Der Zitherspieler Georg Glasl und die Performerin Ruth Geiersberger folgen in ihrem Bühnenprogramm NILfahrt – Mysterien einer Zitherpartie den Spuren von Herzog Max in Ägypten.
Text: Sabine Reithmaier Fotos: Georg Glasl, Sabine Reithmaier
Herzog Max in Bayern (1808–1888) startete im Januar 1838 zu seiner Orientreise. Keine vier Wochen nach der Geburt seiner Tochter Sisi, der späteren Kaiserin von Österreich, reiste er über Triest, Athen und Korfu nach Alexandria. Dort bestieg er eine Nilbarke des ägyptischen Gouverneurs Mehmed Ali Pascha und reiste zwei Monate lang den Fluss hinauf zum zweiten Nilkatarakt. Immer mit dabei: Der Zithervirtuose Johann Petzmayer. Gemeinsam musizierte der Herzog mit ihm auf dem Nil, in den Tempelruinen von Luxor und sogar am Fuße der Pyramiden.
186 Jahre später sind wir, die Münchner Performance-Künstlerin Ruth Geiersberger, der Kochler Zitherspieler Georg Glasl und ich als Autorin, dieser Grand Tour gefolgt. Herzog Max’ 1839 erschienenes Buch Wanderung nach dem Orient im Jahre 1838 im Gepäck, spürten wir mit Zug und Schiff, Taxis und Pferdedroschken seinen Stationen in Ägypten nach. Wie der Wittelsbacher erkundeten wir Kairo, Luxor und Assuan, besuchten dieselben Moscheen und Märkte, mit offenen Ohren für neue Klänge und dem Ziel, ungewöhnliche akustische Kombinationen zu entdecken. Wir fanden Unterschiede, aber auch verblüffende Parallelen zur historischen Reise im Jahr 1838.
Isar, Donau, Nil …
Den Gedanken, sich mit der Orientreise des Herzogs zu beschäftigen, hatte Georg Glasl schon länger. Bereits 2022 lud er zu einer ersten NilFahrt ein. Sie fand allerdings auf der Donau während der Europäischen Wochen in Passau statt. Deren Intendant Carsten Gerhard hatte anlässlich des 70jährigen Bestehen des Musikfestivals für ein ganztägiges, grenzüberschreitendes Wassermusikfest eine Siebnerin gechartert. Mit diesem Nachbau eines Handelsschiffs schipperten Orchester und Publikum zu den Klängen von Händels Wassermusik flussabwärts, wie zu Zeiten von Händels Auftraggeber, König Georg I. von Großbritannien. Doch da Gerhard unser Projekt gut gefiel, stellte er das Schiff am Vortag für eine Nilfahrt von Vilshofen bis Passau zur Verfügung, platzierte sogar riesige Banner mit Pyramiden und Kamelen am Ufer.
Die Musik-Sprache-Collage, in der wir Texte aus dem Reisebericht des Herzogs mit Musik von Max und Petzmayer verwoben, kam gut an. Uns hatten die Schilderungen des Herzogs so neugierig gemacht, dass wir beschlossen, ebenfalls nach Ägypten zu fahren und seine Spuren zu verfolgen.
Im Herbst 2024 war es soweit. Wir flogen von München nach Kairo, landeten in einem Land mit schwieriger Wirtschaftslage, autoritär geführt von Abdel Fattah al-Sisi, einem ehemaligen General, der seit 2013 regiert. Als Herzog Max 1838 den ägyptischen Boden betrat, war das Land eine osmanische Provinz, geleitet vom bereits erwähnten Mehmed Ali Pascha, der heute als Begründer des modernen Ägypten gilt. Max bezeichnet ihn in seinen Aufzeichnungen als »Vizekönig«.
Aufblühender Tourismus
Orientreisen gehörten damals fast zum Bildungsprogramm europäischer Aristokraten. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts nahm die Zahl der Fernreisenden stetig zu, parallel dazu verfestigten sich die stereotypen, oft romantisierenden Bilder vom Orient, die uns heute noch prägen. Bereits 1869 offerierte der Engländer Thomas Cook mit dem Chartern zweier Nildampfer die ersten organisierten Pauschalreisen nach Ägypten und leitete damit einen beispiellosen Run auf das Land ein. Längst zählt der Tourismus neben den Einnahmen aus dem Suezkanal zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen des Landes.
