Text: Rudolf Neumaier Fotos: Thomas Pfahler, Archive Gröller und Schmelz
Sebastian Gröller und Alois Schmelz teilen sich ein Büro. Sie haben ihre Schreibtische so eingerichtet, dass sie vis-à-vis sitzen. Beim Leiten einer Volksmusik-Abteilung gilt das Gleiche wie beim Musizieren selbst: Blickkontakt ist immer hilfreich. So bleibt man gemeinsam im Schwung.
Im September hat das Duo Gröller & Schmelz beim Bayerischen Landesverein für Heimatpflege angefangen. Als erste Doppelspitze in der Geschichte des bald 125 Jahre alten Landesvereins. Ihnen deswegen gleich einträchtigste Brüderlichkeit anzudichten, wäre übertrieben, auch wenn sie beide aus Niederbayern und von der eher blechernen Volksmusik stammen und sich gemeinsam beworben haben, um dieses bedeutende Amt, das sie sich als Doppelspitze teilen. Gröller, Jahrgang 1993, kommt aus Arnbruck im Landkreis Regen, der 24 Jahre ältere Schmelz aus Malching im Rottal.
Gschwister
Dennoch ist verbrieft, dass es sich bei den beiden Herren um Geschwister handelt: Beide gehören der Münchner Musikgruppe G.Rag und die Landlergschwister an. Schmelz war schon bei der Gründung vor genau 20 Jahren dabei, Gröller kam in der Corona-Zeit dazu.
Diese Landlergschwister sind eine außergewöhnliche Truppe in der Volksmusik-Szene. »Ich würde es auch eher als offenes sozialintegratives Musikprojekt bezeichnen«, sagt Alois Schmelz. Eine verwandtschaftliche Beziehung gibt es: Die Klarinettistin Birgit Schmelz ist Alois’ Cousine. Ansonsten geht es so familiär, gemütlich und stressfrei zu, wie es eben läuft, wenn sich Leute treffen, um die angenehmsten Stunden ihres Lebens miteinander zu verbringen.
Die Formation entstand bei einer Public-Viewing-Veranstaltung in München: Für die Fernsehserie München 7 hatten Schmelz und Andreas Staebler, ein musikalischer Alternativ-Universalist aus Sendling mit dem Künstlernamen G.Rag, den Soundtrack komponiert und zu einem Filmabend ins Kilombo geladen, seinerzeit in der Münchner Au. Es trafen an diesem Abend ein paar Bläser und ein Gitarrist aufeinander und spielten.
Von da an wuchs die Besetzung um ein Banjo, zwei Schlagzeuger, mehrere Klarinetten und Trompeten sowie tieferes Blechgebläse. Wobei als Schlagzeug alle möglichen Schepper-Utensilien herhalten, gern auch mal Aschenbecher-Röhren, wie sie vor Gaststätten und Hotels herumstehen. Man mag kaum glauben, wie fein ein solcher Aschenbecher zum Zwiefachen Arschloch von Leinsiedl klingen kann, wenn er mit Drumsticks behandelt wird.
Eine beachtliche Anhängerschaft hat sich in und um München gebildet. Hier traten die G.Rag und die Landlergschwister seit 2010 auf dem Oktoberfest im Herzkasperlzelt auf und spielten Frühschoppen im Fraunhofer. Da es in diesem Jahr kein Herzkasperlzelt gab, weil der legendäre Wirt Beppi Bachmaier das Zelt nicht bekam, pausierten sie.
Gefragt sind sie inzwischen aber über Bayern hinaus. Die Gage bei ihren bis zu 20 Konzerten pro Jahr liegt irgendwo zwischen drei Ster Holz und 10.000 Euro, dann mit voller Kapelle. Mit zehn bis 17 Mitgliedern kreuzen die Landlergschwister auf – je nach Verfügbarkeit bei anstehenden Auftritten. Viele von ihnen haben als Musiker und in ganz anderen Professionen ja die unterschiedlichsten Verpflichtungen. Zum Beispiel Micha Acher als Teil des Indie-Rock-Projekts The Notwist. Oder Sebastian Meier als Instrumentenbauer und Oberpfälzer Öko-Landwirt. Oder Evi Keglmaier als Komponistin und Zwirbldirn-Mitglied.
