Text: Dagmar Held Fotos: Erwin Ganserer, Archiv der FFW Stoffenried
Am letzten Juliwochenende wird in Stoffenried, einem kleinen Dorf im Landkreis Günzburg jedes Jahr ein ganz besonderes Fest gefeiert, bei dem das Element Wasser eine ganz zentrale Rolle spielt – das Weiherfest. Mitten in Stoffenried befindet sich nämlich ein großer Dorfweiher, um den sehr malerisch alte Bauernhäuser gruppiert sind. Im Winter, wenn der Weiher zugefroren ist und sich Schlittschuhläufer drauf tummeln, reibt man sich manchmal ganz erstaunt die Augen und denkt, man ist in ein Gemälde von Pieter Bruegel gefallen. – Der niederländische Maler der Renaissance ist bekannt für seine Darstellungen des bäuerlichen Lebens.
Nicht weniger romantisch ist der Anblick im Sommer, wenn sich die schönen Bauernhäuser im Wasser spiegeln und man im Schatten der großen Kastanien, die das Ufer säumen, auf einer Bank diese Idylle genießen kann. Oder man unternimmt einfach eine kleine Fahrt mit dem bereitliegenden Boot. Das ist jederzeit möglich, ganz kostenlos. Nur rudern muss man schon selbst.
Beim Weiherfest in Stoffenried
Der Stoffenrieder Weiher – ein Glücksfall
Der Heimatforscher Andreas Paul hat der Geschichte Stoffenrieds nachgespürt und 2003 ein umfangreiches Buch darüber veröffentlicht. Darin findet sich auch ein Kapitel über den Stoffenrieder Weiher:
»Stoffenried gehörte bis zur Säkularisation zum Kloster Elchingen. Zum Zweck der Fischzucht wurden um das Jahr 1460 vom Kloster mehrere Weiher in Stoffenried angelegt, um die Elchinger Klosterinsassen mit genügend Fischen versorgen zu können. Später konnte das Kloster in der näheren Umgebung genügend Fischrechte erwerben, so dass man Ende des 17. Jahrhunderts zwei der drei Weiher austrocknen ließ. Sicherlich spielte hier auch die für die damalige Zeit doch erhebliche Distanz von gut 30 Kilometern eine Rolle. Der verbliebene Weiher wurde vom Kloster an einen Stoffenrieder verpachtet. Als nach der Säkularisation 1803 der bayerische Staat auch diesen Weiher trockenlegen und verkaufen wollte, war es der damalige Stoffenrieder Forstmeister Gottlieb von Greyerz, welcher sich entschieden für den Fortbestand des jetzigen Dorfweihers einsetzte. Was wäre Stoffenried ohne seinen Weiher, diesem Mann müsste ein Denkmal gesetzt werden.«
Wie wahr. Bis heute ist der Weiher Zentrum des Dorfes und gibt ihm seinen unverwechselbaren Charakter. Und ohne Weiher gäbe es logischerweise auch kein Weiherfest.
Wie alles begann
Dazu findet sich in der Dorfchronik von Andreas Paul eine schöne Geschichte:
»Das erste große Weiherfest wurde am 1. September 1926 von der Dorfjugend veranstaltet. Man wollte das Fest des Hl. Ägidius (Kirchenpatron des Dorfes) mit einem Weiherfest verschönern. Aus allen Scheunen wurden am Vorabend die Jauchefässer hervorgeholt, zusammengekoppelt und mit Stangen und Brettern überdeckt. Mit Girlanden und Lampions geschmückt, ergab dies ein prächtiges Floß auf dem mit Musikkapelle, Gemeindeverwaltung, und Schuljugend insgesamt 100 Personen Platz fanden. Anscheinend war eines der Jauchefässer undicht, doch ehe das Floß ganz absackte, wurde es von den drei Kähnen auf eine seichte Stelle gezogen, wo man dann bis Mitternacht getanzt und gefeiert hat.«
Es dauerte 25 Jahre, bis das nächste große Fest auf dem Weiher stattfand. Anlass waren umfangreiche Wartungsarbeiten. Der Weiher wurde 1951 in Gemeinschaftsarbeit entschlammt und die Ufer neu befestigt. Das musste natürlich gefeiert werden. Treibende Kraft für das Fest war die 1950 gegründete Landjugendgruppe. Andere Landjugendgruppen wurden dazu eingeladen, auf dem Floß wurden Volkstänze aufgeführt und viele Singgruppen gaben ihr Können zum Besten. Es kamen über 4.000 Besucher.
