Kulturelle Aneignung? Ja, bitte!

Oder: Wie der Zwiefache nach Dänemark kam

1. August 2023

Lesezeit: 5 Minute(n)

Text: Florian Schwemin Foto: Jan Marcussen

Weitgereist heißt das Thema dieser »zwiefach«, um einen weitgereisten Zwiefachen geht es in diesem Beitrag. Wenn man in der Oberpfalz mit Volksmusik zu tun hat, stolpert man zwangsläufig über die Zwiefachen (oder eben nicht, je nach individueller tänzerischer Qualität). Man rechnet allerdings weniger damit, wenn man nebenbei zur Hintergrundbeschallung ein Youtube-​Video mit dem etwas obskuren Titel Folk group Lang Linken, Denmark – small concert on old instruments laufen lässt und auf einmal unverkennbar ein Zwiefacher aus den Lautsprechern klingt.

Eine nochmalige Überprüfung und sorgsames Mitzählen bestätigte das Gefühl: Ein waschechter, regelmäßiger, zweiteiliger Zwiefacher in der klassischen Form (WWDD). Muss etwa die Zwiefachen-​Forschung neu geschrieben werden? Haben am Ende die Wikinger von ihren Fahrten nach Vinland den Zwiefachen mitgebracht (»Und wenn der Erik ins Vinland fahrt …«)? Oder sind ein paar Oberpfälzer in der Auswandererwelle des 19. Jahrhunderts auf dem Weg nach Bremerhaven falsch abgebogen und statt in New York in Nyborg gelandet? Müßige Spekulationen helfen nicht weiter.

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Die Recherche beginnt

Vielleicht kann der Name des Stücks Aufschluss geben. Auf der CD Konrifas der besagten Folk group firmiert das Stück als German Gladensvend. Interessanterweise sind auf der CD die ersten 1:53 Minuten des 2:46 langen Stücks gar nicht als Zwiefacher erkennbar. Getrieben von einer Trommel und einer perkussiv gespielte Gitarre geht ein 2er-​Takt gerade durch, um sich dann in einen beschwingt vorgetragenen Zwiefachen aufzulösen. Doch zurück zum Namen: German Gladensvend das findet der erzählforscherisch gebildete Volkskundler gleich heraus, ist ein dänisches Märchen, das auf das 16. Jahrhundert zurückverfolgt werden kann. Da das Dänisch des Autors, gerade zum Bier bestellen reicht, übernahm eine bekannte KI die Zusammenfassung:

»Das dänische Märchen ›German Gladensvend‹ erzählt die Geschichte von German, einem jungen Mann, der als Stallknecht arbeitet. Eines Tages hört er, dass die Tochter des Königs von einer bösen Hexe entführt wurde. Er beschließt, die Prinzessin zu retten, und macht sich auf den Weg. Auf seiner Reise begegnet er verschiedenen magischen Wesen und findet schließlich die Hexe und die Prinzessin. Mit Hilfe eines verzauberten Schwertes und seiner List gelingt es German, die Hexe zu besiegen und die Prinzessin zu befreien. Zur Belohnung wird er zum Prinzen ernannt und heiratet die Prinzessin. Das Märchen lehrt uns, dass Mut, List und Entschlossenheit dazu beitragen können, Hindernisse zu überwinden und unsere Träume zu verwirklichen.«

Auch damit kommt man offensichtlich nicht weiter. Genug spekuliert also, die Herren mit den »old instruments« müssen selbst befragt werden. Eine Rezension im Internet brachte näheres zum Urheber zutage: In der Rezension auf der Seite rootsworld heißt es:

»One highlight is the zwiefache ›German Gladensvend‹, a traditional German form in which the time signature flits back and forth at the musicians’ whim between polka and waltz time. This one is newly composed by fiddler Poul Lendal, and it’s a drony delight, with hurdy-​gurdy and dulcimer.« [www.rootsworld.com/reviews/linken.shtml]

German Gladensvend

Zwiefacher

Poul Lendal
German Gladensvend: Dieser Zwiefache stammt vom dänischen Musiker und Komponisten Poul Lendal (*1951), der ihn gerne mit seinem bekannten Folk-Trio Lang Linken musiziert. Poul Lendal ist Mitglied der GEMA/KODA. Das Stück muss bei einer öffentlichen Aufführung angemeldet werden.
Kontakt zum Komponisten

Über das Label der CD konnte schließlich der Kontakt mit Poul Lendal, dem Geiger und Drehleierspieler der Gruppe Lang Linken hergestellt werden. Mangels Dänischkenntnissen auf Englisch. Poul war sofort bereit alle Fragen des Forschers »from the homeland of the Zwiefachen« zu beantworten.