Freilich erwähnt bereits Herzog Max, dass die Pyramiden und die Sphinx in Gizeh»fast täglich« von Reisenden heimgesucht wurden, »so dass es im Plane ist, daselbst ein kleines Gasthaus auf europäische Art zu errichten, was sich ohne Zweifel gut rentieren wird.« Bei einem Gasthaus ist es nicht geblieben. Inzwischen verfügt Ägypten nach offiziellen Angaben über mehr als 1.200 Hotels mit rund 210.000 Zimmern, eine Zahl, die sich verdreifachen soll. Das wünscht sich jedenfalls der Tourismusminister, der hofft, mittelfristig 30 Millionen Urlauber begrüßen zu dürfen. Zum Vergleich: 2023 wurde das Land von 14,9 Millionen ausländischen Gästen besucht.
So gesehen war es zu Zeiten des Herzogs deutlich ruhiger. Der 29jährige Max verfügte als Alleinerbe seines reichen Großvaters Wilhelm über genügend Geld, um frei von Zwängen privatisieren zu können. Für die Staatsgeschäfte war er als Mitglied der nicht regierenden herzoglichen Wittelsbacher Nebenlinie Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld-Gelnhausen zu unbedeutend. So reiste er nicht im diplomatischen Auftrag seines Schwagers König Ludwig I. nach Ägypten, sondern »im strengsten Incognito« als Graf von Banz.
Zithermaxl on tour
Zwei Jahre vor seiner Orientreise hatte er die Zither als Instrument für sich entdeckt, als er den berühmten Zithervirtuosen Johann Petzmayer (1803–1884) bei einem Konzert in Bamberg erlebte. Der Herzog beschloss, das Instrument zu lernen, verpflichtete Petzmayer als Lehrer und kaufte sich beim Münchner Zitherbauer Ignaz Simon eine Helmzither in Salzburger Form. Seine Leidenschaft für das Instrument brachte ihm den Beinamen Zithermaxl ein. Angeblich kramte er in späteren Jahren in Dorfwirtschaften gern die Zither hervor, um aufzuspielen. Er komponierte Ländler, Walzer, Polka, Quadrillen, Lieder, Mazurkas, widmete sich in Zusammenarbeit mit seinem Freund Franz von Kobell der Pflege der Volksmusik, gab 1846 eine Sammlung Oberbayerischer Volkslieder mit ihren Singweisen heraus. Aber all das – auch die Ernennung Petzmayers zum Kammervirtuosen – fand erst nach seiner Orientreise statt.
Fremde Länder waren dem reiselustigen Herzog nicht unbekannt. Er hatte mehrmals Frankreich, England, Belgien besucht, dreimal die Schweiz, Italien und Sizilien durchwandert. Jetzt also der Orient, eine exotische Traumwelt, die er unbedingt möglichst authentisch erleben wollte. Dabei dürfte er die Gesänge der Muezzine, die eindeutig zur klanglichen Landschaft Ägyptens gehören, schon genauso gehört haben wie wir. Georg Glasl hat diese Klänge in vielen Aufnahmen während der Reise festgehalten. Hörbar gemacht hat er auch den Verkehrslärm der 22 Millionen-Menschen-Stadt Kairo, die Angebote der Basarhändler oder die Rufe der Lotsen an den Nilschleusen, die es zu Maxens Zeiten noch nicht gab.
Pyramidenkletterer und -zitherer
Was den Herzog und uns eindeutig gleichermaßen faszinierte, ist die großartige Kunst der Pharaonen. Er schwärmt in seinem Bericht seitenlang von den Tempeln, Reliefs und Statuen. Dieser Begeisterung können wir uns nur anschließen. Im Gegensatz zu uns durfte Herzog Max die Pyramiden von Gizeh noch außen erklettern und nächtens ganz allein in den Tempelanlagen von Karnak über die Vergänglichkeit allen Irdischens philosophieren. Wir spürten an diesen Orten eher die Auswirkungen des Übertourismus, hörten das lautstarke Stimmengewirr unterschiedlichster Sprachen, lauschten dem Raumklang in überfüllten Gebäuden. Verwoben mit aktuellen Zitherklängen spiegeln sie in der Aufführung unsere Erfahrung im Durchwandern der antiken Stätten wider.