Ein Gefallen für den Bayerischen Rundfunk
Wieder dauerte es 26 Jahre bis das nächste große Fest auf dem Weiher stattfand. 1977 drehte der Bayerische Rundfunk eine Reportage über den Stoffenrieder Weiher. Das Aufnahmeteam wandte sich an den Feuerwehrkommandanten Erwin Ganser mit der Bitte, ein Weiherfest aufnehmen zu dürfen. Das war der endgültige Startschuss. Seitdem findet das Weiherfest jedes Jahr am letzten Juliwochenende statt, jetzt unter der Trägerschaft der Freiwilligen Feuerwehr. Ein Fest mit großer Anziehungskraft! Es kommen tausende Besucher aus der näheren und weiteren Umgebung, denn die Atmosphäre am idyllischen Dorfweiher ist wirklich etwas ganz Besonderes.
Ein ganzes Dorf packt an
Alle örtlichen Vereine helfen tatkräftig mit, um dieses Fest auf die Beine zu stellen und den Weiher so richtig in Szene zu setzen. Zwei Wochen lang wird alles vorbereitet: das Floß muss gebaut werden, eine feste Bühne wird in den See gesetzt, bunte Lichterketten müssen aufgehängt werden und um den ganzen Weiher werden Tische und Bänke aufgestellt. 150 Torten müssen gebacken, wannenweise Kartoffeln gekocht und geschält werden für den berühmten schwäbischen Kartoffelsalat. Dass er selbstgemacht und nicht beim Großhandel gekauft wird, ist Ehrensache. Über 2.000 Küchle werden frisch gebacken und natürlich gibt es auch noch eine Cocktailbar für die Jugend. Doch das Weiherfest ist nicht nur wegen seines guten Essens bei den Besuchern sehr beliebt, sondern es gibt natürlich auch noch viele andere Attraktionen für Groß und Klein.
Dass das Ausrichten des Festes ein großer Kraftakt für das Dorf ist, kann man sich vorstellen. Alle Helferinnen und Helfer sind voll eingespannt. Vor allem das Küchenteam bekommt kaum etwas vom Fest mit. Poldi Müller, die jahrelang mit ihrem Mann für das Einsammeln des Geschirrs auf dem Festgelände zuständig war, erinnert sich: »Dia hand gseit, ihr send bei de Leit!« Darauf habe sie bloß trocken geantwortet: »I han bloß dreckade Teller gseah!« Es ist wirklich für alle Beteiligten eine große Anstrengung. Deshalb gibt es auch immer ein großes Nachfest, bei dem dann alle fleißigen Helfer selbst feiern können.
Blasmusik trifft Volksmusik
An den zwei Abenden des Festes spielen Blasmusiken zur Unterhaltung auf. Die Kapellen spielen auf der festen Bühne, die in den See hineingebaut ist, doch ab und zu gibt es auch eine kleine Floßfahrt mit der Musik rund um den Weiher. Und zum Weiherfest gehört natürlich ein Gottesdienst am Sonntagmorgen auf dem Floß.
Seit ca. 20 Jahren bereichern auch Volksmusikgruppen das musikalische Programm. Am Sonntagnachmittag treffen sich schwäbische Volksmusikanten und musizieren und singen an verschiedenen Plätzen rund um den Weiher. Organisiert wird dieser Programmpunkt von Bärbel Mettenleiter-Strobel, Kreisheimatpflegerin und Leiterin der Kreisheimatstube Stoffenried. Tatkräftig unterstützt vom Landkreis Günzburg, dem Träger dieses kleinen aber sehr feinen Freilichtmuseums, das mitten im Dorf direkt am Weiher liegt. Im wunderschönen Garten der Kreisheimatstube können die Kinder Spiele von anno dazumal entdecken und in die Lebenswelt ihrer Urgroßeltern eintauchen. Oder sie können wie Lohengrin im Schwan über den Weiher gleiten.
