Lieder – aus der Zeit gefallen

Junge Frauen wehren sich gegen sexistische Volksliedtexte

7. September 2023

Lesezeit: 7 Minute(n)

Text: Magdalena Held Fotos: Michael ­Engeser, Dagmar Held, Aktion gegen Bierzelt-​Sexismus

Seit früher Kindheit spielt Volksmusik eine zentrale Rolle in meinem Leben. Bereits in jungen Jahren entdeckte ich meine Leidenschaft für das gemeinsame Singen und Musizieren – sei es beim gemütlichen Beisammensein zu Hause, auf Volksmusiklehrgängen oder im Wirtshaus. Mich in dieser Musik auszudrücken ist ein Teil meines Lebens geworden, der nicht wegzudenken ist.

Mir als junger Frau ist es aber wichtig, Themen wie Gleichberechtigung, Toleranz, Akzeptanz und Respekt in jeder Lebenslage zu berücksichtigen und jeglichen Sexismus zu vermeiden. In unserer heutigen Gesellschaft und ebenso in meinem Alltag sind Diskussionen wie die gleichberechtigte Bezahlung im Beruf, gendergerechte Sprache oder die Frauenquote präsenter denn je. Ich möchte meine Position konsequent in allen Situationen repräsentieren und das bedeutet für mich auch, keine frauenfeindlichen Lieder mehr zu singen.

Die Juli-Polka

Letztes Jahr war ich an einer Diskussion beteiligt, bei der es um die Frage ging, ob man das Volksmusikstück Juli-Polka heute noch bedenkenlos singen könne. Es handelt sich hierbei um ein Tanzlied, das Oskar Sattler durch die CD Hodernlump – herausgegeben vom Bayerischen Landesverein für Heimatpflege – bekannt gemacht hat. Seither ist die Juli-Polka auch aufgrund der zwei sehr abwechslungsreichen und originellen Instrumentalteile ein bekanntes und gern gespieltes Stück bei volksmusikalischen Tanzveranstaltungen.1 Die erste Strophe des Trios besingt folgenden Text: »Juli war so schön, so schön wie eine Wachtel, als ich’s wieder sah, da war’s a alte Schachtel«2. Auch im weiteren Verlauf der Strophen ist die Beschreibung von »Juli« nicht wirklich freundlicher. Statt ihn zu küssen, beißt sie ihn versehentlich und ihr strenger Atemgeruch scheint dem Sänger ebenfalls unangenehm zu sein. In weiteren Varianten wird geschildert, dass »Juli« nun einsam und allein sterben muss, da sie leider verlassen wurde.3 Liedinhalte wie diese findet man zur Genüge in Volksliedsammlungen. Je älter die Frau wird, desto lästiger und unattraktiver wird sie für den Mann. Gilt das im umgekehrten Fall auch für ihn? Die Diskriminierung von älteren Frauen ist nur ein Teilbereich von frauenfeindlichen Inhalten im Volkslied. Häufig wird die Frau rein auf ihr Äußerliches reduziert oder als Sexobjekt dargestellt. Zudem ist nicht immer eindeutig, ob der im Lied beschriebene Liebesakt im Einvernehmen beider vollzogen wird.

D’ Juli = Sing- Polka aus einer Notenhandschrift von Anton Fuchs, Regen um 1920

Ich habe mir die Frage gestellt, ob man Texte, wie sie in der Juli-Polka gesungen werden, heute noch singen kann. Passen sie noch in den aktuellen Zeitgeist? Nicht nur in Volksliedern, auch in Popsongs, Schlagerliedern oder Rockballaden wird die Frau häufig rein auf ihr Äußerliches reduziert. Dieses Problem gibt es also nicht nur bei überlieferten Volksliedern. Die Diskussion ist aktueller denn je, wenn man sich beispielsweise die Layla-Debatte vor Augen hält. Hierbei handelt sich um einen Ballermann-Hit, der im Jahr 2022 von DJ Robin & Schürze veröffentlicht wurde. Dieses Lied stand scharf in der Kritik und wurde tatsächlich auf einzelnen Volksfesten wie beispielsweise in Würzburg und Düsseldorf verboten.

