Musizieren vom Tablet

Erfahrungsberichte über das digitale Notenlesen

29. April 2024

Lesezeit: 5 Minute(n)

Text: Petra Böhm

Für Smartphones und Tablets gibt es jede Menge Musik-Apps. Mit den richtigen Anwendungen lässt sich damit sogar richtig musizieren. Darum soll es aber in diesem Beitrag nicht gehen. Das Tablet steht trotzdem im Mittelpunkt und zwar als Gerät, das lose Notenblätter genauso ersetzen kann, wie unzuverlässige Umblätterer. Mit den richtigen Apps lassen sich Stapel von Notenbüchern und -zetteln scannen, im Tablet-Computer zu archivieren und dank ausgeklügelter Technik auf dem Notenständer wieder hervorholen. Mich hat interessiert, welche Erfahrungen Musiker in meinem Umfeld gesammelt haben, die das Tablet für diese Zwecke schon einige Zeit im Einsatz haben.

Auf der Orgelbank

Mit einem Augenzwinkern schickte mir unser Kirchenmusiker Thomas Scherbel seinen Bericht über das Orgelspielen vom Tablet: »Ich spiele seit beinahe 30 Jahren Orgelkonzerte und immer ist die Frage des Umblätterns während des Spiels ein großes Problem gewesen. Denn längst nicht immer ist eine geeignete Person verfügbar, die ausreichende Notenkenntnisse hat, um pünktlich umzublättern. Diese Probleme sind seit dem Jahr 2023 für mich vorbei, weil ich seitdem Konzerte ausschließlich vom Tablet spiele. Das IPad pro arbeitet mit einem Notenleseprogramm namens ForScore.

Das wirklich besondere dabei ist, dass dieses System auch eine Gesichtserkennung hat, die es erlaubt, dass die Seiten absolut präzise umgeblättert werden. Man hat verschiedene Möglichkeiten wie ein deutliches Zwinkern rechts oder auch eine deutliche Kopfdrehung. Zwinkert man links, blättert das Gerät zurück, was auch manchmal von Nöten ist.

Der zweite große Vorteil dieses Systems ist es, dass man immer alle seine Noten dabei hat. Man muss auch nicht mehr suchen, da die Noten perfekt nach Namen und Komponisten katalogisiert sind. Zuletzt sind die Noten auch immer perfekt beleuchtet, man ist vollkommen unabhängig von jeglicher Raumbeleuchtung. Ich kann das Spielen vom Tablet sehr empfehlen, die Technik hat mich noch nie im Stich gelassen.«

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Auch im berühmten Herkulessaal in München orgelte Thomas Scherbel vom Tablet.

Auf der Konzertbühne und im Bierzelt

Unter dem Motto Tuba trifft Tablet konnte ich auch einige Blasmusikfreunde befragen. In der Regel sind die Konzertmappen der Blasmusikkapellen dick gefüllt, so dass es immer zu stressigen Situationen bei Auftritten kommt. Das neue Set muss rausgesucht, das alte zurück sortiert werden. Mittlerweile spielen bei uns in der Würmtaler Blasmusik viele gerade aus dem tiefen Register von einem Tablet. Einmal gescannte Noten können im Register geteilt werden und auch das Tragen der schwere Notenmappen entfällt. Einen Bericht aus der Praxis schickte mir unsere Tuba Spielerin Sabine Januschko:

»Ich habe die Entwicklung mit digitalen Noten zu musizieren schon lange beobachtet und mich mehrfach erkundigt, wie es am besten funktioniert. Im Herbst 2022 habe ich mir das Programm MobileSheet gekauft und mit meinem HP Convertible Laptop im Blasorchester gespielt. Ich wollte so ausprobieren, ob die Digitalisierung der Noten praktisch ist.

Nach vier Monaten habe ich mich entschlossen, mir doch ein Tablet zu kaufen, da der Laptop doch sehr schwer und groß ist. Meine Wahl fiel auf das HP Surface 2. Dabei war für mich wichtig, dass DIN A4 Noten auch so groß dargestellt werden. Zum Umblättern habe ich mir einen PageFlip Firefly MIDI-Controler gekauft. Damit kann ich mit dem Fuß die Seiten umblättern. Bis vor kurzem habe ich das Tablet einfach auf den Notenständer gestellt. Inzwischen habe ich mir auch einen Halter zugelegt, damit es nicht mehr runterfallen kann, wenn jemand dagegen stößt.

