»Unser Nachbar hat Ziegen – zum Glück!«

Majanne Behrens, eine Geschichtenerzählerin und Liedermacherin

16. Februar 2024

Lesezeit: 6 Minute(n)

Text: Roland Pongratz Fotos: Annett Melzer

 

Eher zufällig ist Majanne Behrens auf das Titelbild der vorliegenden »zwiefach« gelangt. Bei der Recherche nach geeignetem Bildmaterial tauchten ihre Ziegenfotos auf. Natürlich machten sie neugierig– wer steckt hinter der Akkordeonistin auf den Fotos. Roland Pongratz hat eine bemerkenswerte Kulturmacherin im hohen Norden entdeckt sich mit ihr unterhalten.

»… es riecht so gut – einfach herrlich!«

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Roland Pongratz: Sie bezeichnen sich als »Geschichtenerzählerin und Liedermacherin für das Leben auf dem Land«. Leben Sie denn auf dem Land?

Majanne Behrens: Ich wurde 1956 in Worpswede geboren. In meiner frühen Kindheit war das Künstlerdorf tatsächlich noch ein Dorf. Ein bisschen wie Bullerbü. Wir hatten ein großes altes Haus, in dem zusätzlich zu uns (meine Eltern, meine Schwester, meine Oma als Grande Madame) zwei Flüchtlingsfamilien untergebracht waren. Wir hatten jedes Jahr ein Schwein, was geschlachtet wurde, Hühner, Schafe, eine Ziege, Gänse und Katzen. Gebürtig kam meine Oma aus dem Teufelsmoor, so gab es viel bäuerliche Verwandtschaft. Schon früh verbrachte ich mit meinen Cousinen und Cousins die Sommer auf dem Hof meines Großonkels im Moor. Das war praktisch für die Eltern, die beide berufstätig waren und hilfreich für den Onkel. Wir lernten damals Melken, halfen bei der Heuernte und der Pflege und Ernte im Bauerngarten.

Später lebte ich in Bremen, gründete mit Freunden ein Theater mit eigenem Haus, ging solo bundesweit auf Tournee mit Kinderliederprogrammen und Kindertheaterstücken, spielte auch im Ensemble für Kinder und Erwachsene. In dieser Zeit begann ich Musik und Lieder für eigene Inszenierungen und im Auftrag für andere Theater zu schreiben.

Als ich mit Jürgen Anfang der Neunziger Jahre eine Familie gründete, war es für uns klar, dass wir mit den Kindern aufs Land ziehen wollten. Wir suchten nach einem Bauernhaus in Alleinlage und fanden einen alten Hof im Landkreis Diepholz in der Nähe von Bremen. Mit unseren vier Kindern betrieben wir eine Hobbylandwirtschaft, züchteten Schafe, hielten Ziegen, Wollschweine, Esel, Pferde. Als die Kinder nach und nach erwachsen wurde und auszogen, suchten Jürgen und ich auch nach einer Veränderung und zogen in das Wendland. Die alten Fachwerkhäuser waren günstig zu erwerben und deswegen nutzen sie viele Hamburger und Berliner zunächst als Ferienhäuser und später, um auf dem Land zu leben.

Jürgen arbeitet als keramischer Bildhauer mit seinem Atelier in Clenze und ich sammle Geschichten, zum Erzählen und zum Singen, bin gelegentlich singende Gästeführerin und trete mit meinen Programmen auf.

Schließlich ist das Wendland nun zu Ihrer Heimat geworden?

Bei unserer Ankunft im Wendland 2016 haben wir zwei verschiedene Wohnprojekte in Hof- und Hausgemeinschaft ausprobiert, die uns nicht sehr beglückten. Ende letzten Jahres sind wir in ein eigenes kleines Holzhaus mit Waldgrundstück gezogen. Mit unseren Kindern hätten wir das nie gemacht, da brauchten wir viel Platz, allein für die Kinder, die eine Scheune als Bandprobenraum nutzen konnten, die gemeinsam mit den Tieren den Stall und die Weiden brauchten und die später schnell mit der Bahn in die City nach Bremen fahren konnten.

