Einfach lebendig

Einblicke in ein steirisches Volksmusik-Vermittlungsprojekt für Kindergarten- und Volksschulkinder

Steirisches Volksliedwerk

Steirisches Volksliedwerk, Elisabeth Steinberger, +43 316 908635,

29. August 2024

Lesezeit: 6 Minute(n)

Text: Florian Wimmer  Fotos: Ulrike Rauch, Anna Maria Gutschi

»Ich bin die Sabine und heute habe ich mich besonders angezogen für euch. Kennts ihr diese Kleidung?« Dieser Einstieg ist für Sabine Schlick, die im Dirndl vor einer 20-köpfigen Kindergartengruppe steht, bereits Routine. Ebenso die großen Augen der Kinder, von denen viele noch kaum Berührungen mit steirischer Volkskultur gemacht haben. »Steirerkleid«, lautet die erste Antwort der Kinder. Im spielerischen Gespräch arbeitet sich die Gruppe dann bis zum »Dirndl« vor. »Und jetzt hab ich eine besondere Begrüßung für euch«, fährt die Pädagogin fort, »aber ihr dürfts euch nicht schrecken.« Die Augen der jungen Zuseher werden noch größer – sogleich erschallt stimmstark der erste Jodler von Sabines Lippen. Auf die anfängliche Überraschung folgt schnell Gelächter. »Und dann ist der Bann eigentlich schon gebrochen, weil die Kinder als Echo gleich das nachjodeln, was ich vorjodle.« Und schon sind wir mittendrin in der Einfach lebendig-Vermittlungsarbeit, die laut Sabine Schlick deshalb so gut funktioniert, weil man nicht »groß reden muss«, sondern »einfach tut«.

»Keine Vollblutmusikantin«

Sich selbst bezeichnet die gebürtige Oberwölzerin nicht als »Vollblutmusikantin«. In ihrer Familie wurde zwar immer gerne gesungen und auch der Weg zum Akkordeon war familiär »geebnet«. Allerdings spielte sie nicht mit besonders großer Begeisterung: »Das war Ende der 1970er-Jahre, da war steirisch spielen total verpönt.« Den Weg zur Volksmusik fand sie erst später durch das Chorsingen. Nach der Matura in Murau absolvierte sie in Graz das Studium zur Sonderpädagogin und war als Integrationslehrerin in einer Hauptschule tätig. Parallel dazu sang sie in Chören, in denen das Volkslied eine »große Stellung« einnahm. Weil man als integrative Sonderpädagogin oft nicht als »echte Lehrerin« angesehen wird und sie sich zusätzlich einbringen wollte, begann sie auch Musik zu unterrichten und übernahm die Leitung des Schulchors. Obwohl ihr gerade die musikalische Arbeit mit den Schülern großen Spaß machte, entschied sie sich 2007 ihr Berufsleben in neue Bahnen zu lenken. Auf der Suche nach freiberuflichen Möglichkeiten absolvierte sie einen theaterpädagogischen Lehrgang, eine Ausbildung zur Märchenerzählerin und die Einschulung zur Einfach lebendig-Referentin des Steirischen Volksliedwerks – seitdem ist sie in all diesen Bereichen selbstständig tätig.

»Traditionsvermittlung mit
allem, was an Lebensenergie und Freude drinnen steckt – schon seit hunderten von Jahren.«

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Die ersten Termine im Projekt Einfach lebendig absolvierte sie noch mit dem Akkordeon, sie merkte aber schnell, dass ihr das »nicht ganz passte« und begann Steirische Harmonika zu lernen. Sie bemühte sich »im Nu« Stücke zu lernen, die sie gleich direkt in der Vermittlung anwenden konnte. Seitdem ist ihre Harmonika feste Begleiterin bei allen Schul- und Kindergartenbesuchen: »Das taugt mir irrsinnig, weil sie bei den Kindern immer super ankommt.«

Von der klassischen Geigerin zur Musikantin

Wie Sabine Schlick konnte auch Anna Maria Gutschi in ihrer Kindheit und Jugend vorerst nicht so viel mit Volksmusik anfangen. Sie wuchs in St. Anna ob Schwanberg auf, wo sie durch ihr traditionsverbundenes Elternhaus weststeirisches Brauchtum genauso erfahren durfte, wie die wertvolle Gemeinschaft, Proben und Feste des dortigen Kirchenchores, der neben Kirchenliedern viele Volkslieder und Jodler sang. Leider minderte die verstimmte Kirchenorgel der kleinen Bergkirche den Genuss beträchtlich: »Für mich als Kind ergab das starkes körperliches Unbehagen.«

Ihre musikalische Leidenschaft galt immer schon der Geige, die sie ab der zweiten Klasse Volksschule erlernen durfte – wie in den 1980er-Jahren üblich »rein klassisch nach Noten« und ganz ohne Volksmusik. Als sie nach Graz kam, um die Ausbildung zur Kindergartenpädagogin zu absolvieren, erkannte ihr Klassenvorstand ihr musikalisches Talent und »schickte« sie ins Musikgymnasium, wo »das Ganze dann seinen Lauf genommen hat«. Über andere Schüler (u. a. Hermann und Resi Härtel, Christian Bakanic) entdeckte sie die experimentelle, spielerische, für sie »spannende« Seite der Volksmusik, die sie nicht mehr losließ. Im Geigen-Konzertfachstudium wählte sie Volksmusik dann bereits als Schwerpunktfach – eine Kombination die damals »ziemlich einmalig« war, da die meisten »Klassiker« damals Volksmusik noch sehr geringschätzig betrachteten.

