Remmidemmi in Hinterwieselharing

Drei Jahrzehnte erstklassige Familienunterhaltung mit kultigem Kasperltheater

8. Oktober 2024

Lesezeit: 7 Minute(n)

Text: Roland Pongratz  Fotos: Schulke, Scharrer, Borsdorf, Namberger
Seit genau 30 Jahren wohnen Kasperl und Seppl in Hinterwieselharing. Schön ist es da im Haringer Moos, am Speibsee und bei der Wepskirche. Das Fuchtelgebirge mit Prackl, Oschi und Kornspitz lockt als Ausflugsziel. Aber … es hausen dort auch gefährliche Gestalten wie der Zauberer Gottlieb Wurst oder die Hexe Annegeer Strudlhofer. Alle zusammen sind sie aus vielen bayerischen Kinder- und Erwachsenenohren und -hirnen nicht mehr wegzudenken. Erfolgreiche Hörbücher und ausverkaufte Vorstellungen am laufenden Band zeugen davon. Seit drei Jahrzehnten gibt es jetzt Doctor Döblingers geschmackvolles Kasperltheater. Roland Pongratz hat sich für die »zwiefach« mit Richard Oehmann und Josef Parzefall, den beiden Intendanten, Stückeschreibern, Figurenspielern, Unterhaltungsgenies, Kreativ- und Querköpfen …, unterhalten.

Roland Pongratz: Lieber Richard, lieber Josef, dreißig Jahre haben Kasperl und Seppl in Eurem geschmackvollen Kasperltheater jetzt auf dem Buckel. Habt Ihr dieses fast biblische Alter für die beiden Herren bei der Gründung 1994 erwartet? Oder was hat Euch seinerzeit überhaupt angetrieben?

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Josef Parzefall: Dreißig Jahre sind noch nicht übertrieben biblisch, in der Bibel werden die Leut ein paar hundert Jahre alt; aber drei Jahrzehnte sind für ein Kasperltheater gar nicht so schlecht. Am Anfang haben wir uns noch kaum Gedanken darüber gemacht, wie lange das laufen soll, aber es war schon klar, dass es ein paar Jahre gehen sollte, damit sich die ganzen Anschaffungen lohnen, der Bau des Theaterkastens, die Anfertigung der Puppen, der Kauf des Transportfahrzeugs; das war anfangs ein schlammgrüner Mercedes, der nach einem Jahr nicht mehr fahren wollte. Da hätten wir aufhören können, aber da ist das Theater schon gut gelaufen, und das Spielen und Schreiben hat immer mehr Freude gemacht, so dass wir dann weitergemacht haben. Irgendwann waren dann dreißig Jahren vorbei.

Richard Oehmann: Das war erst kein starker Antrieb, sondern nur ein Ausprobieren. Wir haben uns ja zufällig bei einer anderen Wanderbühne kennengelernt und dann angefangen, Eigenes zu schreiben. Ich war einfach schon als Kind und Jugendlicher stark an Komödien interessiert, an Satire, Pointen, Timing, schwarzer Humor, Kabarett, Burlesken, also alles, und zu meiner eigenen Überraschung hab ich das mit dem Kollegen Josef sehr schön üben und verüben können. Wir haben dann einfach eine eigene Bühne gegründet, sind rumgefahren und haben in ganz Bayern gespielt. Kinderunterhaltung ist ja ein erfreuliches Gewerbe.

Ihr steckt unglaublich viel Energie in Eure Produktionen. Fast alles wird selbstgemacht. Was fasziniert Euch so am Kasperltheater?

Josef Parzefall: Das Kasperltheater und sein Personal sind den meisten von klein auf vertraut, da muss man nicht viel erklären. Trotzdem kann man alles ändern und neu erfinden, man hat innerhalb eines festgelegten Rahmens viel Freiheit. Gerade die Spannung zwischen vertrauten Traditionen und neuen eigenen Ideen kann recht lustig sein. Wenn zum Beispiel der böse Zauberer nicht nur den Willen zur Weltherrschaft, sondern auch ein Problem mit dem verstopften Klo hat, macht mir das schon Vergnügen.