»… die große verbindende Kraft der Musik.«
Mutterschiff
Wie es sich für gute Gschwister gehört, gibt es einen Elternteil, das sie besonders verbindet. »Unser Mutterschiff ist das Label Gutfeeling«, sagt Alois Schmelz. Dieser Musikverlag, der im Plattenladen in der Münchner Maistraße 1 beheimatet ist, hat unter seinen circa 80 Veröffentlichungen auch alle sieben Platten von G.Rag und den Landlergschwistern herausgebracht, die neueste erschien Anfang Oktober. Sie heißt Ins Freie. Wie immer wechselt sich auch auf diesem Tonträger Bayerisches mit Internationalem ab: Auf Pretiosen wie den Durl-Schottisch folgt eine Cover-Version von Close To Me der britischen Wave-Band The Cure. Dem Zwiefachen Wespennest, bekannt durch Blaskapelle Josef Pfeffer, lassen die Landlergschwister Stücke wie Koyato aus Trinidad und Sereia Do Mar von Camarao aus Brasilien folgen. International sind sie sowieso mit allen möglichen Musikern verbandelt – bis nach Japan, Südafrika und Auckland in Neuseeland, wo sie mit dem Blues- und Folkmusiker Delaney Davidson befreundet sind. Mit Künstlern wie ihm treffen sie regelmäßig bei der Alien Disko zusammen, einem sagenumwobenen Festival im Münchner Volkstheater.
Bei dieser Alien Disko findet sich ein sehr bunter Haufen Menschen ein, die sich für Musik aus der ganzen Welt begeistern, die so ziemlich alles sein kann. Alles außer kommerzieller Mainstream. Wer die Radio-Sendung Zündfunk auf Bayern 2 kennt: So wie der Zündfunk gemacht ist, so muss man sich das Publikum vorstellen. Ein bisschen Subkultur, ein bisschen experimentell, fast immer nüchtern. Und in diesem Aufgebot an Bands spielen die Landlergschwister den bayerischen Part: traditionell genug, dass es sich eindeutig nach bayerischer Volksmusik anhört, und gleichzeitig lustvoll mit Einflüssen aller Art spielend – von der Neuen Deutschen Welle über Elektro bis zum gepflegten Dixie-Dudeln.
Klangschätze
Manche Stücke komponieren Mitglieder der Geschwistergemeinschaft selbst. Oder sie graben aus irgendwelchen Archiven verborgene Schätze aus und arrangieren sie neu für ihre Besetzung. Schmelz zum Beispiel fand im Valentin-Musäum einen untergegangenen Landler und möbelte ihn für die neue CD Ins Freie wieder auf. Und Sebastian Gröller durfte schon eigene Nummern schreiben, obwohl er noch vergleichsweise frisch dabei ist. Die Biermösl Blosn – drei echte Brüder übrigens – hat den bayerischen Klangschatz einst übers politische Kabarett in intellektuelle Kreise befördert. Die Landlergschwister spielen sich mit ihrer puren Lust an der Musik in Hipster-Herzen.
»Wir machen, was uns Spaß macht. Und das durch und durch basisdemokratisch. Wie halt Musik im besten Fall sein soll«, sagt Alois Schmelz. So schaffen sie es, dass ihrem Auditorium bei Walzern, Schottischen und Zwiefachen wahre Erweckungserlebnisse widerfahren. Womit wieder mal bewiesen wäre, dass viele Menschen gar nicht wissen, wie Volksmusik grooven kann.
Hochoffiziell
Jetzt sind zwei Landlergschwister ganz offiziell für die bayerische Volksmusikpflege zuständig. Das Engagement fing damit an, dass Alois Schmelz im November 2022 mit seiner Frau Sabine ins Wirtshaus ging. Wenn sie zu ihm heimfahren nach Malching, schauen sie immer beim Wirt z’ Graming am Stadtrand von Altötting vorbei. Da setzte sich ein Mitarbeiter des Landesvereins an ihren Tisch und redete ihn an: »Du bist doch der mit dem Flügelhorn von den Landlergschwistern.« – »Ja.« – »Beim Landesverein ist eine Stelle in der Volksmusik frei. Abteilungsleitung. Da sind jetzt Interessenten gesucht.« Das verfing.
