Der Umtriebige

Ein Gespräch mit Herbert Pixner

7. Juni 2023

Lesezeit: 8 Minute(n)

Ein Mittwochnachmittag im Mai, die Sonne scheint zum Zoom-Interview, ein bisschen ruckelt die Technik – aber Herbert Pixner ist bester Laune. Gerade hat er die Ensembleaufnahmen zu seinem neuen Album abgeschlossen: „SCHÏAN!“ wird schon Ende Juli erscheinen, zeitgleich zum Start der Tournee. Pixner freut sich auf die kommenden Konzerte. Die vergangenen zwei Jahre waren für ihn, wie auch für viele andere Musiker:innen und Kulturschaffende, eine harte Zeit. Wir sprechen aber nicht nur darüber, sondern auch – und vor allem! – über die Projekte, die in und nach dieser Zeit entstanden sind, über das musikalische „Handwerk“: Wie arbeitet Herbert Pixner? Wie entstehen seine Kompositionen? Und wie organisiert sich ein Künstler, der gerne alle Fäden selbst in der Hand hält?
Text und Interview: Eva Geiger-Haslbeck
Fotos: Carmen Brucic, Johannes Brunnbauer, Sepp Pixner, Stefan Walser

 

Wer Herbert Pixner auf seinen Social-Media-Kanälen folgt, bekommt beinahe täglich Anlass zur Freude: Der Musiker spart nicht mit Hinweisen auf seine zahlreichen Projekte und Ideen. Und es gibt ja auch wirklich viel zu erzählen! Gerade ist das Album Alpen & Glühen erschienen, entstanden aus einer fulminanten Zusammenarbeit mit dem Trompeter Thomas Gansch, dem Perkussionisten Manu Delago, dem Bassisten Lukas Kranzelbinder und dem radio.string.quartet. Im Sommer geht es endlich wieder auf Tournee, im Gepäck das neue Album SCHÏAN! – südtirolerisch für „schön“. Dafür wurde gerade geprobt und dann auch, und das innerhalb weniger Tage, im Studio eingespielt. Pixner strahlt. „Alles ohne größere Soloparts ist tatsächlich schon fertig – jetzt kommt noch die Feinarbeit. Alex Trebo (Pianist aus Südtirol, Anm. d. Red.) hat mit dem Flügel noch ein paar Stücke eingespielt, Manuel Randi diverse E-Gitarren und generell alles, was sechs Saiten hat, ich muss noch einige Parts aufnehmen, aber wir sind auf der Zielgeraden.“ Man merkt ihm an, dass das kreative Arbeiten, die Aussicht, wieder auf die Bühne zu gehen, ihm Energie verleiht.

Im vergangenen Jahr gab es eine Sommertournee, mit viel Regen und vielen verschiedenen Auflagen. „An beinahe jedem Veranstaltungsort galten andere Coronabestimmungen, das war teilweise kaum zu überblicken“, erzählt Pixner lachend, ganz ohne Gram. „Und das Wetter war wirklich furchtbar. Nur zwei Konzerte waren richtig schöne Open Airs.“ Am Wetter kann man schließlich nichts ändern, genauso wenig wie an anderen äußeren Gegebenheiten, und so machten er und seine Mitmusiker:innen einfach das Beste aus jeder Situation. 

 

Feine Musik

 

