Sound of Ludwig

Ludwig Rainers Karriere begann mit einer Amerikatournee

23. März 2023

Lesezeit: 5 Minute(n)

Vor etwas mehr als zweihundert Jahren, genau am 21. Juli 1821, wurde Ludwig Rainer geboren. Heute bringt man ihn vor allem mit dem berühmten Weihnachtslied Stille Nacht in Verbindung. Das Leben des professionellen Sängers, weitgereisten Unternehmers und visionären Tourismuspioniers hat aber noch vieles mehr zu bieten. Den erstaunlichen Geschichten rund um die Rainer-​Sängergruppen wurde vor allem in Wissenschaftskreisen lange nicht allzu viel Glauben geschenkt. Dazu mag auch eine gewisse Arroganz dem kleinen Mann gegenüber beigetragen haben. Heute lassen sich durch digitale Recherchemethoden viele Überlieferungen verifizieren. Musikwissenschaftlerin Dr. Sandra Hupfauf von der Universität Innsbruck hat sich auf ­Spurensuche begeben.
Text: Sandra Hupfauf

Ein amerikanischer Unternehmer ließ 1839 im Zillertal eine Tiroler Sängergruppe casten und der 18-​jährige Ludwig Rainer, Simon Holaus, Margarethe Sprenger und Helene Rainer wurden unter Vertrag genommen. Der Amerikaner hatte vom Erfolg der ersten Rainer Sängertruppe 1824 in England gelesen, der Ludwigs Mutter Maria angehört hatte, und versprach sich von seiner Idee ein gutes Geschäft. Fast vier Jahre verbrachte Ludwig Rainer in den USA. In dieser Zeit führten ihn Konzertreisen im Norden bis nach Quebec in Kanada und im Süden bis nach New Orleans. Durch Rainers penible Pressearbeit ist die gesamte Route der Reise heute noch in historischen Zeitungen nachvollziehbar.

Auf der Suche nach ihrer eigenen Nationalmusik begeisterte sich die junge amerikanische Nation zu dieser Zeit für alle Arten von ethnischer Musik: Britische Balladen, ungarische oder italienische Lieder und eben auch »Tyrolese Melodies«. Man würde diese Art von Musik im CD-​Geschäft heute wohl unter world music finden (falls man irgendwo ein CD-​Geschäft findet). Die Rainer Family erlangte bald große Popularität. Die Amerikaner schätzten besonders ihren harmonischen mehrstimmigen Gesang – tatsächlich gründeten sich nach diesem Vorbild auch schnell amerikanische Singing Families.
Noch hundert Jahre später war die »berühmte Rainer Family« in den USA noch so präsent, dass Maria Trapp 1942 dort werbewirksam behauptete, sie sei eine direkte Nachfahrin der Tiroler Sänger. Für die Trapp-​Familie war es eine Tatsache: Es war die Tiroler Sängergruppe rund um Ludwig Rainer, die Stille Nacht 1839 in die USA gebracht hatte. Und die Fakten? Darauf kommen wir später zurück.

Ein Tiroler Abend im Salon der britischen Königin

Nach der Rückkehr nach Tirol 1843 heirateten Ludwig Rainer und Margarethe Sprenger. Das häusliche Glück war nicht von Dauer, Margarethe starb im Kindbett. Eine zweite Heirat und ein eigener Gasthof (»Zum Hirschen« in Rattenberg) folgten. Dann wurde Rainer zuerst vom Patriotismus – er kämpfte mit den Rattenberger Schützen 1848 an der Südgrenze des Habsburgerreiches – und gleich darauf wieder vom Reisefieber gepackt. Ludwig Rainer, Simon Holaus und Franziska Margreiter, Veit Rahm und Simon Klier (dieses Ensemble ist durch eine sehr frühe Form der Fotographie dokumentiert) reisten 1851 zur ersten Weltausstellung nach London. Die Tiroler sangen nachweislich zweimal vor der englischen Königin Victoria, die diese Ereignisse in ihrem Tagebuch festhielt. Am Neujahrstag 1852 schrieb die englische Königin, dass Ludwig Rainer eigens ein Lied für die Audienz komponiert hätte, das sehr schön sei und fährt fort (frei auf Deutsch übersetzt): »Wir wünschten uns gegenseitig ein ›Gesegnetes Neues Jahr‹. Es sind gute, einfache, herzliche Leute. Rainer und Margreiter tanzten einen ›Ländler‹ begleitet von Zither und Gitarre, wirklich schön. Wir erfreuten uns am Tanzen, ich hätte noch viel länger zuschauen können.«

Kritik über ein Weihnachtskonzert der Trapp-​Familie 1942 mit Verweis auf »the famous Rainer Family Singers« [Quelle: Brooklyn Eagle, 20. 12. 1942, S. 8 B.]

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Ein Kapitel im Leben Ludwig Rainers bleibt nach wie vor im Dunkeln – jene zehn Jahre, die er in Russland verbrachte. Einige Anekdoten, Fotos und Hinweise lassen Erstaunliches erahnen: Zu seiner pompösen und öffentlichen dritten Hochzeit mit Anna Prantl im Jahr 1865 waren 500 Gäste geladen, alle erschienen in Tracht und beteiligten sich am großen Hochzeitszug durch St. Petersburg. In seiner Rede lud Rainer alle Anwesenden zu sich nach Tirol ein.