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»Ich hab nen Puff, und meine Puffmama heißt Layla
Sie ist schöner, jünger geiler,
La-la-la-la-la-la-la-Layla.« 4

Dies ist der immer wiederkehrende Refrain. Die hier beschriebene Frau wird rein auf ihr Äußerliches reduziert und als Sexsymbol verkauft. Die Diskussion, ob dieses Lied wirklich auf öffentlichen Veranstaltungen gespielt werden sollte, ging durch die Decke. Auch prominente bayerische Politiker meldeten sich zu Wort und sprachen sich mehrheitlich gegen jegliche Spielbeschränkungen dieses Liedes aus.

Tradierte Volkslieder stehen aktuellen Partyhits diesbezüglich in nichts nach. Auch hier wird die Frau häufig auf ihr Äußeres reduziert, in Rollenklischees gedrängt oder als ältere und somit wertlose Frau diskriminiert.

Die Donaulied-Diskussion

Das Donaulied stand in den zuletzt stark in der Diskussion. Es gehört schon seit Jahren zu den Bierzelt-Klassikern und ist im gesamten süddeutschen Raum sehr bekannt. Auf dem Oktoberfest in München gehört dieses Lied schon längst zum festen Bestandteil des Repertoires der dort auftretenden Partybands.5 In der gängigsten Fassung geht es um einen Mann, der am Ufer der Donau ein schlafendes Mädchen entdeckt. »Ich machte mich über die Schlafende her«6, heißt es in der dritten Strophe. Nachdem der Geschlechtsakt vollzogen ist, kommt zum ersten Mal die Frau zu Wort und wirft ihrem Gegenüber vor, dass er sie im Schlafe zur Mutter gemacht habe.

Corinna Schütz, Initiatorin der Aktion gegen Bierzelt- Sexismus

Glücklicherweise fragen sich viele junge Menschen, ob dieses Lied auf Volksfesten vor großem Publikum gespielt werden sollte. Die Passauer Studentin Corinna Schütz beantwortet diese Frage klar mit einem Nein! Sie ist die Initiatorin der Petition gegen das Donaulied, die 2020 gestartet wurde. Ich durfte mit der jungen Frau ein Interview führen und sie berichtete mir, dass sie das Donaulied (in der oben geschilderten Fassung) zum ersten Mal bei einer Kneipentour in der Studentenstadt Passau live gehört hatte. Sie war vollkommen entsetzt, dass niemand sich kritisch gegenüber dem Liedinhalt geäußert hatte. Sie beschloss zu handeln und rief eine Protestgruppe [https://agbs-passau.de/] gegen das Singen dieses Liedes mit zu Beginn nur ca. zwanzig Mitstreitern ins Leben. Ihr Ziel, dreihundert Unterschriften zu sammeln, wurde bei Weitem übertroffen. Mit insgesamt 36.235 Unterstützern wurde schließlich eine Petition beim Passauer Oberbürgermeister Jürgen Dupper eingereicht.7 Sie löste einen deutschlandweiten Diskurs über Sexismus in Liedern aus und bewirkte, dass in den Städten Montabaur, Würzburg und Erlangen das Donaulied nicht mehr gespielt werden darf.

Im Austausch

Ich habe mich auch mit erfahrenen Persönlichkeiten der Bayerischen Volksmusikszene über frauenfeindliche Texte im Volkslied unterhalten – unter anderem mit der Radiojournalistin und Kulturwissenschaftlerin Ulrike Zöller. Auch sie stuft das Singen dieses Liedes als höchst bedenklich ein. In ihren Augen sollten Lieder, die eine Vergewaltigung verharmlosen, nicht auf öffentlichen Veranstaltungen gesungen werden. Sexualisierte Gewalt ist kein Inhalt, der in einem Bierzelt besungen werden darf. Sie befürwortet eine kritische Diskussion zu diesem Lied. Jeder solle sich klar machen, was er oder sie tatsächlich singt, denn »Texte haben einen Inhalt und Inhalte spiegeln eine Haltung wider«, so Zöller.