Wir empfinden dieses Wohnen, inmitten der Natur, ebenerdig – direkt unter großen Buchen, mit einem freien Blick auf die Wälder, als wohltuendes selbstbestimmtes Leben. Wir haben einen größeren Raum, den wichtigsten Raum überhaupt. Das ist die Küche. Wir heizen und kochen mit der Küchenhexe (Küchenofen). Im Sommer verlagern wir das Leben nach draußen. Dort steht als zusätzlicher Raum unser alter Zirkuswagen. Wenn ich draußen musiziere, gesellen sich die Vögel zu mir und tirilieren um die Wette, ich selbst lausche dem Wind, dem Blätterrascheln, dem sanften Regen oder dem zarten Schneefall … es riecht so gut – einfach herrlich!

Eigene Tiere brauchen wir nicht. Es hat eine Weile gedauert, dass wir gelernt haben, nicht mehr in der Pflicht und der Verantwortung zu unseren Tieren zu stehen. Es war toll mit den Tieren, doch nun genießen wir die neue Freiheit. Unser Nachbar hat Ziegen – zum Glück! Mit denen bin ich schon befreundet und wenn unsere Enkelkinder zu Besuch kommen, gehen wir zu ihm und zu Freunden, die Schafe und Pferde haben.

Sie waren lange mit dem Marktwagen über die Dörfer unterwegs und betrieben den demografischen Handel auf dem Land. Erzählen Sie mal, wie war das?

Wenn ich nach Geschichten suche, die mit den Menschen, ihren Lebensweisen, ihren Erfahrungen und ihren Befindlichkeiten zu tun habe, erfahre ich sehr viel über bäuerliche Landwirtschaft. Dabei wird schnell deutlich, dass sich die Kriterien von Stadtteilkulturarbeit nicht ins Ländliche übertragen lassen. Nicht nur die Lebensbedingungen auf dem Land sind anders, auch die Menschen sind es.

So kam ich auf die Idee in die Rolle einer Tante Emma zu schlüpfen, um Kontakte zu knüpfen. Ich erfand für mich die Person der Tante Emma (Schürze, Kopftuch, Akkordeon), besorgte mir einen umgebauten Verkaufswagen (ehemals Hackfleischmobil) und stellte mich regelmäßig vors Rathaus in Kirchdorf (Lkr. Diepholz) hin. Der Marktwagen bot im Inneren fast 20 Personen Platz. Bei schönem Wetter stellte ich die Stühle raus.

Dass Tante Emma kam, sprach sich schnell herum und schon bald nutzten Frauen, Männer und Kinder die Gelegenheit mit mir ins Gespräch zu kommen. Tante Emma war nicht nur Leitfigur dieser Aktion, sondern Prinzip. Ihre Ware, die Geschichten, die sie sich erzählen ließ, um sie vertont und als Lieder wieder für Kinder und Senioren zurückzugeben. Biografien, Geschehnisse, Wünsche, Proteste, Zeitgeschichte, Alltägliches und Besonderes fanden spielerisch aufmerksame Zuhörer.

Sie betrieben das Kleine Hoftheater aus Ringmar. Was dürfen wir uns darunter vorstellen?

1994 zogen Jürgen und ich in den Landkreis Diepholz. Wir kauften eine alte Hofstelle bei Bassum in Klein Ringmar. Weil der Holzbock im Dachstuhl des Hofes ganze Arbeit geleistet hat, wohnten wir zunächst in einem Zirkuswagen auf der Weide. Um Geld zu verdienen, spielte ich Theater, ansonsten fuhr ich Bauschutt hin und her und tat, was sonst noch so zu tun war (vier Kinder!). In dieser Situation kam jemand aus dem Dorf vorbei und erzählte uns von der Legende vom Ring: Ringmar – ein Dorf mit Legende!

Im Grunde genommen, war das die Geburtsstunde des Hoftheaters. Wir planten ein soziokulturelles Dorftheaterspektakel, mit der Prämisse damit zu beginnen, sobald das Haus für die Familie bewohnbar ist.

