Sängerin und Liedlmacherin aus Fischbachau

Kathi Greinsberger (1931–2024)

25. April 2024

Lesezeit: 7 Minute(n)

Text: Elmar Walter Fotos: Sammlung Martin Prochazka, BR/Arnd Frenger, Martin Wieland

Es war ein kalter, verregneter Tag Anfang März 2009. Meine Kollegin Berta Reißner und ich machten uns auf den Weg nach Fischbachau. Es stand die Herausgabe des Dritten Fischbachauer Liederbüchls unmittelbar bevor und es galt, Korrekturen zu besprechen. Voller Freude, aber auch mit gebührendem Respekt – selbst erst wenige Monate beim Bayerischen Landesverein für Heimatpflege tätig – sah ich diesem Treffen mit Kathi Greinsberger entgegen. Und dann kam alles ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Wir saßen schließlich in ihrer kleinen, aber überaus geschmackvoll eingerichteten Stube an einem Tisch und besprachen ihre Lieder für das neue Liederbuch. Freundlich, aber bestimmt, wies sie darauf hin, dass dieser oder jener Akkord genauso sein müsse, ließ sich aber auch von Berta Reißner überzeugen, wenn etwas irrtümlich falsch notiert war oder man sich bei einer Textsilbe besser an der Schreibweise des Bairischen á la Ludwig Thoma orientieren sollte.

Am Ende des Tages hatten wir alle Lieder durchgesprochen, Kaffee und Kuchen genossen und ich durfte eine sehr bescheidene, kluge und umsichtige Frau kennenlernen, die dennoch eine ganz große war. Und es war wieder ein verregneter Tag – Eisregen war angesagt – als ich mich Anfang Januar 2024 erneut auf den Weg nach Fischbachau machte. Dieses Mal jedoch, um Kathi Greinsberger die letzte Ehre zu erweisen.

Die Idee für ein neues Lied sei ihr meist durch Stimmungen oder Gefühle in ihrem alltäglichen Leben als eins von 16 Kindern auf dem Lechnerhof gekommen, erzählte Kathi Greinsberger vor Jahren im BR- Interview.

Die Lieder der Greinsberger Kathl aus Faistenau

1947 schickte der Trachtenverein die drei Dirndl Rosi, Fanni und Kathi zum Tegernseer Kindersingen des Kiem Pauli. Kurz darauf schon nahm sie Sepp Sontheim, Mitglied des legendären Musterkofferls, mit zum Aschauer Sängertreffen. Die drei Dirndl avancierten schließlich zu einem der besten und bekanntesten Frauen-Dreigesänge in Bayern: den Fischbachauer Dirndln bzw. den Fischbachauer Sängerinnen.

Die Lieder von Kathi Greinsberger sind meist aus einem bestimmten, aber unbewussten Beweggrund entstanden, wie sie selbst beschreibt: »Das gleichförmig vertraute Geräusch des im Stall fressenden Viehs setzte mich zum Beispiel gern in Stimmung und ließ mir während des Melkens etwas einfallen. Oder der Duft eingekochter Himbeeren, der durch das Haus zog. Einmal bewirkte es die Äpflkammer, ein anderes Mal war es goldbraunes Herbstlaub, das ich zusammenzurechen hatte. Gerne war ich dann bei der Arbeit allein. Unterhaltung störte mich, genauso, wenn es jemandem selber einfiel, etwas zu pfeifen. Manchmal flog mir eine kleine Weise zu, in die ich den Text baute. Beim nächsten Mal war es ein Wort, das mir so gefiel, daß ich, immer wieder davon ausgehend, Wort und Weise aneinanderfügte. Manchmal fand ich unterwegs den Faden für ein Liedl.«1

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02 Erster Auftritt_edit_web_color
03 Fischbachauer Sängerinnen II_edit_edit