An ihren Anfang als Volksmusikantin, als sie von einem späteren Studienkollegen gefragt wurde, ob sie in seiner Volksmusikgruppe mitspielen wollte, erinnert sie sich noch lebhaft: »Dann stehst du da ohne Noten und spielst keinen einzigen Ton, weil du keine Ahnung hast was du spielen sollst. Und die anderen Musikanten können keine einzige Note lesen aber spielen alles und überall gleich dazu. Das war mir so peinlich, hat mich aber auch zugleich fasziniert.« Die Faszination siegte und so begann sie, sich intensiv mit Volksmusik zu beschäftigen, deren »freierer« Zugang sie bis heute begeistert. Zusammenspielen und Zusammenspüren sind für sie dabei die wichtigsten Aspekte – im besten Fall verstehe man sich ohne Worte. Schließlich traf sie eine wichtige Entscheidung, als sie nach zweijährigem Aufenthalt in Bayern das Probespiel für ein renommiertes Orchester absagte und in die Steiermark zurückkehrte, um mehrere Jahre als freischaffende Musikerin (eigentlich Musikantin) zu leben. Als Musikvermittlerin bei Einfach lebendig ist sie seit 2015 tätig. Der von ihren »Lehrmeistern« Gina Zenz und Herbert Krienzer geprägte Vermittlungszugang über die spielerische Freude am gemeinsamen Tun – »ganz ohne Missionierung und Ästhetikpolizei« (Zitat aus der aktuellen Projektbeschreibung) – kommt ihrem eigenen Zugang zu Volksmusik sehr entgegen.

2017 erfuhr sie allerdings einen unerwarteten Schicksalsschlag, als sie die Diagnose »fokale Dystonie« erhielt und deshalb »mehr oder weniger« die Geige an den Nagel hängen musste. »Das ist eine neurologische Verfilzung im Hirn, wenn man als perfektionistischer Mensch einfach zu viel tut«, erklärt sie die auch als »Musikerkrampf« bezeichnete Erkrankung, bei der es durch übermäßiges Training zu einem Kontrollverlust der Fingerfeinmotorik kommt. Nach einer längeren Pause hat sie nun damit begonnen, »neue Wege« zur Musik zu finden: »Das Ganze verlagert sich jetzt mehr aufs Unterrichten, aufs Singen und elementare Spiel auf anderen Instrumenten.« Die Musikvermittlung für Kinder nimmt dabei eine besondere Rolle ein, nicht zuletzt, weil sie vor einigen Jahren selbst Mutter geworden ist.

Zu den Musikpädagoginnen: Anna Maria Gutschi, Musikerin, Musikpädagogin und Yogatrainerin, lebt mit ihrer Tochter in der Schilchermetropole Stainz in der Weststeiermark. Sabine Schlick, Erzählerin, Humoristin, Theaterfrau und Musikpädagogin, lebt seit kurzem wieder in Oberwölz in der Steiermark. frau-sabine.at

Foto: Ulrike Rauch

Einfach tun

Als Musikvermittlerinnen im Projekt Einfach lebendig nehmen Anna Maria und Sabine zwar gewisse Unterschiede zwischen Land und Stadt wahr – am Land sind Volkskultur und Volksmusik oft bekannter, der Umgang damit sei oft »natürlicher« – allerdings wird das Programm von allen Kindern gerne angenommen, ganz unabhängig von ihrer Herkunft. »Tanzen, Jodeln, Klatschspiele – das ist interkulturell, das versteht man auch ohne steirischen Dialekt sprechen zu können«, so Anna Maria. Sabine ergänzt: »Wenn man hört: ›Das ist so verbindend und dann sind wir alle eins …‹, dann dreht man innerlich oft ein bisschen die Augen über … Aber es stimmt! Es ist mitreißend und es ist niederschwellig. Sie merken gar nicht, dass sie mit Begeisterung angesteckt werden.« Dass das auch in der heutigen hochdigitalisierten Zeit – in der Kinder es oft gewohnt sind, multimedial »berieselt« zu werden und die Melodien ihrer Lieblingsserien oft besser kennen als jedes Kinderlied – analog und ohne großen Technik-Einsatz funktioniert, begeistert die Referentinnen immer wieder aufs Neue. »Man kann sie nach wie vor mit dem Einfachsten, Ursprünglichsten begeistern. Man braucht nicht irgendwelche Youtube-Einspielungen oder Events, sondern das geht im Sesselkreis in der Klasse. Dass das noch immer funktioniert, fasziniert mich«, so Sabine. Anna Maria ergänzt, dass sie zwar in den letzten Jahren bemerkt, dass Kinder durch die ständige Medienverfügbarkeit »oft nicht mehr so gewohnt sind, selbst etwas zu produzieren.« Allerdings kämen sie durch das direkte Mitmachprogramm vor lauter Tun »gar nicht wirklich zum Nachdenken« und »irgendwann spüren sie es dann, dass es ihnen doch taugt, dass es ihnen guttut.« Viel besser lässt sich das Projekt Einfach lebendig eigentlich nicht beschreiben. Wie wir schon gehört haben, geht es ja viel mehr ums Tun als ums Reden …

Ein Beitrag in Kooperation mit dem Steirischen Volksliedwerk.

Das Projekt Einfach lebendig des Steirischen Volksliedwerks richtet sich an Schulen und Kindergärten in der Steiermark und vermittelt Traditionen zum Mitmachen auf lustvolle Weise.

https://shorturl.at/Xv0VY

Sabine Schlick in Aktion

Foto: Ulrike Rauch

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