearbeitet hatte, Feldwebel und Assistent des Kapellmeisters seines Regiments, nach Honolulu ab, um den König bei der Neuorganisation seiner King’s Band zu unterstützen. Der Aufbau ging unter Berger schnell voran und aus zehn jungen Männern, die größtenteils einer Einrichtung für schwer erziehbare Jugendliche entstammten, wurde die Royal Hawaiian Band.
Ohren sind die Hauptsache
Berger erinnerte sich so an seine Anfänge: »Man präsentierte mir zehn junge Männer. Sie hatten Ohren und das ist in der Musik schon einmal die Hauptsache. Ich schrieb ihnen Melodien im Umfang einer Quinte, vom F zum C. Später kamen wir bis zur Oktave. Sie machten große Fortschritte und binnen eines Monats konnten sie ein halbes Dutzend Melodien und einen Walzer spielen.« (Nach: George S. Kanahele: Hawaiian Music and Musicians: An Illustrated History, Honolulu 1979, Übersetzung: F. S.)
1877 ernannte König Kalaˉkaua Berger zum vollwertigen Kapellmeister. Berger feierte einen Erfolg nach dem anderen und nahm 1879 die hawaiianische Staatsbürgerschaft an. Sein Erfolgsrezept bestand unter anderem darin, dass er sich intensiv mit der vorhandenen Musiktradition beschäftigte und alte aber auch neu von Hawaiianern komponierte Stücke für die Militärkapelle einrichtete.
Die Schrifstellerin Isobel Osbourne schreibt dazu: »Die erfrischenden, sanften Lüfte Hawaiis waren herrlich und die Hulas, die Mr. Berger eingerichtet hatte, gaben gute, lebhafte Melodien für Polkas und Schottische. Das Höchste war es aber, wenn sie ihre Instrumente niederlegten und sangen! Wie gern erinnere ich mich an das seidene Wischen langer Schleppen, das Geräusch von im Walzertakt über den Boden gleitender Sohlen zu den Stimmen der Royal Hawaiian Band.« (Nach: George S. Kanahele: Hawaiian Music and Musicians: An Illustrated History, Honolulu 1979, Übersetzung: F. S.)
Bei seinen Konzerten mischte er diese neu entstandenen Stücke zu Beginn immer wieder mit Klassikern der preußischen und k.u.k.-Militärmusiktradition, mit den Jahren war aber das Repertoire an hawaiianischen Märschen groß genug geworden, dass diese den Hauptteil seiner Programme ausmachten.
Dazu trug auch das Hawaiianische Königshaus maßgeblich bei. So textete König Kalaˉkaua die Nationalhymne und die spätere Königin Lili‘uokalani komponierte eine ganze Reihe von Stücken darunter das berühmte Aloha ‘Oe, das natürlich auch von Berger für die Royal Hawaiian Band adaptiert wurde.
Von Hawaii in die Welt und wieder zurück
Als sich Berger schließlich im Jahr 1915 zur Ruhe setzte, hatte er nicht nur einen Putsch und die Gründung einer Republik, sondern auch die Annexion Hawaiis durch die USA erlebt. Durch diese unruhige Zeit hindurch war es ihm aber gelungen, die Royal Hawaiian Band zu erhalten. Ein Schreiben Bergers an den Gouverneur von Hawaii vom 31. Dezember 1900 zeugt von der ungebrochenen Begeisterung für die Musik der auf 30 Musiker und zwei Sängerinnen angewachsenen Gruppe, die auf 418 (!) Auftritte im Jahr 1900 zurückblicken konnte.
Die Annexion durch die USA brachte es mit sich, dass sich der hawaiianischen Musik neue Märkte erschlossen. In Festlandamerika wuchs die Nachfrage nach Tanzbands – meist Saitenquartette oder -quintette, die einen ganz eigenen Stil aber eben auch das ein oder andere Bergerstück im Repertoire hatten.
In der Nachkriegszeit kam es dann, ausgehend von Amerika – im Bereich der populären Musik zu einem Re-Import hawaiianischer Musik in ganz Europa. Im Vordergrund standen hierbei natürlich die Südsee-Exotik und die Freude an alkoholhaltigen Cocktails und leichtbekleideten Hula-Mädchen und was alles in der Fantasie so dazugehörte. Es war aber sicher auch hilfreich, dass die Musik nicht gar zu exotisch war und im europäischen Ohr schon bekannte Saiten anschlug – gerade, was Rhythmik, Liedaufbau und Harmonisierung betraf. Am Beispiel der aus Basel stammenden Hula Hawaiians lässt sich gut nachverfolgen, wie sich die Hawaii-Musik in den 1950er-Jahren immer mehr dem Jazz und dem Rock’n’Roll annäherte. Aber das führt dann doch in die weitläufigere Verwandtschaft hinein und soll heute nicht unser Thema sein, wie es auch aus Hawaii noch viel mehr über die Musiktraditionen zu berichten gäbe.
So unterschiedlich die Kulturen doch sein mögen, musikalisch sind die deutsche und die hawaiianische (Militär-)Musik enger verwandt als man meinen möchte. Der gemeinsame Vater war in diesem Fall nicht der Postbote, sondern der Kapellmeister.
Lesen, hören, spielen:
Das Hawaiianische Staatsarchiv hat auf seiner Homepage Notenmanuskripte und Tagebücher Bergers online verfügbar gemacht, die jedem, der sich näher damit beschäftigen will, interessante Einblicke ermöglicht. https://ags.hawaii.gov/archives/online-exhibitions/henri-berger-manuscript-collection/
0 Kommentare