„Wir haben im vergangenen Sommer eine Art ‚best of‘ gespielt, unser Jubiläumsprogramm, das eigentlich schon für 2020 angedacht war.“ Katrin Unterlercher, die frühere Harfenistin, sollte dafür wieder mit ins Boot kommen, und um den familiären und beruflichen Verpflichtungen aller Bandmitglieder gerecht zu werden, wurde schon seit 2018 geplant. Alles stand fest – und dann wurde klar: Corona lässt die Tournee nicht zu. Ein frustrierender Moment, dem Pixner fatalistisch begegnete: „Uns war schnell klar: Die Tour 2020 können wir vergessen. Alle hatten damals gehofft, dass die Sache bis Weihnachten ausgestanden ist, aber wir haben gleich um ein Jahr verschoben und das Programm nochmal neu aufgesetzt.“ Ruhige, entspannte Stücke, einige „Klassiker“, ein relativ großer Kontrast zur letzten Tour mit Lost Elysion, bei der Pixner alpenländische Klänge bewusst dekonstruiert und in ein völlig anderes, modernes Gewand mit vielen Elementen aus der elektronischen Musik gepackt hat. „Wir hatten selbst nicht unbedingt Lust, die ‚Remmi-demmi-Sachen‘ zu spielen, dazu war die Lage zu verzwickt. Die Konzerte im vergangenen Sommer waren also schöne, ruhige Abende mit drei Stunden feiner Musik. Die Leute sind gekommen, teilweise trotz unfassbarer Auflagen, und haben den Abend genossen.“ Ein guter Output für eine kräftezehrende Zeit: „Die andauernde Unsicherheit war anstrengend, auch im Team. Man wusste ja nie genau, wie man planen kann: Plötzlich war jemand als Kontaktperson in Quarantäne oder selbst erkrankt. Du hast immer einen Plan B in der Hinterhand gebraucht.“

 

Not macht erfinderisch

 

So war es auch bei den für April 2021 geplanten Konzerten mit dem Tonkünstler-Orchester Niederösterreich, die coronabedingt auf 2023 verschoben werden mussten. „Wir haben uns dann entschlossen, ein Album und einen Konzertfilm zu produzieren – haben also unser Programm gespielt, vorab ein Filmteam aufgestellt und alles ohne Publikum mitgeschnitten.“ Entstanden sind ein Studio-Album mit besonderer Atmosphäre und eine Konzert-DVD, veröffentlicht unter dem Namen Symphonic Alps / plugged in. 2023 wird die Tournee mit dem Tonkünstler-Orchester nachgeholt. Man sieht: Not macht erfinderisch – und damit letztlich auch kreativ. Das hört man auf dem neuen Album des Herbert Pixner Projekts. „Letztlich ist es ein Querschnitt aus den letzten Jahren, auch aus dem, was einen inspiriert hat. Und das ist ja meist das, was man erlebt – die letzten Jahre waren das meist die eigenen vier Wände bei mir. 2020 war ich durch den totalen Stillstand des kulturellen Lebens schon fast depressiv und kurz davor alles hinzuwerfen. Wieder auf die Alm zu gehen, mir eine andere Arbeit zu suchen. Ich habe auch gemerkt: Ich habe keinen Input, keine Lust zu schreiben.“ Das große Glück in dieser Zeit? Erst 2019 war Pixner gemeinsam mit seiner Familie aufs Land gezogen, ins beschauliche Gnadenwald. Mit den Kindern raus aus der Stadt, raus aus Innsbruck. „Ich möchte nicht in der Großstadt auf Spielplätzen und in Parks sitzen, sondern die Möglichkeit haben, direkt in der Natur zu sein.“ Beim Hausbau mit eingeplant war auch ein eigenes Tonstudio. „Das hat mich wirklich über diese Zeit gerettet. Ich habe mich das komplette Jahr 2020 im Studio verschanzt und Projekte wie Symphonic Alps gemacht. 2021 war ähnlich, unterbrochen von ein paar Konzerten im Sommer. Und nach der Tour habe ich dann gemerkt: So langsam kommt wieder ein bisschen Inspiration, es glättet sich etwas. Man gewöhnt sich eben auch an die Umstände.“

Kreative Prozesse

Pixner stürzt sich in die Studioarbeit, ins Komponieren, kommt wieder in einen kreativen Flow. „Zwischen zwei Projekten – Ernst Molden und Alpen & Glühen wurden bei uns im Studio aufgenommen – hatte ich ein Fenster von einem Monat, da habe ich mich einfach hingesetzt und geschrieben. So sind die Stücke für SCHÏAN! entstanden. Es ist ein etwas ruhiges Album geworden, im Gegensatz zu Lost Elysion etwas gefälliger. Wir haben großteils auf Distortion und verzerrte Gitarren verzichtet und auf sehr cleane, warme Sounds gesetzt. Alex Trebo ist als Gastmusiker am Klavier dabei, damit bekommt alles noch eine neue Ebene, eine ganz eigene Farbe. Das Klavier mischt sich gut mit Harfe, Klavier und E-Gitarre.“