Magdalena Held im Gespräch mit Ulrike Zöller (re.).

Meine Mutter Dagmar Held, Leiterin der Forschungsstelle für Volksmusik in Schwaben des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege, begeisterte Volksliedsängerin und Frontfrau der schwäbischen Gruppe Liadhaber betont ebenso, dass sie das Donaulied weder im öffentlichen noch im privaten Rahmen singen würde. Es gehöre eindeutig in die Kategorie frauenfeindlicher und sexistischer Volkslieder und passe nicht mehr in die heutige Gesellschaft, denn auch diese ist im Wandel und damit auch das Frauenbild. Volkslieder gehen mit der Zeit und müssen sich somit auch den aktuellen Veränderungen anpassen. Sie berichtet, dass in der volksmusikalischen Feldforschung in den letzten Jahrzehnten zahlreiche ähnliche Lieder aufgezeichnet wurden. Diese werden laut Held auch dokumentiert und archiviert, um den gesellschaftlichen Wandel aus wissenschaftlicher Sicht zu betrachten, doch sind dies keine Lieder, die sie in Veranstaltungen den Teilnehmenden vermitteln würde. Besonders fragwürdig findet sie die Kommerzialisierung solcher Lieder, wie es auf dem Münchner Oktoberfest oder anderen Volksfesten praktiziert wird.

Blättert man in verschiedenen Liederbüchern findet man zahlreiche Lieder, die von Verführung und sexueller Ausbeutung von Frauen handeln. Viele bedienen sich der klassischen Rollenklischees. In manchen wird sogar Gewalt an Frauen bagatellisiert und in einzelnen Liedern, wie auch dem Donaulied wird von einer Vergewaltigung gesungen. Eines der häufigsten Merkmale, wofür Frauen im Volkslied belächelt oder sogar verspottet werden, ist das Alter. Simone Lautenschlager, Mitarbeiterin beim Bayerischen Landesverein für Heimatpflege, betont in unserem Gespräch, dass sie dieses Thema besonders ärgern würde. Warum sollten ältere Frauen nicht mehr attraktiv und ansprechend sein? Außerdem interpretiert sie es als große Beleidigung, wenn man an frühere Zeiten denkt, in denen Frauen oftmals mehrere Kinder bekommen haben und – beispielsweise auf dem Bauernhof – schwer arbeiten mussten. Da sei es, wie Lautenschlager sagt, kein Wunder, dass die eine oder andere Frau körperliche Einbußen über die Jahre als Folge davon hatte. Sie dafür dann noch zu verspotten, ist in ihren Augen besonders herabwürdigend.

In manchen Liederbüchern werden die Liedtexte zusätzlich noch mit fragwürdigen Illustrationen abgedruckt, wie beispielsweise bei dem Lied Wenn mei Weible am Putze ist8. In dem Lied ärgert sich der Mann über seine Frau, weil sie ihm nicht um Punkt zwölf Uhr das Essen auf den Tisch gestellt habe, war sie ja noch dabei das Haus zu putzen. Beigefügt wurde eine Zeichnung, die eine Frau zeigt, die durch Hörner am Kopf, einen kleinen Schwanz am Rücken und spitzen Ohren als Putzteufel dargestellt wird.

Illustration aus Singet Leut’. Neues ­Schwäbisches Liederbuch

Frauen, die aus der Rolle fallen

Trotz der Vielzahl an Liedern mit klischeebehafteter Rollenverteilung von Mann und Frau gibt es durchaus Lieder, in denen die Frau sich gegensätzlich zu ihrem Stereotyp verhält. Man findet in einzelnen Volksliedern Beschreibungen von weiblichen Charakteren, die sich eben nicht der Norm entsprechend verhalten. Sie leisten Widerstand gegen ihre gesellschaftlich auferlegten Grenzen.9