Die grundlegende Idee war ländliche Kulturarbeit als Impulsgeber für neue Themen, Inhalte und kreative, kulturelle Möglichkeiten zu schaffen. »Gegen Vereinsamung und Schubladendenken« zu wirken, war genauso unser Slogan wie »Das Gemeinsame im Gegensätzlichen zu finden«, keine Bühnenstücke zu produzieren, sondern viele Anlässe schaffen, damit Menschen ins Gespräch kommen können, die sich sonst nicht begegnen würden. Als wir 1997 mit einer freien Fassung der Konferenz der Tiere mit Kindern mit und ohne Behinderung in die Öffentlichkeit traten, war das der erste kreative Impuls für eine beginnende kulturelle Interaktion und Teilhabe behinderter Menschen. Jürgen und ich erfanden neue Konzepte ländlicher Kulturarbeit und schufen für uns eine gemeinsame Möglichkeit unsere unterschiedlichen Kompetenzen zusammen wirken zu lassen. Wir entwickelten neue Hoftheaterprojekte aus den Ergebnissen vergangener Hoftheaterprojekte. Wir blieben dabei unserer Lebensphilosophie »Der Weg ist das Ziel« treu.

Viele hundert Gäste besuchten unsere Vorstellungen, wir wurden mit Preisen ausgezeichnet und in einem Filmbericht von Radio Bremen über das Projekt hieß es: »Ein Hauch von Fellini weht über das Land!«

Preise und Anerkennung gab es, aber kein gesichertes Grundeinkommen, so beendete ich diese Art der Kulturarbeit, wir trennten uns von den Tieren und zu guter Letzt von unserem Hof, wagten nochmal einen Neuanfang und zogen ins Wendland.

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Inzwischen haben Sie sich von Ihren großen Projekten gelöst und schreiben vorwiegend Geschichten und Lieder. Erzählen Sie uns davon.

Provinzballaden schreib ich, seitdem ich Lieder schreibe. Mit diesem Programm und wechselnden Liedern trete ich auch bei politischen Anlässen auf. Zum Beispiel als 2011 der Milchbauernprotest bundesweit mit Motivwagen zu einer Sternfahrt nach Berlin unterwegs war, fuhr ich beim ostfriesischen Treck aus der Krummhörn mit, die meinen ÖKUH Blues zu ihrer persönliche Hymne ernannten.

Als vor einigen Jahren die Kartoffelsorte Linda vom Markt verband werden sollte, schrieb ich Liebeslieder (Kartoffeljazz) für Kartoffeln und singe seitdem Rezepte über Kartoffelsalate als Küchenblues. Provinzballaden sind Liebeslieder, an Kühe, Schweine, kleine bäuerliche Landwirtschaften, an die Natur, wie den Sommerabendwind, die Heuwiesen, aber auch über das Leben auf dem Land mit seinen Tücken und Besonderheiten.

Mein erstes musikalisches Märchen, welches im Wendland entstand, heißt Die wendländischen Vier. Auf die Idee brachte mich ein klappender Storch auf dem Dach unseres Hauses, mit dem ich mich leidenschaftlich mit Kastagnetten unterhielt. Ernsthaft. Sehr zum Leid unseres Hundes, der vor Eifersucht zu heulen begann. Entstanden ist ein großer komödiantischer Spaß, wunderbare Lieder und ein ernsthaftes, leidenschaftliches Plädoyer für fantasievolles Engagement auf dem Land.

Letzte Frage: Gibt es ein Lieblingstier in Ihrem Leben?

Es gibt wenige Tiere, die ich nicht leiden kann. Bauernhoftiere haben alle ihre Eigenart und Charaktere. Wie wir Menschen auch. Ländliche Geschichten lassen sich prima mit Hühnern, Schweinen, Kühen, Schafen und Fledermäusen erzählen. Mein Lieblingstier ist allerdings tatsächlich die Ziege, so neugierig, genusssüchtig, frech und vorlaut. Ich erzähle mehr über die Ziege, als dass ich sie selbst besinge. Es gibt allerdings den Ziegenrohmilchkäse Blues!

Vielen Dank für die tollen Fotos und das nette Gespräch!

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