Alois Schmelz war Oberstudienrat für Mathematik und Physik an einem städtischen Gymnasium in München. Er wollte zur Hälfte Lehrer bleiben und zur Hälfte für den Landesverein arbeiten. Also suchte er sich einen Partner. Aber er suchte nicht lang. Ein paar Wochen später bei einer Landlergschwister-Probe fragte er den jüngeren Kollegen Sebastian Gröller: »Sag mal, könntst du dir vorstellen, dass wir miteinander arbeiten?« So ging das an. Wie wichtig es Schmelz ist, sich für die Heimatpflege zu engagieren, belegt seine mutige Entscheidung, seinen sicheren Beamtenstatus zu quittieren.
Die neuen Volksmusik-Chefs beim Landesverein teilen sich ihre Stelle. Nebenbei werden die beiden studieren: Gröller hat sich an der Musikhochschule für ein Tuba-Studium qualifiziert, Schmelz hat sich an der Ludwig-Maximilians-Universität für Musikwissenschaft eingeschrieben.
»Eine Brücke zwischen Vergangenheit
und Gegenwart.«
Heimatpfleger
Bei aller Begeisterung für neue und andere Musikrichtungen ist sowohl Gröller als auch Schmelz bewusst, dass sie jetzt für bayerische Volksmusik zuständig sind, wie sie überliefert ist. Dabei verstehen sie sich als Heimatpfleger, die sich der guten alten Landesvereins-Devise Erhalten und gestalten verschrieben haben. »Für mich ist der Landesverein eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart«, sagt Sebastian Gröller, »er hält Traditionen und Bräuche am Leben und vermittelt sie weiter, damit sie auch in einer globalisierten Welt Platz finden.«
Volksmusik erlebte und lernte er von Kind auf von seinem Vater, der jeden Mittwochabend mit seinem Viergesang in der Stubn probte. »Ich saß oft einfach daneben und habe gelauscht. Auch meine beiden älteren Brüder haben schon musiziert, da konnte ich noch nicht mal eine Trompete halten. Mit Zither und Steirischer haben die beiden mich dann begeistert und dann hat’s nicht mehr lang gedauert, bis ich mir ebenfalls ein paar Instrumente aneignen durfte.« Nach der Schule studierte er Trompete und erwarb einen Bachelor-Abschluss. Und zum Trompeten-Zeugnis soll jetzt eben auch das Tuba-Diplom kommen. Mit seinen Brüdern spielt er heute noch – wenn er mal wieder heimkommt ins Zellertal.
Alois Schmelz’ musikalische Anfänge hängen unmittelbar mit dem Gründergeist von vier Malchingern zusammen, die sich im Jahr 1979 einbildeten, dass sie jetzt eine Blaskapelle gründen. Alle verfügbaren Kräfte wurden rekrutiert – auch der zehnjährige Alois, der weder Noten lesen konnte noch einen Ton aus der Trompete brachte. Ein Instrument schenkten sie ihm, der Ansatz kam mit ein bisschen Üben von selbst. Dann platzierten sie so, dass er Blickkontakt zur Kapelle hatte und sie zu ihm – mit dem Rücken zum Auditorium. Und so spielte der Bub bald das ganze Repertoire mit. Ohne Noten. So wie andere singen, so spielte er seine Trompete. Das Notenlesen kam später dazu. Das Komponieren und das Arrangieren auch.
Der Mathe-Lehrer Schmelz blieb nachmittags gern in der Schule. Er wollte den Kindern und Jugendlichen weitergeben, was er selbst in diesem Alter erlebt hatte: die große verbindende Kraft der Musik. Dieses Weitergeben des Feuers – das ist das gemeinsame Ziel der Doppelspitze im zweiten Stock des Gartenhauses an der Ludwigstraße. Dort arbeiten sie sich ein in ihren neuen Wirkungskreis, von Angesicht zu Angesicht. In ihren ersten Interviews ließen sie verlauten, wie wichtig ihnen Nachwuchsarbeit sei. »Wir haben Glück, dass wir da nicht ganz von vorn anfangen müssen«, sagt Sebastian Gröller, »weil sich da beim Landesverein schon immer viel getan hat. Darauf bauen wir auf.«
0 Kommentare