Text: Urs Kühne Foto: Christian Felber
Eine beliebte Form des Jodelns in der Schweiz ist das Jodellied mit gesungenem Text und gejodeltem Refrain. Jodellieder haben vorwiegend die Natur zum Thema, eine romantisierte Vorstellung des Hirtenlebens und besonders auch die Liebe. Dabei sind die Rollen klar verteilt: Der junge Mann verliebt sich in eine junge Frau und erobert sie, – sie bleibt gänzlich passiv und verlobt sich mit ihm. Die beiden heiraten und neun Monate später werden sie Eltern, meistens eines Knaben. War die Frau vor der Hochzeit ein Meitli (Mädchen), wird sie mit der Geburt des Knaben zum Müeti (Mütterlein). Frau und Partnerin des Mannes ist sie nie.
Der Jodelchor Echo vom Eierstock revidiert die Texte solcher Jodellieder auf feministische Art und Weise; die Melodien bleiben bestehen. Ein versiertes Publikum erkennt dadurch die ursprünglichen Texte und damit die Diskrepanz der unterschiedlichen Weltsichten. Im untenstehenden Beispiel tritt die Tochter des Müeti selbstsicher auf, entscheidet und handelt eigenständig, was dem gängigen Rollenverständnis widerspricht – daher der Titel des Lieds. In traditionell-konservativen Jodelkreisen finden Bearbeitungen dieser Art nicht nur Zustimmung …
Das Ensemble Echo vom Eierstock hat dieses Jahr schweizweit und im nahen Ausland Furore gemacht und in den Medien starke, positive Beachtung gefunden.
D’ Meisterlosig (Die Ungezogenheit, der Übermut)
Musik: Alfred Leonz Gassmann, Text: Theodor Bucher
Müeterli säg mer gschwind, ischs Tanze e grossi Sünd? / Lue, de Franz wartet scho, dürfti chli goh?
Meitschi, was tänkisch au, einisch wirsch Chloschterfrau, / ’s andermal wotsch zum Tanz mit ’s Nachbers Franz.
Chloschterfrau hed kei Gfohr. Lueg au mis Chruselhoor! / Ha höt im Spiegel gseh, wie hübsch i bi.
Hättsch du de Schleier gno, wär ich jo au nid do! / Hättsch nid de Vater könnt, chom Franz, mier gönd.
Mütterlein, sag mir geschwind, ist tanzen eine große Sünde? / Schau, Franz wartet schon, darf ich mit ihm (zum Tanzen) gehen?
Mädchen, was denkst du bloß! Einmal willst du Klosterfrau (Nonne) werden, / ein andermal willst du mit Nachbars Franz tanzen gehen.
Keine Angst – ich werde nicht Klosterfrau (Nonne), schau doch mein gelocktes Haar! / Hab heute im Spiegel gesehen, wie hübsch ich bin.
Hättest du den Schleier genommen (wärst du Nonne geworden), wäre ich ja auch nicht da! / Hättest du Vater nicht gekannt; komm, Franz, wir gehen.
Wiiterfrooge (Version Echo vom Eierstock)
Musik: Alfred Leonz Gassmann, Text: Béla Rothenbühler
Mueter, chom säg mer gschwend, brucht die Wält no meh Chind? / Sött me no Mueter sii e üsre Ziit?
Meitschi, die Wält esch groß, lo doch dä Wältschmärz los. / För äis heds no immer glängt, D’ Wält esch es Gschänk.
Ond gliich bliibt die großi Frog. Ob me das schänke wott. / Weli Art Gschänk das isch, weisch vorhär ned.
Meitschi hät ech so to, wär jetz die Frog ned do. / Wotsch, das me wiiterfrogt, esch d’ Antwort: Jo.
Mutter, sag mir geschwind, braucht die Welt noch mehr Kinder? / Sollte man noch Mutter sein in unserer Zeit?
Mädchen, die Welt ist groß, lass doch den Weltschmerz los. / Für eines hat es noch immer gereicht, die Welt ist ein Geschenk.
Und doch bleibt die große Frage: Ob man das schenken will. / Welcher Art das Geschenk ist, weißt du im Voraus nicht.
Mädchen, hätte ich mich so aufgeführt, wäre jetzt diese Frage nicht da. / Willst du, dass man weiterfragt, so ist die Antwort: Ja.
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