Mit dem Tandem auf die Bühne

Tante Friedl radelt gern zum Auftritt

1. Juli 2023

Lesezeit: 3 Minute(n)

Der Auftritt am 2. Juni im schweizerischen Rorbas am Rhein war für Magdalena Kriss und Dan Wall ein ganz besonderer. Die letzten dreißig Kilometer zu ihrem Ziel wurden die beiden auf ihrem Tandem erstmals von ihren Fans auf dem Rad eskortiert. »Dieses gemeinsame Anradeln hatten wir uns schon lange erhofft«, sagt Kriss, die bayerische Hälfte des Folk-​Weltmusik-​Duos Tante Friedl. Seit 2018 mischt das Paar mit seinen lebendigen, mal sogar punkig klingenden Interpretationen traditioneller Lieder vom Balkan, aus Ost- und Zentraleuropa, Skandinavien oder Nordamerika sowie Eigenkompositionen die Szene auf. Vor allem aber machen sie mit ihrem ökologischen Engagement von sich reden. Denn das deutsch-​amerikanische Gespann versucht, die Anreise des Großteils ihrer Touren mit dem Fahrrad zu bewältigen. »Das ist unser Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel«, sagt der aus Hudson im Bundesstaat New York stammende Wall.

Text: Erik Prochnow Fotos: Melisa Sánchez

Gründer und Herz der Wanderlehrgruppe war Fritz Herrgott (1922–1992). Als ehemaliger Singleiter bei den Latter Days Saints-​Scouts (Mormonen), dem Jungvolk und bei der Hitlerjugend war er in den 1940er-​Jahren Student an der Münchner Universität. Nach einer Vorlesung von Kurt Huber habe dieser ihn damals auf die Möglichkeiten von Volkslied-​Forschung und -Pflege »im Zusammenhang mit einer umfassenden Volkstumspflege« [Herrgott 1964, 147] aufmerksam gemacht und habe versucht, Fritz Herrgott für diese Arbeit zu begeistern.

Studentische Gruppe zur Pflege des bayerischen Liedgutes

Unter Herrgotts Leitung entstand schließlich tatsächlich eine studentische Gruppe »zur Pflege des Bayerischen Liedgutes«, die sich seit etwa 1946 im Gebäude des jetzigen Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege bzw. dessen Landesstelle für Volkskunde traf und sich mit bayerischen Liedern und Tänzen beschäftigte.

Aus der Not eine Tugend gemacht

Für Tante Friedl entstand die Idee allerdings eher aus der Not heraus in der Pandemie. Als alle Projekte gestoppt waren, überlegte sich das Duo, im Sommer 2020 eine Fahrradkonzerttour mit privaten Gartenauftritten zu veranstalten. Doch eine Probefahrt auf einem klassischen Tandem, bei dem die schwerere Person vorne sitzt und die leichtere hinten, endete immer wieder im Streit. Die Lösung sahen sie schließlich auf einem Campingplatz – und als ihr Vermieter in Berlin, ein Fahrradfreak, ausgerechnet dieses Modell mit einem Liegesitz vorne im Keller stehen hatte, war ihnen klar, sie mussten es haben.

Mit dem Gefährt müssen die beiden Musikschaffenden nun ihre Touren ganz anders planen. »Vor einem Konzert können wir nicht mehr als fünfzig Kilometer strampeln, gleichzeitig dürfen es nicht zu viele Pausentage sein, an denen wir nichts verdienen«, sagt Kriss. Nach einer fünfstündigen Fahrradfahrt gehen sie dann allerdings mit viel mehr Energie auf die Bühne, als wenn sie mit Zug oder Auto anreisen. Das Tandem steht dabei oft direkt neben ihnen. Was Gepäck anbelangt, müssen sie sich deutlich beschränken. »Rund achtzig Kilo transportieren wir auf diese Weise«, erklärt Kriss. Neben Zelt, Campingzeug, Kleidung sind das die Instrumente wie Banjo, Akkordeon, ein paar Mikrofone und Kabel sowie CDs.

Alles hat seine Grenzen

So leicht, wie sie sich die Anreise vorgestellt haben, ist es allerdings nicht. Kriss: »Am Anfang dachte ich noch, wir könnten auf dem Fahrrad neue Lieder schreiben oder in den sozialen Medien aktiv sein.« Doch trotz der Anstrengung, vor allem am Berg, genießen sie es. »Man kann viel freier atmen«, sagt Wall.

Ihr Ziel für die nächste Tour sind daher achthundert Kilometer. Dennoch spüren sie die Grenzen des anderen Reisens. Am liebsten würden sie ihr Tandem auch in der Bahn mitnehmen. Aber das Fahrrad ist zu groß für die Ständer in den ICEs, die ohnehin meist ausgebucht seien. »Für uns stellt sich zudem schon die Frage, was Zeit wert ist«, zeigt sich Kriss nachdenklich. Wenn es nicht anders geht, sind die beiden daher auch mit Auto oder Zug unterwegs und nehmen sich ein Zimmer, wenn sie ihr Zelt nicht im Garten aufstellen können. Dennoch wünschen sie sich, dass die Anreise mit dem Fahrrad viel normaler werden würde und das Publikum zumindest darüber nachdenkt, dem nachzueifern.

Über das Duo

Tante Friedl ist ein bayerisch-​amerikanisches Musikduo aus Berlin. Mit Akkordeon, Banjo und zwei starken Stimmen sprengen Magdalena Kriss aus Bayern und Dan Wall aus New York State eigene Songs sowie neue, packende Interpretationen von Folk und Roots-​Musik aus Mitteleuropa, dem Balkan und Amerika. Ihr vielfältiges Repertoire von Gewerkschafts- und Protestsongs bis hin zu Liedern über Liebe, Verlust, Natur und Abenteuer gibt Einblicke in andere Kulturen, Geschichten und Perspektiven. Mit Elementen aus World, Street, Folk, Acoustic Punk, Cabaret und Straßenmusik aus New Orleans setzen sie sich kraftvoll, kritisch, politisch und ironisch mit Text und Musik auseinander. Magdalena Kriss und Dan Wall überzeugen mit einem abwechslungsreichen Set, singen auf Englisch, Deutsch, Bayerisch, Norwegisch, Russisch, Bulgarisch… und ziehen jeden ihrer Zuhörer durch ihr energiegeladenes und harmonisches Zusammenspiel in ihren Bann. Im Sommer 2021 veröffentlichten sie ihr Debütalbum Tandem, das in zwei Kategorien für den Preis der Deutschen Schallplattenkritik nominiert wurde. Im Januar 2023 gewannen sie die Freiburger Leiter, den Preis der Freiburger Kulturbörse!

www.tantefriedl.eu

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