Ich habe in Mobile Sheet für jede Gruppe/Orchester bei der ich spiele eine Sammlung angelegt, so dass ich die entsprechenden Noten schnell finden kann. Für Auftritte mache ich mir jeweils eine Setlist, so dass ich nach jedem Stück nur umblättern muss. Der Akku reicht bei mir für ca. 5 Stunden und die Ladezeit beträgt dann ca. 2 Stunden. Die einzelnen Noten habe ich mir eingescannt und als pdf-Datei abgespeichert. Mit einem Surface-Pen kann ich jederzeit Eintragungen in die Noten machen oder wieder löschen. Ich bin damit sehr zufrieden und bereue den Umstieg von der dicken Notenmappe auf das Tablet auf keinen Fall.«

Lagerfeuergesänge vom Tablet

Mein Kollege, Alexander Guertzen, Erzieher und Erlebnispädagoge, verwendet auf seinem Samsung Galaxy Tab 57 mit einem 12,4 Zoll Bildschirm die App Ultimate Guitar Tabs. Diese App bietet vor allem viele Möglichkeiten Lieder zu suchen und herunterzuladen. Einmal markierte Lieder lassen sich auch im offline Modus benutzen. Zusätzlich gibt es eine Autoscroll-Funktion welche den Liedtext weiter transportiert, so dass ein Abspielen von mehreren Strophen gewährleistet ist. Auch eigene Eintragungen in die Noten sind mit einem speziellen Stift möglich. Durch die Beleuchtung ist ein unkompliziertes Gestalten von Lagerfeuergesängen möglich. Ein großer Vorteil ist auch, dass man sein Repertoire individuell zusammenstellen kann.

Einen Haken hat die Sache

Und auch unser Fagottist Stefan Holz hat sich zu Wort gemeldet: »Seit etwa zwei Jahren nutze ich mein IPad als Notenheft und ersetze damit die große Papiermappe der Würmtaler Blasmusik. Meine Erfahrungen sind durchweg positiv. Begonnen habe ich mit dem IPad, weil es bei einigen Stücken nur Noten im 2. Bass gab, was mir für das Fagott tendenziell zu tief notiert ist. Ich suchte eine Lösung, bei der ich selbst transponieren kann und das schnell und einfach. Erste Versuche mit entsprechenden Programmen wie Sibelius verliefen wenig erfolgreich, es war mir schlicht zu aufwändig, die Noten vollständig mit Taktzahlen, Spielanweisungen usw. abzuschreiben. Außerdem unterschied sich das Ergebnis sehr deutlich von der Optik des Originals.

Beruflich nutzte ich die App GoodNotes, ein einfaches Schreib- und Zeichenprogramm. Das ist für mich bis heute die perfekte Lösung. Mit diesem Programm das Original fotografieren, Anmerkungen hineinschreiben wie mit einem Stift (und das mehrfarbig), radierbar, mit Leuchtstift markierbar. Transponieren gelingt leicht von Hand, eine andere Schriftfarbe erlaubt das einfache Lesen, auch wenn das Original im Hintergrund sichtbar bleibt.

Auf meinem IPad habe ich mittlerweile alle regelmäßig gespielten Noten. Gesammelt habe ich sie Stück für Stück in den Proben, also nicht systematisch daheim. Das geht mit etwas Übung sehr schnell und ausreichend sauber. Selbst transponieren lässt sich in den Spielpausen, wenn andere Instrumente die Aufmerksamkeit des Dirigenten erfordern. Die Noten sind superschnell gefunden, das ist viel einfacher als Blättern und suchen im Papierstapel.

Das IPad hat einen weiteren Vorteil: Es ist keine Pultleuchte mehr erforderlich. Im Laufe der Zeit kam ein IPad-Notenständer hinzu und ein Fuß-Umblätterer. Der iPad-Notenständer hat den Vorteil, dass das iPad sicher gehalten ist und im Ständer um 90 ° gedreht werden kann, so kann Hoch- und Querformat leicht eingestellt werden. Er hat den Nachteil, dass bei Auftritten kein Behang dran passt. Die Batterieladung hält auch sehr lange Auftritte aus, bei Proben reicht auch ein 30 % geladenes iPad locker aus. Ich habe keine Not-Powerbank dabei und hatte bislang nie den Fall, dass das iPad leer gewesen wäre oder die Ladung nicht ausgereicht hätte.

Kommen wir abschließend zu den Nachteilen. Da fällt mir nur einer ein: die Diebstahlgefahr bei Auftritten. Es ging mir schon mehrfach so, dass bei Auftritten mit Marsch-Elementen das IPad am Pult zurückblieb und ich sehr froh war, es nach Rückkehr wieder vorzufinden. Eine richtig gute Lösung habe ich dafür noch nicht gefunden. Ich werde mir wohl einen sehr kleinen und trachttauglichen Rucksack zulegen.«

Alexander Guertzen nutzt das Tablet als Liederbuch.

Persönliches Fazit

Ich bedanke mich bei meinen Freunden und Musikerkollegen für ihre vielfältigen Berichte, die sehr eindrucksvoll die verschiedenen Einsatzmöglichkeiten des digitalen Notenlesens mit ihren vielen positiven Aspekten aber auch Schwierigkeiten darstellen. Da ich ja wohl auf die Unterstützung der bereits vom Tablet spielenden Mitglieder rechnen kann, werde ich mir jetzt auch die Umstellung auf digitale Noten für die Blaskapelle vornehmen.

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Aufmacher
Die Brüsseler Philharmoniker waren 2012 weltweit das erste Orchester, das sich der Tablet-​Technologie bediente.

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