Die vielleicht wichtigste Parallele des herzöglichen Besuchs und unserer Reise: die nicht unkritische Anteilnahme, mit der der Herzog, aber auch wir das Land beobachteten. In einer der eindrücklichsten Szenen schildert der Herzog den Besuch eines Sklavenmarkts, der ihn entsetzt und anwidert. »Es ist empörend, Menschen gleich dem Vieh verkauft zu sehen«, schreibt er, geprägt von seiner Erziehung im Königlichen Erziehungsinstitut Hollandeum. Dessen Leiter, der Geistliche Benedict von Holland, hatte sein Institut nach klaren Prinzipien geführt, machte bei der Aufnahme der Zöglinge »keinen Unterschied des Standes, der Geburt und der Confession.«
Natürlich haben wir dergleichen nicht erlebt. Aber die Grundrechtseinschränkungen, die in einer Militärdiktatur üblich sind, konnten wir beobachten. »No music allowed«, hieß es überall, wo Georg Glasl versuchte, öffentlich Zither zu spielen. Das Zither-Spiel am Fuße der Pyramiden, von dem Hyacinth Holland, ein Freund des Herzogs, berichtet, scheiterte an den Sicherheitsvorkehrungen des Regimes. Auch an anderen Orten oder Plätzen war es nicht möglich, mit dem Instrument die Security Checks zu überwinden. Musik könnte schließlich dazu führen, dass Menschen stehenbleiben und sich versammeln. Und das ist in Ägypten momentan generell unerwünscht. Immerhin gelang es Ruth Geiersberger, einen Jodler in einer Moschee zu singen. Ein ganz ungewöhnlicher Moment unserer Reise, der in der Aufführung mit den melismatisch verschnörkelten Rufen des Muezzins verschmilzt.
In einer anderen Szene versucht die Performerin mit einer Spiegelscherbe Licht einzufangen. Was wie ein stilisiertes Spiel wirkt, haben wir mehrmals in den Gräbern der Adligen in West Theben erlebt: Die Wächter beleuchten mit diesen Lichtflecken die wunderbaren Fresken im Inneren der Grabkammern.
Übrigens: Der Gleichheitsgrundsatz mag den Herzog zwar geprägt haben. Auf seine Privilegien verzichtete er deshalb nicht. Kairo erforschte er vom Rücken eines Pferdes aus. Dass die Einheimischen von auf Esel reitenden Aufsehern für ihn aus dem Weg getrieben wurden, störte ihn nicht.
Andenken, Eindrücke, Klänge
Von der Reise brachte er viele Souvenirs mit: Vögel und anderes Getier, Holzpuppen, Masken, Säbel, sogar eine Mumie sowie Mumienschädel – zu besichtigen ist diese Sammlung heute im Museum Kloster Banz. Unsere Mitbringsel – Eindrücke, Klänge, Geschichten – mussten in den Wochen nach der Rückkehr erst verarbeitet werden. Es dauerte, bis die Kombination aus Sprache, vor Ort aufgenommenen Sounds und der Musik – ob jener von Johann Petzmayer oder der neu komponierten von Georg Glasl – so durchdacht funktionierte, wie wir uns das vorstellten.
Den Schilderungen von Max setzen wir auf der Textebene eigene Erfahrungen und Erlebnisse entgegen, wechseln schnell zwischen den Worten des Herzogs und den aktuellen Reise-Impressionen. Die Kompositionen von Herzog und Petzmayer, darunter der legendäre und sehr virtuose Nilfahrtwalzer, spiegeln sich im aktuellen Sound von Ägypten, den musikalisch umgesetzten Field Recordingsvon Georg Glasl. Und wenn das Publikum anfängt, Märchenbilder vor dem inneren Auge zu sehen, holt es Ruth Geiersberger mit einer unerwarteten Wendung wieder in die Realität zurück.
»In mehr als einem Moment verschwimmen dabei die Grenzen. Ist der Satz nun aus dem 19. Jahrhundert oder vor vier Wochen geschrieben worden? Diese Unschärfe macht den Reiz der Nilfahrt aus«, urteilte die Süddeutsche Zeitung in ihrer Besprechung der Uraufführung.
Das Publikum reagiert positiv, oft sogar begeistert auf das musikalisch-literarische Spiel. Ein großes Kopfkino, das sie auf die Reise mitnimmt und vielleicht eigene Erfahrungen wachwerden lässt. Vermutlich bleiben daher nicht nur uns, sondern auch den Zuhörern die Mysterien dieser Nilreise lang im Gedächtnis.
0 Kommentare