Richard Oehmann: Das Gute ist, dass man sehr schnell mit einem Kasperlstück zu einem Ergebnis kommen kann. Der Aufwand ist also überschaubar, vielleicht beim Hörspiel etwas größer als normalerweise bei einer Produktion für Kinder. Aber da macht das Tüfteln ja auch Spaß.

Josef Parzefall aus Straubing zog nach München und schreibt, spielt und übersetzt seitdem fürs Theater, am meisten und liebsten für Doctor Döblingers geschmackvolles Kasperltheater. Richard Oehmann aus Weilheim in Oberbayern ist als Autor, Musiker, Puppenspieler und Filmkritiker tätig. Neben dem geschmackvollen Kasperltheater gestaltet er seit 2018 beim bayerischen Politikerderblecken auf dem Nockherberg das traditionelle Singspiel mit.

Für Kinderunterhaltung muss man geboren sein. Kinder gehören wohl zum kritischsten Publikum überhaupt, aber auch zum begeisterungsfähigsten. Wie schafft Ihr es seit 30 Jahren immer wieder neue Volltreffer zu laden? Oder besser: Was ist Euer Geheimnis?

Richard Oehmann: Ob wir jetzt wirklich Volltreffer landen, können wir gar nicht selber beurteilen. Unser Geheimnis ist womöglich so geheim, dass wir es selber nicht kennen.

Josef Parzefall: Die Figuren, die Situationen, die Dialoge und der ganze Rest müssen zuerst uns selber gefallen, erst dann veröffentlichen wir das Ganze als Hörspiel. Zum Glück sind immer noch genug Hörer der gleichen Meinung wie wir. Bei Aufführungen neuer Stücke merkt man manchmal schon, dass bestimmte Szenen besser ankommen könnten. Dann kann man so lange herumprobieren, bis es passt. Oder es entsteht durch Zufall und Improvisation ein neuer Witz, der alles besser macht.

»Als Kasperl und Seppl singt man doch gern mal ein Volkslied.«

Wie entstehen Eure Geschichten, die Namen und Charaktere der Figuren? Krokodil Chantalle, Bürgermeister Klingshirn, Wachtmeister Wirsing und König Torsten liegen ja nicht unbedingt auf der Hand.

Richard Oehmann: Das entsteht aus Zufall, Fundstücken und Geblödel, und gerne auch aus der Freude an Kontrasten, Umdeutungen und Verwirrungen, also zum Beispiel banale Vornamen wie Jochen oder Kurt für adlige Herrschaften. Man könnte die Grundlage auch als Humor bezeichnen. Aber das Ausdenken von Namen dauert ja nicht lang, sondern die einzelnen Geschichten, da muss man eine Weile überlegen, aber es hilft, wenn man dann schon ein inspirierendes Personal hat, zum Beispiel einen Prinzen, der Jochen heißt und nicht Wolfram.

Josef Parzefall: Den Namen Klingshirn hab ich auf einem Grabstein aus dem 16. Jahrhundert entdeckt, außerdem hat ein Mitreisender bei einer Busfahrt nach Frankreich auch so geheißen, der hat sich dauernd über seinen Sitz beschwert und ihn als damischen Hockl bezeichnet. So hat sich der Name in meinem Gedächtnis festgebraten und war bei Bedarf zur Verfügung. Solche Erinnerungen spielen eine große Rolle, wenn wir uns eine neue Geschichte ausdenken. Die schmeißen wir dann erst mal zusammen und basteln dann eine Handlung daraus. Beim neuen Hörspiel ist mir so der Milchschwammerl am Regensburger Bahnhof in den Sinn geraten, für den ich mich als Kind sehr begeistern konnte.

Unterhaltung auf bayerisch oder bayerische Unterhaltung? Ihr habt Euch dem Dialekt verschrieben – und seid dafür auch schon ausgezeichnet worden. Welche Rolle spielt die (bayerische) Musik in Euren Produktionen?