Das aus der Sicht meiner drei Interviewpartnerinnen in diesem Kontext bedeutendste Lied ist die Ballade Es war einmal eine Müllerin. Das Lied erzählt von einer selbstbewussten, starken und emanzipierten Frau, die sich eben nicht von ihrem Ehemann abhängig machen und erpressen lässt. Sie ist eine Frau, die »sich net alles g’fallen lässt von ihrem Mann«, erzählt Dagmar Held. Die Müllerin gibt ihrem Mann zu verstehen, dass sie auch etwas zu sagen hat und ebenfalls die Aufgaben bewältigen kann, die sonst der Mann übernimmt – ganz nach dem Motto: Was er kann, kann ich auch. Sie legt großen Wert auf ihre materielle bzw. sexuelle Selbstständigkeit. Dieses Selbstbewusstsein einer Frau ist in Volksliedern eher selten zu finden. Gleich in der ersten Strophe heißt es:

»[…] sie wollte selber mahlen,
das Geld wollt sie ersparen,
wollt selber Müller sein«

Dem Müller gefällt dieses selbstwusste und freche Auftreten seiner Frau gar nicht und er droht ihr: »So werd ich die Mühl verkaufen, das Geld werd ich versaufen, in lauter Bier und Wein.« Das kümmert die stolze Frau jedoch kaum und sie singt:

»Verkauf die Mühl, versauf dein Geld,
sprach stolz die Müllerin.
So werd ich mir eine bauen,
auf ewig grüner Auen,
wo schöne Männer sind.«

Im September wird ein weiteres Liederlust-Video veröffentlicht. Diesmal bekommt man die Möglichkeit eben dieses besondere Lied von der »schönen Müllerin« zu lernen.

Lukas Linzmeier und Magdalena Held haben die Ballade Es war einmal eine ­Müllerin für die Liederlust- Reihe eingesungen.

Das Umdichten von Liedtexten

»Lieder dürfen auch umgedichtet werden«, sagt Simone Lautenschlager. Wenn Volkslieder inhaltlich nicht mehr in das Gesellschaftsbild der heutigen Zeit passen, sollte man sie mit einem neuen Text versehen, bevor das Lied gar nicht mehr gesungen wird und dadurch stirbt. Auch für den feministischen Jodelchor Echo vom Eierstock aus Nidwalden (Schweiz) ist das Umdichten eine gute Option, mit veralteten Volkslied- oder Jodeltexten umzugehen.

Vielleicht kennen Sie auch das ein oder andere Lied, dem eine zeitgemäße Überarbeitung des Textes guttun würde. Werden auch Sie kreativ und geben Sie dem Lied eine neue Chance!

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Anmerkungen:

1) Bayerischer Rundfunk, Hodernlump und Juli-Sau: Überlieferte Blasmusik,2011: https://www.br.de/br-fernsehen/sendungen/unter-unserem-himmel/archiv/feste-braeuche-musik/hodernlump106.html [aufgerufen am 16. Oktober 2022].

2) Adolf Eichenseer: Gigl, Geigl, No a Seidl. Bairische Wirtshausliader und Trinksprüch’, München 2012), S. 94 f.

3) dito

4) Layla: Warum der Ballermann-Hit umstritten ist, 2022: https://praxistipps.focus.de/layla-warum-der-ballermann-hit-umstritten-ist_148261 [aufgerufen am 20. März 2023].

5) Stephanie Großmann: O’zapft is. Das Münchner Oktoberfest aus Literatur-, ­Kultur- und Mediensemiotischer Perspektive, Marburg 2022, S. 11.

6) Adolf Eichenseer, Heit san ma wieder kreizfidel. Bairische Wirtshausliader und Trinksprüch’, München 2012, S. 180.

7) Aktion gegen Bierzelt-Sexismus, 2020: https://agbs-passau.de [aufgerufen am 18. Oktober 2022].

8) Max Probst (Arbeitskreis für schwäbische Volksmusik): Singet Leut’. Neues Schwäbisches Liederbuch, Kempten 1977, S. 44 f.

9) Freia Hoffmann u. a., Die Frau, die wollt ins Wirtshaus gehen. Frauen-Volksliederbuch, Texte und Noten mit Begleit-Akkorden, Frankfurt am Main 1981, S. 25.

Weitere Quelle: Magdalena Held, Das Frauenbild im bayerischen Volkslied (­Zulassungsarbeit), 2023.

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