Der Achenseehof

Und wenig später eröffnete Ludwig Rainer eine angemessene Bleibe für seine vielen Fans aus dem Ausland. Nicht nur bei seinem Hotel »Achenseehof« war Rainer gern auf dem neuesten Stand, auch was die Programmgestaltung seiner Unterhaltungsabende anging. Bereits für das Jahr 1874 ist ein Schuhplattler im Programm der Rainer Sängergesellschaft belegt . Musik gehörte quasi zur Hotelausstattung und damit hob Rainer sich von den restlichen Hotels der Gegend ab:

»Während im Fürstenhause am Freitag nur Fastenspeisen verabreicht werden und Sonntags das unschuldigste Kartenspiel verwehrt wird, finden bei Rainer ›im süßen Löchl‹, dem Kaffeehause am See-​Ufer, allabendlich Unterhaltungen mit Musik und Tanz statt. An diesen nehmen Wirth und Gäste theil. Während die Familie Rainer durch Zitherspiel und Gesang sich hervorthut, ›zupfen‹ kräftige Männer, die unter Tags als Ruderer oder Bauknechte hart arbeiten, die Harfe oder blasen Mundharmonika, und der ›Schuhplattler‹ oder ›Baierische‹ wechselt mit dem salonmäßigen Walzer, den nicht selten Bauernbursche mit den anwesenden Damen tanzen.« 
Als Ludwig Rainer 1893 starb, gehörten Nationalsänger-Konzerte in der Landeshauptstadt bereits zu den Fixpunkten der Tourismusunterhaltung.

Kulturelles Kapital

Tiroler Sängergesellschaften – stets mit starker weiblicher Beteiligung – schlugen als erste Kapital aus dem volksmusikalischen Allgemeingut Tirols. Sie waren aber auch dafür mitverantwortlich, dass Volksmusik in Tirol bis heute so vital ist. Ludwig Rainer und generell der Erfolg der Tiroler Nationalsänger im Ausland haben dafür gesorgt, dass Volksmusik früh ein fixer Bestandteil des Tourismusimages Tirols wurde. Dies wiederum hat vielen Musikanten bereits im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts Auftritts- und Verdienstmöglichkeiten eröffnet, die dazu beitrugen, die Volksmusiklandschaft abseits vom Familienkreis aktiv und dynamisch zu erhalten. Während in anderen Regionen musikalische Traditionen laufend und unbemerkt von populäreren Musikformen durchmischt und abgelöst wurden, hat in Tirol die touristische Verwertung und nicht zuletzt die Frage rund um echt oder unecht zur ständigen bewussten Auseinandersetzung mit Volksmusik geführt.

Programm zu Konzerten der Tyroler Concert-​Sänger-​Gesellschaft im Hotel Seehof in Pertisau mit Daten zum Hotel bzw. zum Repertoire. Auf der Titelseite ist Hotelbesitzer Ludwig Rainer mit Gewehr vor seinem Etablissement abgebildet. [Quelle: Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum]

»… the famous Rainer Family Singers.«

Und Stille Nacht?

Ach ja! Am 25. November 1839 fand das erste Konzert der Rainer Family in New York statt, in einem der bedeutendsten und modernsten Konzertsäle der Zeit, dem City Hotel direkt am Broadway. In der Nähe steht auch heute noch die Trinity Church und auf deren Friedhof soll die Sängergruppe erstmals auf amerikanischen Boden Stille Nacht gesungen haben. Diese mündliche Überlieferung lässt sich leider durch keine schriftlichen Quellen endgültig verifizieren. Was sich aber belegen lässt, ist, dass die Rainer Family in den Weihnachtstagen 1839 mehrmals in unmittelbarer Nähe zur Trinity Church auftrat.

Tyrolese Singers, handkolorierte Daguerreotypie von Richard Beard erworben von Queen Victoria und Prince Albert im Jahre 1852. Von links: Simon Klier, Ludwig Rainer, Franziska Margreiter, Veit Rahm, Simon Holaus. [Quelle: Royal Collection Trust, Open Source]

Quellen: 

  • Queen Victoria’s Journals, 1. 1. 1852, Princess Beatrice’s copies, Volume 33, Spine-​Page 3, supplied by Royal Archives, c HM Queen Elizabeth II 2012
  • Quelle: 24. 10. 1874, Meraner Zeitung, S. 2.
  • Quelle: Wiener Allgemeine Zeitung, 18. 9. 1883, S. 14.

Literaturhinweise
Sandra Hupfauf: Die Lieder der Geschwister Rainer und »Rainer Family« aus dem Zillertal (1822 –1843). Untersuchungen zur Popularisierung von Tiroler Liedern in Deutschland, England und Amerika (Schriften zur musikalischen Ethnologie 5), Innsbruck 2016.

Sandra Hupfauf: Die Tourneen der Geschwister Rainer und Rainer Family – Rekonstruktion der ersten ›Kunstreisen‹ als Sozialgeschichte eines kulturellen Transfers im frühen 19. Jahrhundert (Dissertation 2017, Universität Innsbruck, Institut für Musikwissenschaft).

Ausflugstipp

Zahlreiche Exponate und Dokumente zur Geschichte der Rainer-­​Familie werdeni m Museum in der Widumspfiste in Fügen präsentiert. www.hmv-​fuegen.at

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