»Many years ago I learnt a traditional tune from the northern part of Germany, and it was a zwiefache. After that I made two new tunes in the same ›language‹…and then many years later I made ›German Gladensvend‹. A funny thing about zwiefache for me is that, when we play concerts, the tunes will be played fast, and when we play for dances, the tunes will be played slower – like a danish valse-​tempo. Zwiefache is not a part of old danish tradition, but it is now. PL«
Neben German Gladensvend hat er seit den 1990er-​Jahren noch mehrere Zwiefache, alle nach dem gleichen Schema, gestrickt. Zwiefache sind also kein alter Teil dänischer Tradition, aber sie sind es jetzt, wie der Komponist, der mit dem bei Musikanten oft anzutreffenden Humor gesegnet zu sein scheint.
Aber was war nun das traditionelle Stück, das Poul Lendal nachgestrickt hat? Die Akkordfolge | : I I V I : | | : IV I V I : | hätte schon Indiz genug sein sollen, die Vorlage war natürlich die gute Alte Kath. Poul hängte sogar einen Scan des Notenblatts an, auf dem seine Zwiefachen fußen. Der Scan ist als »tyskeren« bezeichnet, was so viel wie »Deutscher« heißt.
Aber wie kam dieses Blatt nach Dänemark? Afrikanische Schwalben sind auszuschließen. Auch hier konnte Poul weiterhelfen: Die Noten bzw. die Melodie kamen über Lene Halskov Hansen, eine Folkloristin mit Schwerpunkt Musikethnologie, die an der Königlich Dänischen Bibliothek als Forscherin tätig ist zu Poul.

Die Alte Kath auf dem Weg nach Norden

Auch hier war der Kontakt schnell und unkompliziert hergestellt. Das Stück konnte so bis in die 1980er-​Jahre und in die Bordun-​Szene zurückverfolgt werden. Wie andernorts in Europa auch brachten die 1970er-​Jahre in Dänemark ein Folk-​revival, im Zuge dessen fast vergessene Instrumente wie Drehleiern und Dudelsäcke wiederbelebt wurden. Lene Halskov spielte einen kleinen schwedisch/dänischen Dudelsack und wie alle Bordun-​Pioniere dieser Zeit Lene »struggled a lot to make them work«. Bei einem Folkfestival in Schweden hatten Mitglieder der dänischen Dudelsackspielergruppe Achim von Uslar kennengelernt, der 1986 als Dudelsackbauer in Hamburg tätig war. Bei einem Wochenende irgendwo in Dänemark, zu dem sie Achim für einen Rohrblattbaukurs eingeladen hatten, wurde unter anderem die Alte Kath gespielt. Hier endet die Fährte leider, da Joachim nicht mehr genau weiß, wo er diesen Zwiefachen kennengelernt hatte. Die vorliegende Version zumindest ist schon auf nicht-​überblasende Instrumente, wie den dänischen Dudelsack angepasst und könnte schon die ein oder andere Station auf ihrem Weg nach Hamburg durchlaufen zu haben.

Mit mehr Muße könnte sicher der Weg noch weiterverfolgt werden, diese erste Skizze zeigt aber eindrücklich, dass Volksmusik nach wie vor lebendig durch die Welt wandert und Begegnungen auch über gut 1.000 Kilometer hinweg Ideen und Melodien weitertragen, die wiederum zu neuen kreativen Aneignungen führen. Der Unterschied ist aber, dass wir über das Internet die Möglichkeit haben, diese Wege zu entdecken und mit Mut, List und Entschlossenheit die beteiligten Personen und Vermittlungswege aufzuspüren.
Den dänischen Zwiefachen gibt es übrigens am Tag der Oberpfälzer Volksmusik am 9. Juli 2023 im Freilandmuseum Oberpfalz in Neusath live zu hören.
Der Vollständigkeit halber: Getanzt wird der Zwiefache in Dänemark genau wie bei uns. Zumindest schreibt das Poul Lendal und Dänen lügen ja bekanntlich nicht.

3
Album:
CD Knorifas von Lang Linken

Strohhutnähmaschine im Deutschen Hutmuseum Lindenberg

Aufmacherbild:
Die dänische Folkgruppe Lang Linken

mit Kjeld Nørgaard, Carl Erik Lundgaard und Poul Lendal (v. l.), 1987. (S/W-Foto coloriert).

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