Der Schwan – das Wahrzeichen des Weiherfestes
Wenn der riesige, weiße Schwan am Ufer des Weihers aufgebaut wird, dann ist dies das unübersehbare Zeichen, dass es bald soweit ist. Jeder freut sich schon auf eine Fahrt im Schwanenboot. Während des ganzen Weiherfestes dreht dieser Schwan auf dem Weiher ununterbrochen seine Runden, vollgeladen mit Kindern und Erwachsenen, die diese Fahrt sichtlich genießen. Am Anlegesteg herrscht großer Andrang. Jeder möchte auch einmal eine Runde drehen, oder zwei oder drei. Die Fahrt ist selbstverständlich kostenlos. Vom Ufer aus betrachtet, sieht es aus, als ob man zwischen den Rückenfedern des Schwanes sitzt – ein fast unwirkliches Bild, das man eher aus Märchenbüchern kennt und nicht aus der Realität. Dieser kunstvoll gefertigte, riesige Schwan ist die Attraktion des Weiherfestes und sicher auch ein ganz einmaliges Wasserfahrzeug. Doch wer kam überhaupt auf die Idee, solch ein Gefährt zu bauen und warum gerade ein Schwan?
Ein Schwan als Boot – was für eine verrückte Idee!
Am Anfang standen wohl eine Idee und eine Wette. Das Wappentier der Stoffenrieder ist der Schwan und er findet sich auch auf dem Abzeichen der Uniform der Freiwilligen Feuerwehr.
Da war es gar nicht so weit bis zur Idee, ein Boot in Schwanenform zu bauen. Doch wie sollte das gehen? In dieser Größe und Dimension war das nicht so einfach zu bewerkstelligen. Den Stoffenrieder Hermann Müller reizte diese Idee. Warum sollte es nicht gelingen? Er hatte schon ganz anderes gebaut. Er wettete einmal, dass er es schafft, ein Gefährt zu bauen, mit dem er in den Weiher hineinfahren, dort eine Runde drehen und auf der anderen Seite des Weihers wieder herausfahren könnte. Und das ist ihm tatsächlich gelungen. Das muss 1981 gewesen sein. Zumindest gibt es aus diesem Jahr ein Bild, auf dem er mit seinem Wasserfahrrad auf dem Stoffenrieder Weiher eine Runde dreht. Hermann Müller (1956–2000) war von Beruf Landmaschinenmechaniker mit viel handwerklichem Geschick. Aber auch ein kreativer Kopf und ein Künstler, wie ihn seine Schwester liebevoll beschreibt. Er malte, spielte Theater und tüftelte gerne. Wenn er eine Idee im Kopf hatte, und war sie noch so kompliziert, probierte er solange, bis er eine Lösung gefunden hatte. In den 1980er-Jahren schaffte er es tatsächlich, einen Schwan zu bauen, auf dem man über den Weiher fahren kann.
Seitdem ist der Schwan die Attraktion des Weiherfestes. So manch einer sagt sogar, es sei das Schwanenfest. Die ersten Jahre chauffierte Hermann Müller selbst die Besucher mit seinem Schwan über den Weiher und ließ auch ab und zu, mit großem Vertrauen, den ein oder anderen mutigen Jungen ans Steuer.
Seitdem wird dieser Schwan in jedem Jahr mit großem Aufwand aufgebaut, nach dem Fest wieder eingelagert, liebevoll gepflegt und auf den neuesten Stand gebracht. Und so kann Hermanns Schwan hoffentlich noch viele Jahre beim Weiherfest zur großen Freude aller Besucher übers Wasser gleiten.
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