Geschichten aus alten oberpfälzer Tagen

Tipp für gemütliche Winterabende

20. Dezember 2023

Lesezeit: 5 Minute(n)

Wer Agnes O. Eisenreich, Koma Lüderitz und Stefan Huber schon live erlebt hat, weiß, wie modern Geschichten und Märchen klingen, die aus der »wilden Oberpfalz« stammen. Seit einigen Jahren sind die drei unterwegs, um den heutigen Menschen in Wort und Musik zu erzählen, womit sich die Oberpfälzer vor rund 200 Jahren die Abende vertrieben.
Text: Florian Schwemin Fotos: Franz Bauer, Petrum

Florian Schwemin: Ist die Oberpfalz wild?

Agnes O. Eisenreich: Manchmal schon! Vor allem nachts, wenn die Nebelschleier sich um die Beine wickeln, es knistert und raschelt und man das leise Gekicher der Hexen hört. Ja, und natürlich, wenn man im Wald den Irrlichtern begegnet.

Agnes O. Eisenreich

»Grausam, grotesk, grandios«, »überaus informativ und unterhaltsam«, »fesselte das Publikum« – so haben Rezensenten eure Lesung beschrieben. Ihr erzählt Märchen, Sagen und ziemlich skurrile Anekdoten aus der Oberpfalz.

Ja. Aus der alten Oberpfalz. Einer Oberpfalz, die nicht mehr so existiert. Die Menschen leben nicht mehr ohne Strom aus der Steckdose und im Glauben an eine Anderswelt, die man im tiefen Wald oder dunklen Brunnen findet. Und auch das Wirtshaus als Ort für Geschichten zum Gruseln oder herzlich Lachen hat ausgedient. Heute geht man dazu ins Kino oder streamt auf Netflix. Wir erzählen aber nicht nur wilde Geschichten – da ich Journalistin bin, erkläre ich auch, warum z. B. so oft ein Pudel vorkommt. Oder ich erkläre, welches Allheilmittel früher in jedem Kastl im Herrgottswinkel war und heute als geheimer Spezialtrunk aus der Schweiz gilt. Das heißt, dass ich unsere Anekdoten, Sagen und Märchen, mit viel Hintergrundwissen den Menschen einer modernen Welt nahebringe. Es ist eine Veranstaltung für Erwachsene und nur bedingt für Kinder. Und weil auch die Informationen sehr unterhaltsam und lustig sind, ist es manchmal gar nicht so leicht zu unterscheiden, was eine historische Geschichte von Schönwerth und was Gschaftlwissen einer heimatbegeisterten Journalistin ist.

Aus der wilden Oberpfalz – Rückseite
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»Schönwerth« – der Name hat ja mittlerweile in der Oberpfalz wieder einen Klang. Wer genau war das?

Franz Xaver Schönwerth – später von König Max II. geadelt – ist 1810 in Amberg geboren, hat dort das Abitur gemacht und ging dann nach München, um Jura (damals hieß das Jurisprudenz) zu studieren. Lieber wäre er wohl Architekt oder Bauingenieur geworden, wie man modern zu den Berufen sagt, aber dafür hat das Geld seines Vaters, eines Zeichenlehrers am Gymnasium, nicht gereicht. Damals, im 19. Jahrhundert, waren Lehrer arme Schlucker und so musste Franz Xaver oft seinen Vater daheim finanziell unterstützen. Der junge Schönwerth aber wurde am königlichen Hof u. a. hoher Ministerialbeamter im Finanzministerium. Bei der Revolution 1848 rund um Lola Montez brachte er die Privatkasse des damaligen Kronprinzen Max in Sicherheit, was sicher für seine Karriere nicht schlecht war.

Er blieb aber immer seiner Heimat sehr verbunden und erbat sich daher öfter Urlaub vom König. Forschungsurlaub. Da verbrachte er dann immer mal wieder 2–3 Wochen (im Jahr!) irgendwo in der Oberpfalz, um die dortigen Sagen, aber auch Bräuche, Kinderlieder, medizinisches Wissen und überhaupt Informationen über den Alltag zu notieren. Auch in München bezahlte er Mägden und Dienstboten aus der Heimat ein Essen, und ließ sich dabei alles erzählen, was ihnen so einfiel. Er wollte damit seine Heimat hinüberretten in die modernen Zeiten mit ihren neumodischen Dampflokomotiven, Industrieanlagen, Maschinen und v. a. ihrer Entmystifizierung. Er fürchtete tatsächlich den Untergang einer Zeit, die sich so lange nicht verändert hatte.

Ihm ging es ums Sammeln. Den zeitgleich mit ihm forschenden Brüdern Grimm ging es dagegen auch noch um mehr: sie wollten tatsächlich einen allgemeinen Grundstock von Geschichten und Märchen schaffen, bis zurück zu unseren Sprachwurzeln kommen. Sie gelten ja auch als Begründer der Sprachwissenschaft. Schönwerth war natürlich mit ihnen in Kontakt. Aber er sammelte nicht nur schriftlich – wie die Grimms – sondern tatsächlich auch mündlich – und er blieb wohl auch näher an dem, was seine Zeitzeugen erzählten. Veränderte und glättete nicht so stark wie die Grimms. Das Ergebnis seines Fleißes ist heute noch in zahlreichen Kisten im Archiv des Historischen Vereins in Regensburg vorhanden. Ein Bild von ihm selbst gibt es nicht.

Schönwerth konnte aber nicht leben von seiner Sammeltätigkeit und seinen Büchern. Er blieb Zeit seines Lebens ein Finanzbeamter und als er 1886 starb, wurde er auf dem Alten Nordfriedhof in München bestattet. Sein Grab gibt es heute noch. Seine Nachkommen leben in Schwaben und Oberbayern.