Die Art und Weise, wie Kathi Greinsberger ihre Lieder strickte, war eine ganz natürliche. Sie fand die dreistimmigen Akkorde auf ihrer Zither und erprobte den endgültigen Satz schließlich mit ihren Mitsängerinnen. Über den Bayerischen Rundfunk fanden die Lieder weite Verbreitung und waren somit schon mit der Veröffentlichung einem Umsingprozess ausgesetzt, da die Lieder zunächst durch Hören und Nachsingen tradiert wurden. Erst mit der Herausgabe des Liederbuches wurde eine Ur-Fassung festgehalten, die Kathi Greinsberger autorisiert hatte: »Mit dem Liedermachen ist es nicht so leicht. Das Volkslied ist ein sensibles Gebilde: Ein falsches Wort, ein falscher Ton und alle Glaubwürdigkeit ist dahin. Warum ein Lied vom Volk angenommen wird oder nicht, ist schwer zu ergründen. Wenn wir vergleichsweise die Anstrengungen der Denkmalpflege betrachten, wie die Kostbarkeiten alter Substanzen höchste Einfühlung mobilisiert, wie heruntergekommene Bauernschränke und ramponierte Gemälde der größten Fertigkeit des Restaurators bedürfen – sollten wir die gleiche Achtung nicht auch vor dem überlieferten Lied haben?«

Kathi Greinsberger war es zeitlebens wichtig, dass die Sätze, die sie in mühevoller Kleinarbeit ausgetüftelt hatte, von den Sängerinnen auch so ausgeführt wurden, wie sie es sich vorstellte. Dabei war sie aber keineswegs hart und unnachgiebig, sondern sehr besonnen. Mit ruhiger Stimme erklärte sie dann: »Mei, i håb mir ’s halt so vorgestellt.« Und diese Vorstellung ist bis heute Gradmesser für viele Gesangsgruppen in Bayern, die dem Vorbild der Fischbachauerinnen nacheifern.

Kathi Greinsberger, Rosi Prochazka und Fanny Bucher wurden als Fischbachauer Sängerinnen Vorbilder für viele Gesangsgruppen in Bayern und Österreich.
A Herz wia a Vogerl war Kathi Greinsbergers erstes Lied, an die 100 weitere sollten folgen, dazu ein Ostermysterienspiel sowie die 1980 uraufgeführte Fischbachauer Messe.
Die Fischbachauer Sängerinnen bei einem Auftritt beim Stangl- Wirt, begleitet von Sepp Winkler an der Zither.

Die Herausgabe des ersten Fischbachauer Liederbüchls

1968 gab der Bayerische Landesverein für Heimatpflege in seiner Schriftenreihe Lied, Musik und Tanz in Bayern das erste Fischbachauer Liederbüchl heraus.

»Wenn in der Schriftenreihe [›Lied, Musik und Tanz in Bayern‹] die Vorsilbe ›Volks-‹ bewußt weggelassen wurde, so vor allem deswegen, weil der Landesverein für die authentische Interpretation der Begriffe ›Volkslied, Volksmusik, Volkstanz‹ die Volkskunde und Musikwissenschaft für zuständig erachtet und sich hier im Gegensatz zu den konjunkturtüchtigen Geschäftsleuten, die heute um so lauter ihre Produkte als ›Volksmusik‹ usw. anpreisen, jeweniger sie in Wirklichkeit damit zu tun haben, Zurückhaltung auferlegt. Es hat aber auch die Überlegung dabei mitgespielt, daß für die Heimatpflege sehr wohl auch Erscheinungen auf dem Gebiet der Musik, der Dichtung und des Tanzes von Interesse sind, die sich nicht unter die obengenannten strengen Begriffe einordnen lassen, aber dennoch mehr oder weniger stark durch die heimatliche Eigenart geprägt sind, wobei nur etwa an manche Werke hervorragender bayerischer Komponisten der Gegenwart erinnert sei. Auch die Behandlung solcher Themen soll also in dieser Schriftenreihe nicht ausgeschlossen sein.«2

Die Worte von Kurt Becher fassen zusammen, was es zur Herausgabe des ersten Fischbachauer Liederbüchls zu sagen gibt. Dennoch sei noch auf einige wenige Punkte hingewiesen. Anfang der 1960er-Jahre gab es in der Volksmusikpflege einen großen Bedarf an Notenmaterial, sowohl hinsichtlich Lieder als auch Instrumentalmusik. Diesen zu decken sah der Landesverein als eine seiner vordringlichsten Aufgaben im Bereich der Volksmusikpflege an. Nicht zuletzt deshalb wurden die Publikationsreihen des Landesvereins zu Pionierprojekten der Volksmusikpflege.