Richard Oehmann: Mei, bei Kasperlstücken mit viel Dialekt war bairische Musik recht naheliegend. Wir sind jetzt beide keine Musikanten, aber als Kasperl und Seppl singt man doch gern mal ein Volkslied oder textet eins um. Wir haben aber auch alle möglichen anderen Stile auf unseren Hörspielen, Blues, Swing, Quadro Nuevo, Stefan Dettl, oder seltsame Latino-Stücke und Punk-Landler von G. Rag & die Landlergschwister. Hilfreich ist auch, dass wir viele Menschen kennen, die Musik machen, oft auch bairische. Das passt dann sehr schön. Sehr puristisch sind wir nicht unbedingt. Aber ein Kasperl-Karussell-Techno-Album ist trotzdem nicht geplant.

Josef Parzefall: Bei Aufführungen spielen wir bei Szenenwechseln Lieder vom Band, damit wir in Ruhe umbauen können. Die sollen aber kein Pausengedudel sein, sondern die Handlung erweitern oder kommentieren. Wenn wir Glück haben, hören die Kinder auch zu. Bei den Hörspielen haben wir da mehr Freiheit, die wir auch mit viel Freude nützen. Es ist auch schön, mit Musikern zusammen zu arbeiten, die wir kennen und mögen. Da viele davon mit baierischer Musik zu tun haben, spielt die bei uns auch eine Rolle. Aber auch da macht stilistische Spannung alles lustiger, wenn zum Beispiel der hochsprachliche König seine Verachtung für das Volk in einem Zwiefachen ausdrückt oder der Bürgermeister in einem Reggae den geregelten Verwaltungsgang preist.

Im Tonstudio mit Schauspieler Sebastian Bezzel.

Letzte Frage: Wenn Ihr Lieder für Doctor Döblingers geschmackvolles Kasperltheater schreibt, habt Ihr da mehr die Figur im Fokus oder die Kinder, die die Lieder dann vielleicht nachsingen (sollen)?

Josef Parzefall: Da sind wir beide meistens ganz unterschiedlicher Weltanschauung, und diese Differenz erzeugt wieder die beliebte Spannung, die alles interessanter macht. Ich kann einen Liedtext nur aus den Personen und ihrer jeweiligen Lage heraus entwickeln, da fällt mir meistens gleich was ein, was dazu passt. Oder was im Moment zwar nicht weiterhilft, die Figur aber seltsamerweise gerade beschäftigt, so wie es mir selber auch oft geht. Der Gesang, für den keine Zeit ist in Kasperl und das Kugeleis ist dafür ein schönes Beispiel. Dass die Kinder ein Lied gern nachsingen, entscheidet oft auch die Melodie, und für die bin ich nicht zuständig.

Richard Oehmann: Das ist unterschiedlich, manchmal möchte man ein gspinnertes Lied für eine Figur schreiben, das für kleinere Kinder auch schwer zu verstehen ist. Dann möchte man auch wieder einen Ohrwurm im Kinderzimmer einpflanzen. Lustig ist, dass dann manche Kinder auch die ganz vertrackten Kunstlieder, zum Beispiel von der Hexe, auswendig können. Manche Lieder texten wir zu zweit, manche getrennt, oft je nach der Figur, die das Lied dann bekommt. Das singen wir dann oft auch jeweils selber. Zum Beispiel hat auf Kasperl und der Purzelprinz erstmals die Gretel ein eigenes Stück, da muss ich dann ganz schön krächzen. Dann wieder singt der Josef mit sich selber ein Duett. Im Fokus liegt die eigene Gaudi. Ich möchte aber trotzdem nicht, dass eines Tages auf meinem Grabstein »Gaudi im Fokus« steht.

Meine lieben Herren, vielen Dank für Euer großartiges Bemühen um die Unterhaltung in bayerischen Kinderzimmern. Herzliche Gratulation zu Eurem Schaffen und weiterhin viel Erfolg!

Aufmacherbild:
Hinter den Kulissen

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