Die Auszeit, in der er sich nur mit Komposition beschäftigen könne, sei wichtig für seinen kreativen Prozess, sagt Pixner. „Früher war ich den Sommer über auf der Alm und habe abends nach getaner Arbeit das Instrument in die Hand genommen. So sind über den Sommer neue Stücke entstanden. Seit 2010 muss ich mir wirklich bewusste Auszeiten nehmen. Einmal durfte ich zum Beispiel das Cinetheatro in Neukirchen (am Großvenediger, Anm. d. Red.) für zwei Wochen komplett besetzen. Ich habe mir die Bühne eingerichtet mit drei Stehlampen und einer Schlafcouch und dann zwei Wochen lang komponiert. Ich brauche ein Umfeld, in dem ich merke, dass ich niemanden störe und selbst auch von der Außenwelt abgeschnitten bin. Dieses Mal war das erste Mal, dass ich mich in mein eigenes Studio zurückgezogen habe zum Schreiben – da kann ich die Tür einfach zumachen.“ Eine Unabhängigkeit, die noch weitere Vorteile hat: „Ein eigenes Studio ist einfach super, weil man viele Sachen gleich einspielen kann und so sieht: Was könnte passen? Dann steht das Grundgerüst schon, man trifft sich zur Probe, checkt die Arrangements aus – hier ein Solo, hier Bläser, da eine Kombi mit Harfe.“

Pixners Studio ist professionell ausgerüstet, das analoge Mischpult hat er in Belgien eigens anfertigen lassen. Das technische Know-how hat er sich schnell draufgeschafft, um das Mischpult selbst bedienen zu können. „Mittlerweile bin ich recht gut, was Cutten und Mischen betrifft. Ich mach das auch sehr gerne. Das war 2020 der beste Workshop: am Anfang einmal alles falsch zu machen, was man falsch machen kann, und dann alles zu lernen, was man lernen kann – obwohl man im Studio wohl nie ausgelernt hat.“ Pixner lacht.

 

Überhaupt, das Lernen, das Umsetzen, das kreative Arbeiten und auch das Organisieren: Pixner hält gerne selbst die Fäden in der Hand. „Über die Jahre hat sich hier auch ein gutes Team entwickelt. Erst habe ich alles komplett alleine gemacht, so auch das Booking. Seit 2012 hat meine Frau Sybille die komplette Kommunikation mit den Veranstaltern übernommen, wir besprechen gemeinsam die Anfragen, sie kümmert sich um die Abwicklung. Zwei Mann haben wir im Label, eine Mitarbeiterin für die Buchhaltung. Das funktioniert sehr gut, da brauche ich nichts abzugeben. Einmal habe ich es mit einer externen Agentur versucht; innerhalb der ersten sechs Wochen habe ich gemerkt, dass ich damit eigentlich noch mehr Arbeit habe, weil die Agentur mich fünfmal am Tag angerufen hat. Da mache ich das lieber gleich selber.“

 

Bei der Vielzahl von Projekten, dem eigenen Studio und den zahlreichen musikalischen Kollaborationen ist gute Organisation ein Muss. „Ein Projekt wie die Italo Connection (ein Kollektiv mit sieben hochkarätigen Südtiroler Musikern rund um Pixner, Anm. d. Red.) besteht aus so vielbeschäftigten Leuten, da sind Konzerte nur in einem engen Zeitrahmen möglich. Ich suche also einen zweiwöchigen Block aus, den bespielt man dann mit 14 Konzerten in 14 Tagen. Nur so ist es möglich, all diese Leute, die selbst bei zig weiteren Bands dabei sind, oft als Bandleader, unter einen Hut zu bringen. Alle sind ständig auf Tour.“

Neugierig sein. Neugierig bleiben.