Warum ist heute noch interessant, was schon aus einer Zeit stammt, die es seit 150–200 Jahren nicht mehr gibt?

Weil es vieles erklärt, was wir heute nicht mehr bewusst wahrnehmen oder uns fragen, warum es so ist. Weil wir so auch manches unserer Kultur, unserer Herkunft besser verstehen. Weil gute Geschichten immer gute Geschichten bleiben. Und weil wir sozusagen face to face einen Abend gestalten bzw. auch versuchen, das über unser Hörbuch nahe zu bringen. Ohne großen Schnickschnack, aber mit Erzählkunst und auch besonderer Musik. Wir spielen keine Volksmusik, was vielleicht so mancher bei dem Thema erwarten würde. Stefan Huber und Koma Lüderitz spielen auf ca. 15 Instrumenten – normalerweise immer vier gleichzeitig – und kommentieren und erzählen die Geschichten damit weiter. Mit Percussion, Ukulele, Autoharp, Baritonsaxophon, Monochord, Dudelsack, usw. um nur ein paar zu nennen. Es ist ein durchkomponiertes Konzept, bei dem Text und Musikanteile zusammengehören und aufeinander aufbauen. Und darum heißt unser Programm und unsere CD dazu auch Aus der wilden Oberpfalz – Alte Geschichten neu erzählt! Eine schön-schaurige Lesung in allen Klangfarben.

Liebe Agnes, ein herzliches Dankeschön für das Interview!

Koma Lüderitz und Stefan Huber in Aktion
Agnes O. Eisenreich

Die studierte Fernsehjournalistin ist Redakteurin bei der Abendschau des Bayerischen Fernsehens. Zuvor arbeitete die Hemauerin (Lkr. Regensburg) u. a. als Reporterin und Moderatorin bei Oberpfalz TV in Amberg. Sie ist fasziniert von alten Geschichten, die die Urängste der Menschen in allen Zeiten, aber auch deren Lebensfreude und Bauernschläue widerspiegeln. Die Neugier auf alles Menschliche ist ihre Basis für die journalistische Arbeit des Geschichtenerzählens.

Koma Lüderitz

Aufgewachsen in Braunschweig, wo der sich überschneidende Empfang von britischem Army-Radio, Ohnsorg-Theater und DDR-Fernsehen für eine besondere multikulturelle Mischung sorgte. Er spielte in verschiedenen Bands wie The Planets, Sidewalk Poets17 Hippies und The Pokes. Auf einen Stil will er sich nicht festlegen, Hauptsache gute Musik. Spielt Schlagzeug, Dudelsack und Saxophon. Lebt aktuell wieder in Berlin.

Stefan Huber

Als Pädagoge und Musiker an Schulen und auf Bühnen zuhause. Der Hemauer (Lkr. Regensburg) entwickelt und baut nicht nur selbst Instrumente (Cajon, Autoharp, Elfenzither), sondern spielt auch in diversen Gruppierungen. Er ist als Perkussionist, doch eigentlich als Multiinstrumentalist tätig. War lange Leiter der Umwelt-Musik-Werkstatt im Kloster Ensdorf, lehrt als Dozent an den Fachakademien für Sozialpädagogik in Weiden und Regensburg.

Aus der wilden Oberpfalz

Im Hörbuch Aus der wilden Oberpfalz – Alte Geschichten neu erzählt ist u. a. die oberpfälzer Version von Hänsel und Gretel, die an zwei Menschenfresser geraten oder die drei Ärzte, die sich gegenseitig in ihrer Kunst überbieten wollen, enthalten. Auch das Aferl muss immer wieder auferstehen, bis es endlich mal Ruhe finden darf. Und wer weiß schon, dass in der Oberpfalz nicht nur Frösche küssen hilft, auch verlauste Pudel könnten zu Prinzen werden! Der Zuhörer glaubt, eigentlich alles schon zu wissen, doch die alten Geschichten haben dann zu aller Überraschung eine ganz interessante Wendung.

Rezensent Engelbert Huber, ein ehemaliger Gymnasiallehrer in Parsberg und selbst Autor, schreibt »75 Minuten Hörgenuss bietet die von Agnes O. Eisenreich herausgebrachte CD, sowohl was den ausdrucksstarken, magischen Ton der Märchenerzählerin als auch die klangliche Untermalung der Geschichten durch Koma Lüderitz und Stefan Huber anbelangt.

Es sind Märchen mit dem Anspruch auf Oberpfälzer Originalität ohne Veränderung der tradierten Quellen und in einer Drastik und mit grotesken Zügen, so dass die Grimms-Märchen im Vergleich dazu wie eine ›Light-Version‹ wirken. Kurzum, eine sehr überzeugende Synthese von Text und instrumentalen Klängen.

Dringende Hörempfehlung: Ein Muss für alle, die sich schauerlich gruselnd dem Alltag entziehen und sich von Agnes Eisenreichs Worten in die Magie der Märchenwelt verführen lassen wollen.«

Bestellung: agnesoeisenreich@web.de

1 Kommentar

  1. ERika Eichenseer

    Hallo Agnes und Stefan,
    ich bin die Erika, will Euch nicht unnötig stören. Aber ich hätte gern die oben gezeigte CD oder einen Link von Wort und Musik, den ich weiterleiten könnte zu Moritz Kellner, dem künstlerischen Leiter von Kloster Speinshart. Er will am 13. Februar eine literarische Veranstaltungsreihe einleiten mit oberpfälzischen Märchen, und ich möchte Euch so gern mit dabeihaben!
    Lasst was hören und viele Grüße noch dazu
    Eure Erika
    a.e.eichenseer@t-online.de

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