Cover des zweiten Fischbachauer Liederbüchls mit dem Titel Ist alles wohl bestellt.

Die Bedeutung der Lieder für die Volksmusikpflege

In der Volksmusikszene herrschte unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und noch Jahrzehnte später die Vorstellung, dass musikalische Formen (Lied, Musik, Tanz), um als Volksmusik anerkannt zu werden, spezifische – vorwiegend stilistische – Kriterien erfüllen müssen. Dabei waren und sind bis heute jene, auf Johann Gottfried Herder zurückgehende, Kriterien dominant: hohes Alter, allgemeine Verbreitung und Schönheit. Auch, wenn in der institutionalisierten Volksmusikpflege Bayerns dieser Ansatz längst überholt zu sein scheint, so ist er doch bis heute immer noch verbreitet. Umso erstaunlicher mutet es an, dass der Landesverein ein Liederbuch mit neuen Liedern herausgibt, zudem die Komponistin preisgibt und somit gleich zwei von drei Kriterien ad absurdum führt. Und das auch noch im Jahr 1968, das nicht zuletzt bis heute synonym für einen fast schon revolutionären Sinneswandel in der bürgerlichen Gesellschaft des 20. Jahrhunderts in Deutschland gilt.

Die Liederbücher der Kathi Greinsberger, hauptsächlich die ersten beiden, sind daher ein Novum in der Geschichte der Volksmusikpflege in Bayern und können in Ihrer Bedeutung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die musikalische Qualität der Lieder, insbesondere der Liedsätze, wurde dabei als Kriterium bislang kaum benannt. Dennoch zeigt sich auch hier ihre große Kunst, Sätze zu schreiben, die einerseits einfach klingen und andererseits von hoher Qualität zeugen. Diese Qualität zeigt sich vor allem durch Kathi Greinsbergers Gabe, die Stimmen so zu setzen, dass sie sich gut singen lassen, ohne dabei klangliche Einbußen hinzunehmen oder Kompromisse einzugehen. Dass sie ihre Lieder sich selbst und ihren Mitsängerinnen auf den Leib geschrieben hat, mag auf die ersten beiden Liederbücher sicher zutreffen, beim Dritten Fischbachauer Liederbüchl, das erst im Jahre 2009 erschien, sicher nicht mehr. Hier konnte sie nur mehr auf ihre Erfahrung zurückgreifen, da sie selbst bedauerlicherweise nicht mehr in der Lage war, zu singen.

Ministerpräsident Franz Josef Strauß überreichte Kathi Greinsberger 1985 den Bayerischen Verdienstorden.

Abschied von Kathi Greinsberger

Es waren viele Sängerinnen und Sänger, viele Volksmusikantinnen und Volksmusikanten, die Kathi Greinsberger die letzte Ehre erwiesen. In bewegenden Worten fasste Andreas Estner ihre Bedeutung für Fischbachau, für die Volksmusik in Bayern und nicht zuletzt für Bayern zusammen. Als eine der wenigen Volksmusikantinnen war sie Trägerin des Bayerischen Verdienstordens und fügt sich somit ein in die Reihe bedeutender Persönlichkeiten in Bayern.

Kathi Greinsberger hat in ihrem Leben Großes geleistet, ohne Allüren, liebenswürdig und stets höflich. Dennoch konnte sie auch klare Kante zeigen, wenn es um Veränderungen in ihren Sätzen ging. Letztlich lässt sich all das in wenigen Worten zusammenfassen:

Kathi Greinsbergers Lebensleistung war und ist für die Volksmusikpflege von unschätzbarem Wert. Menschlich wie musikalisch ist sie unerreicht.

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