Auch die aktuelle Zusammenarbeit mit Thomas Gansch stellt Pixner vor organisatorische Herausforderungen, schließlich sind alle Beteiligten mit teils internationalen Verpflichtungen stark eingespannt. „Alpen & Glühen ist letztlich auch ein Pandemiekind, weil wir endlich die Zeit gefunden haben, etwas gemeinsam musikalisch umzusetzen. Ich kenne Thomas Gansch seit 1997. Da habe ich ihn das erste Mal mit Mnozil Brass gesehen, die in Kitzbühel auf der Straße gespielt haben, und dachte mir: unfassbar. Ich war sofort Fan. Drei Wochen später habe ich die Band angeschrieben und gefragt, ob ich sie für ein Konzert in Brixen buchen kann. Sie sind gekommen, haben dort gespielt, seitdem ist der Kontakt sehr gut.“ Einmal im Jahr, so Pixner, sei man sich seitdem im Schnitt über den Weg gelaufen und habe sich gegenseitig versichert, dass man irgendwann musikalisch etwas zusammen auf die Beine stellen wolle. 2020 war dann endlich der Zeitpunkt gekommen – weil durch die kulturelle Zwangspause auf beiden Seiten genug Zeit vorhanden war.

„Im Vorfeld war nicht klar, ob es musikalisch funktionieren würde. Steirische, Trompete, Hang, Streichquartett, Kontrabass, das ist schon eine eigenwillige Mischung. Wir haben dann beschlossen, dass jeder seine eigenen Stücke mitbringt. Jeder ist schließlich Komponist, und vielleicht passt ja etwas zusammen. Erstaunlicherweise hat es wirklich unglaublich gut zusammengepasst und es ist eine ganz besondere Vielfalt entstanden.“

Im Mai 2022 finden die Konzerte statt, bei Erscheinen der aktuellen Ausgabe von diatonisch werden sie schon wieder vorbei sein, aber es ist bereits eine Tour für 2023 geplant. Pixner freut sich auf Abwechslung: „Durch diese Zusammenarbeit entstehen so viele neue Ideen und Eindrücke, das ist unbezahlbar. Wir haben den Vorteil, dass wir alle keine 20 mehr sind, sondern alte Haudegen.“ Der Südtiroler lacht. „Keiner muss sich etwas auf der Bühne beweisen. Viele werden glauben, dass der Thomas laut, hoch, schnell und wild spielt, der Pixner noch schneller und wilder – aber das Programm wird eigentlich das Gegenteil. Jeder von uns freut sich, nicht der Lauteste sein zu müssen. So kann man sich einfach in die Klangwolke setzen und darin baden, das genießen alle. Und jeder hat auch seinen Spot bei bestimmten Stücken, wo er glänzen darf und soll.“

 

Es kann und darf – und muss! – also wieder weitergehen 2022. Mit neuer Musik, neuen Begegnungen. Neuem Input. Wenn man Herbert Pixner – von dem man das Gefühl hat, er möchte einfach alles ausprobieren, alles anschauen und am besten auch gleich umsetzen – fragt, was ihm für die nächsten Jahre musikalisch noch vorschwebt, muss er nicht allzu lange überlegen. „Schön wäre, es mit dem Herbert Pixner Projekt doch noch einmal im Ausland zu versuchen. Einfach nur um herauszufinden, wie es ist: Werden wir ausgebuht, bejubelt oder fragen wir uns, wozu das Ganze?“ Anfragen, so Pixner, gab es schon genug, es fehlte allein die Zeit zur Umsetzung. „Eines war immer mein Wunsch: Wenn wir irgendwo hinfliegen, dann möchte ich nicht gleich am Abend oder am nächsten Morgen wieder weitermüssen. Wenn ich irgendwo bin, möchte ich da ein paar Tage bleiben, mit Musikern vor Ort was machen. So viel mitnehmen, dass ich einige Jahre von den Erlebnissen und Begegnungen zehren kann, die ich auf meiner Reise gehabt habe. Sonst macht es keinen Sinn.“ Pixner bleibt neugierig. Und wir freuen uns darüber.

 

 

 

Die CD Alpen & Glühen ist am 29.04.2022 auf Pixners Label Three Saints Records erschienen, rechtzeitig zum Tourstart erscheint mit SCHÏAN! das neue Album des Herbert Pixner Projekts.

Tourneetermine gibt es einige – zu finden, wie auch weitere Infos, auf

www.herbert-pixner.com

 

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